Dubravka Šuica ist Vizepräsidentin für „Demokratie und Demografie“ der EU-Kommission. Sie wacht unter anderem über die Transparenz in der EU. Nur nicht über ihre eigene. Gegen sie selbst stehen nämlich Vorwürfe wegen ungeklärter Vermögensverhältnisse im Raum.
Wer glaubt, zumindest bei EU-Vizepräsidentin Dubravka Šuica, die das Ressort „Demokratie und Demografie“ der EU-Kommision leitet, hinsichtlich des leidigen Themas Korruption auf eine blütenweiße Weste zu stoßen, wird enttäuscht: Auch gegen die Kroatin Šuica stehen Vorwürfe wegen ungeklärter Vermögensverhältnisse im Raum. So berichtete der Standard im September 2019, dass Šuica zusammen mit ihrem Ehemann, einem pensionierten Seekapitän, unter anderem eine Villa in Dubrovnik, Häuser auf der Halbinsel Pelješac und der Küstenstadt Cavtat, Wohnungen in Zagreb und Dubrovnik, ein Ferienhaus in der benachbarten Herzegowina sowie eine Yacht und drei Autos besitze, deren Finanzierung unklar sei.
Zwar habe die kroatische Steuerbehörde die Vermögensverhältnisse der Politikerin unter die Lupe genommen, doch die dafür relevanten Dokumente habe Šuica nicht vorgelegt. Die kroatische Nichtregierungsorganisation (NGO) Gong, die Wahlen überwacht, forderte vergeblich Transparenz von Šuica ein und bezweifelte, dass sie in ihrer Karriere als öffentliche Bedienstete und Amtsträgerin ein derartiges Vermögen verdienen konnte.
Šuica, die 1957 in Dubrovnik geboren wurde, arbeitete nach einem Philologie-Studium in Zagreb und Buffalo (USA) zunächst als Lehrerin für Deutsch und Englisch an unterschiedlichen Schulformen in Dubrovnik. Sie wurde Mitglied im Gemeinderat von Dubrovnik und von 2001 bis 2009 Bürgermeisterin der Stadt. Parallel dazu war sie von 2000 bis 2011 Abgeordnete im kroatischen Parlament. Von 2004 bis 2014 war sie als Vizepräsidentin des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats tätig und gehörte von 2013 bis 2019 der EVP-Fraktion im EU-Parlament an.
Haben Sie von dem Schwung schon etwas bemerkt?
Auf der offiziellen Webseite der EU-Kommission sind ihre Zuständigkeiten aufgelistet. Demnach war sie mitverantwortlich für die „Konferenz zur Zukunft Europas“, die im April 2021 gestartet und deren Ergebnis im Mai 2022 präsentiert wurde. Laut EU war diese Konferenz „eine von Bürgerinnen und Bürgern geleitete Reihe von Debatten, die es Menschen aus ganz Europa ermöglicht hat, ihre Ideen auszutauschen und zur Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft beizutragen“, und sie sollte „neuen Schwung für die Europäische Demokratie“ bringen. Haben Sie von dem Schwung schon etwas bemerkt? Ich auch nicht.
Außerdem ist Šuica für die statistische Erfassung von Auswirkungen des demografischen Wandels verantwortlich sowie für eine langfristige Vision für ländliche Gebiete („rural areas“). Dass mit dieser Vision eine von der EU definierte grüne Transformation gemeint ist, haben wir hier schon ausführlich thematisiert. Darüber hinaus fällt die Ausarbeitung einer umfassenden EU-Strategie für Kinderrechte und für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie genauso in ihr Ressort wie die Unterstützung von Menschen während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn im Sinne der Europäischen Säule sozialer Rechte (European Pillar of Social Rights ), durch die eine „gerechtere und inklusivere Europäische Union“ aufgebaut werden soll.
Dafür sind 20 Grundsätze ausgearbeitet worden, in denen es beispielsweise um den „Zugang zu hochwertigen Sozialwohnungen oder hochwertiger Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung“ für Hilfsbedürftige geht. Für Dubrovnik und Zagreb hätte ich da einen heißen Tipp ...
Wenn Šuica sich nicht gerade beispielsweise mit Vertretern der Bertelsmann Stiftung oder der Friedrich-Ebert-Stiftung wie am 24. November 2022 in Berlin trifft, gibt sie Statements etwa auf der UN-Wasserkonferenz am 21. März 2023 in New York ab. Hier betonte sie die Bedeutung der Wasserversorgung für die die „Agenda für nachhaltige Entwicklung“, die auch „Agenda 2030“ genannt wird und im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. In ihr sind siebzehn Ziele für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) formuliert. Unter Punkt 28 ist beispielsweise zu lesen:
„Wir verpflichten uns, die Art und Weise, in der unsere Gesellschaften Güter und Dienstleistungen produzieren und konsumieren, grundlegend zu verändern. Die Regierungen, die internationalen Organisationen, die Unternehmen und anderen nichtstaatlichen Akteure wie auch jeder Einzelne müssen zur Veränderung nicht nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster beitragen.“
EU-Kommission ist „zum Glück in Ordnung“
Diese Formulierung schlägt sich auch im EU-Programm „Fit für 55“ nieder (wir berichteten hier), zu dem sich Šuica am 17. April dieses Jahres in einer Abschlusserklärung vor beeindruckend leeren Sitzreihen im EU-Parlament äußerte: Sie führte die horrenden Kosten an, die die Klimakrise mit sich bringe, sodass sich Wirtschaft und Gesellschaft transformieren müssten, um eine Klimaneutralität Europas bis 2050 zu erreichen. Mit anderen Worten: Šuica spult genau die Floskeln ab, die offenbar von ihr erwartet werden.
In einem Interview, das Jörn Fleck von der „Transform Europe Initiative“ des Thinktanks „Atlantic Council“ am 10. Februar dieses Jahres mit Šuica führte, nannte er sie „eine der führenden europäischen Politikerinnen für demokratische Widerstandsfähigkeit“ („one of Europe's key leaders on democratic resilience“). In dem Gespräch ging es um das neue EU-Paket zur Verteidigung der Demokratie und die Initiative der Europäischen Kommission zum Schutz des demokratischen Raums der EU vor Interessen von außen, die Ende Mai oder Anfang Juni vorgestellt werden sollen. Dabei fielen vor allem Stichworte wie Populismus, Fake News und Einmischung aus dem Ausland wie etwa aus Russland. Dagegen plädiert Šuica für mehr Bürgerbeteiligung und für eine Erziehung ab dem Kindergarten an, die dazu befähigen soll, zwischen Fake News und richtigen Informationen unterscheiden zu lernen.
Angesprochen auf den Korruptions-Skandal im EU-Parlament, betont sie, dass die EU-Kommission „zum Glück in Ordnung“ sei („fortunately fine“) und fordert mehr Transparenz und die Offenlegung von Finanzierungen etwa der Parteien, NGOs und der Zivilgesellschaft. Dabei steht der Code „Zivilgesellschaft“ gerne auch für Stiftungen. Ist es nicht ungemein beruhigend, zu wissen, dass Persönlichkeiten wie Dubravka Šuica, die die Herkunft ihres eigenen Vermögens vorsätzlich verschleiert, über die Transparenz in der EU wachen?