Während Heizungswende, Energiewende und Ernährungswende auf Widerstand stoßen, bahnt sich eine echte Wende an: Die unselige Genderei scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben, immer mehr Länder und Institutionen verzichten auf die lese- und sprachhemmenden Doppelpunkte, Sternchen und Innen.
Die Zeitenwende der Bundesregierung ist ja ziemlich in die Hose gegangen. Man könnte von einem Wendekrepierer reden. Aber eine Wendepleite muss nicht das Ende aller Wenden sein. Im Gegenteil, es gibt sogar erste zaghafte Anzeichen einer begrüßenswerten Wende anderer Art. Noch sind die Signale widersprüchlich. Doch man kann neuerdings, ohne ausgelacht zu werden, die Frage stellen: Stehen wir möglicherweise vor einer Genderwende?
Anlass für diese optimistische Einschätzung ist die Gender-Kehrtwende beim Berliner Tagesspiegel, über die die Achse bereits bestens berichtet hat. Selbst im woken Berlin scheint es genügend Leute zu geben, die nicht nur viele klassische Bücher, sondern auch alle Tassen in ihren Schränken haben. Also lauter Leute, denen die Gendersternchen-Inflation so sehr auf den Geist ging, dass sie die Zeitung abbestellt haben.
Aber der Sternchen-Verzicht beim bürgerlicheren Berliner Blatt ist nicht das einzige Signal, dass das Gendern seinen Zenit hinter sich haben könnte. Bei unseren französischen Nachbarn ist das schon lange der Fall. Emmanuel Macron hat hochoffiziell erklärt, die französische Sprache sei vor der sogenannten inklusiven Schreibweise zu schützen. An staatlichen Einrichtungen ist der Schutz der schönen französischen Sprache bereits etabliert. Die gendertypischen Sternchen und andere Stolperzeichen sind aus Schulen, Universitäten und Behörden verbannt.
Nun gut, die Franzosen lieben und pflegen ja traditionell ihre Sprache. Was nicht zu den herausragendsten deutschen Tugenden gehört.
Bei uns ist Gendern Ländersache
Bei uns ist es noch gar nicht so lange her, dass ein Student an der Universität Kassel eine schlechtere Note bekommen hat, weil er sich weigerte, in seiner Examensarbeit zu gendern. Diese Entscheidung hat dort aber wohl keine Zukunft mehr. Die neue schwarzrote Regierungskoalition in Hessen hat angekündigt, an staatlichen Einrichtungen, also auch an Universitäten, auf das Gendern mit Sonderzeichen zu verzichten. Mal sehen, ob der Gender-Rebell von Kassel seine Punkte zurückbekommt.
Was tut sich sonst noch? Hier ein kleiner Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Gewähr, zumal das Gendern in Deutschland Ländersache ist.
So hat auch das bayerische Kultusministerium klargemacht, dass Genderverweigerer bei den Noten nicht benachteiligt werden dürfen. Von einem Genderverbot wie in Frankreich ist in Bayern bisher nicht die Rede. Es gibt halt keinen Genderzwang. Immerhin. Markus Söder ist nun mal kein Emmanuel Macron.
Der Bayrische Rundfunk hat allerdings in freiwilliger Selbstkontrolle einen Gender-Sternchen-Verzicht erklärt. Damit ist er eine Art Vorreiter in der ARD, wo vielerorts nicht nur schriftlich, sondern auch im mündlichen Vortrag gegendert, also mitten im Wort gestottert wird.
In Sachsen ist man kühner: Dort herrscht an öffentlichen Einrichtungen inzwischen ein offizielles Gender-Sternchen-Verbot. Wer trotzdem gendert, bekommt eine schlechtere Note. Also umgekehrt wie im alten Hessen.
In Schleswig-Holstein hat man sich für eine altersabhängige Persönlichkeitsspaltung entschieden: kein Gendern an den Schulen, aber Genderzwang an der Uni. Wohl auch mit Punktabzug.
In Hamburg hat, wie den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache zu entnehmen ist, eine Volksinitiative „Schluss mit dem Gendern“ einen Macron-Vorstoß gewagt. Sie ist beim rotgrünen Senat auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die sonst eher verbotsfreudigen Senatorinnen und Senatoren sprachen sich gegen ein Verbot der Genderzeichen aus.
Warum keine Mörderinnen und Mörder?
Wie gesagt: widersprüchliche Signale. Die bisher zaghafte Genderwende hat noch einen weiten Weg vor sich. Zumal das Gendern ja nicht nur aus Sternchen und kurioser Großschreibung mitten im Wort besteht. Auch nicht nur aus Schluckauf-Pausen beim medialen Gendertalk.
Zur einschlägigen Sprachmoral gehört auch das geschlechtsneutrale Ausweichmanöver: Was vor Jahren mit den Studierenden begann, ist inzwischen bei den Zuhörenden und den Autofahrenden angelangt. Und, um im Journalismus zu bleiben, bei den Redigierenden.
Als Alternativgendern wird die sich ständig wiederholende Erwähnung beider Geschlechter ebenfalls gern gebraucht. Diese Dauernennung von Seglern und Seglerinnen, Plauderern und Plauderinnen oder Wanderern und Wanderinnen greift im Sinne religiöser Inklusion auf das asiatische Konzept der Gebetsmühle zurück, kann aber ein wenig einschläfernd wirken.
Diese Form des verdeckten Genderns hat versicherungsmathematisch eine hohe Überlebenserwartung. Sie ist aber nicht durchgängig. Es herrscht sogar eine merkwürdige Schieflage. So liest man nur selten von Gaunern und Gaunerinnen, Schmarotzern und Schmarotzerinnen oder Mördern und Mörderinnen. Offenbar wird bei diesem eher negativ belegten Begriffs-Genre nicht ganz so viel Wert auf Gleichbehandlung gelegt.
Aber das hat ja auch sein Gutes. Wer möchte schon aus seinem Herzen eine Mörder- und Mörderinnengrube machen. Oder gar eine Mordendengrube.
Rainer Bonhorst arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.