Die EU gibt in ihrer Winterprognose zu: Die Wirtschaft schrumpft. Vor allem in Deutschland. Mit ihrem Green Deal, der mitverantwortlich für den Niedergang ist, will sie aber ungerührt weitermachen.
In ihrer Winterprognose für 2024 gesteht die EU-Kommission ein, dass die Wirtschaft in der EU langsamer wächst als angenommen. So korrigiert sie ihre Wachstumsprognose für 2023 von 0,6 Prozent (Wert aus der Herbstprognose) auf 0,5 Prozent und für 2024 von 1,3 Prozent auf 0,9 Prozent in der EU sowie von 1,2 Prozent auf 0,8 Prozent im Euro-Währungsgebiet. In Hinblick auf das Jahr 2025 geht die Kommission von Wachstumsraten von 1,7 Prozent (EU) und 1,5 Prozent (Euro-Währungsgebiet) aus. Für Deutschland erwartet die Kommission dieses Jahr allerdings nur ein Wachstum von 0,3 Prozent. 2023 ist die Wirtschaftskraft in Deutschland bereits um 0,3 Prozent zurückgegangen; für 2025 wird wieder ein Wachstum von 1,2 Prozent vorausgesagt. Die Inflation in Deutschland werde laut EU-Prognose im Jahr 2024 auf 2,8 Prozent und im Jahr 2025 auf 2,4 Prozent sinken. 2023 lag sie bei 6 Prozent.
Noch pessimistischer blickt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in die Zukunft: Nach einer Befragung von mehr als 27.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen sei von einem Minus von 0,5 Prozent auszugehen. Damit wäre es das zweite Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schrumpfen würde. Zuletzt war das 2002/2003 der Fall. Fast drei von fünf Unternehmen sähen mittlerweile in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen Deutschlands ein Geschäftsrisiko. Viele Betriebe klagten über zu viel Bürokratie sowie hohe Energiepreise und Arbeitskosten.
Die EU-Kommission, vertreten durch Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, erklärt dazu:
„Die europäische Wirtschaft hat ein Jahr hinter sich, das reich an Herausforderungen war. Viele gleichzeitige Ereignisse haben unsere Widerstandskraft erheblich auf die Probe gestellt. Die für 2024 erwartete Wiederbelebung dürfte gedämpfter ausfallen als vor drei Monaten erwartet, aber angesichts langsamer steigender Preise, Reallohnzuwächse und eines robusten Arbeitsmarkts allmählich an Fahrt gewinnen. Da die Kreditbedingungen günstiger werden und weiter Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität fließen, dürfte das Investitionsniveau konstant bleiben. 2025 dürfte sich das Wachstum verfestigen, und die Inflation wird sich voraussichtlich dem EZB-Ziel von 2 Prozent annähern. Die geopolitischen Spannungen, das zunehmend instabile Klima und viele wichtige Wahlen in allen Erdteilen erschweren jedoch verlässliche Prognosen.“
„Wachstumsfördernde Reformen und vorrangige Investitionen“
Keine Spur von Selbstkritik also. Im Jahr 2023 – so gibt die EU-Kommission immerhin zu – sei das Wachstum durch die Aushöhlung der Kaufkraft der privaten Haushalte, eine erhebliche geldpolitische Straffung, die teilweise Rücknahme der fiskalpolitischen Unterstützungsmaßnahmen und die sinkende Auslandsnachfrage gebremst worden. Wodurch aber wurde die „Kaufkraft der privaten Haushalte“ ausgehöhlt? Die steigenden Energiekosten etwa erklärt die EU zwar gerne ausschließlich mit der „ungerechtfertigten Invasion Russlands in die Ukraine und des Einsatzes von Gaslieferungen als Waffe“, doch die Energiepreise waren schon 2021 eklatant gestiegen. Es bleibt abzuwarten, ob die EU-Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2024, die sie voraussichtlich im Mai vorlegt, abermals nachbessern muss.
In einer Pressemitteilung vom 10. Februar hatte die EU-Kommission übrigens gerade noch die Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat „auf die ehrgeizigste und umfassendste Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung seit der Wirtschafts- und Finanzkrise“ bejubelt. Die Hauptziele dieser Reform seien „die Stärkung der Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten und die Förderung eines nachhaltigen und integrativen Wachstums in allen Mitgliedstaaten“. Diese sollen durch „wachstumsfördernde Reformen und vorrangige Investitionen“ erreicht werden. Wörtlich heißt es: „Durch Förderung des Übergangs zu einer grünen, digitalen, integrativen und widerstandsfähigen Wirtschaft soll die EU wettbewerbsfähiger und besser auf künftige Herausforderungen vorbereitet werden.“
Zum Hintergrund: Mit dem Vertrag von Maastricht hatte die EU 1992 die Wirtschafts- und Währungsunion als Vorstufe für die Einführung des Euro geschaffen. Der EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung stellt ein System aus Institutionen und Verfahren zur Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten dar. Laut EU habe der Rahmen in Verbindung mit der einheitlichen Währungspolitik „zu wirtschaftlicher Stabilität, Wachstum und einem höheren Beschäftigungsniveau“ beigetragen. Durch das Diktat des Green Deals, durch den die Klimaneutralität Europas bis 2050 erreicht werden soll, sieht die Realität mittlerweile allerdings deutlich anders aus. Statt die Ideologie der Klimaneutralität fundiert zu hinterfragen, setzt die EU-Kommission auf Taktieren. So sollen Haushalts-, Reform- und Investitionsziele in einem einzigen mittelfristigen finanzpolitischen Plan zusammengeführt werden und sich auch die haushaltspolitische Überwachung auf einen einzigen operativen Indikator – die Nettoprimärausgaben – stützen.
Der neue Rahmen soll den Mitgliedstaaten größere Anreize zur Durchführung von Maßnahmen geben, die „zur Sicherung des ökologischen und digitalen Wandels, zur Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Resilienz und zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit Europas“ erforderlich sind. Dafür müssen die Mitgliedstaaten darlegen, welche haushaltspolitischen Ziele, vorrangigen Reformen und Investitionen sie planen. Diese Pläne werden dann nach gemeinsamen EU-Kriterien von der Kommission bewertet und vom Rat gebilligt. Dabei soll angeblich die nationale Eigenverantwortung gestärkt werden, indem den Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer eigenen „haushaltspolitischen Anpassungspfade“ und bei ihren Reform- und Investitionszusagen größerer Spielraum eingeräumt wird.
Ausbau der planwirtschaftlichen EU-Ansätze
Allerdings behält sich die EU-Kommission Eingriffe vor: Für Mitgliedstaaten, deren öffentliches Defizit über 3 Prozent des BIP liegt oder deren öffentlicher Schuldenstand 60 Prozent des BIP überschreitet, will sie einen länderspezifischen „Referenzpfad“ vorgeben. Und Mitgliedstaaten mit einem öffentlichen Defizit von unter 3 Prozent des BIP und einem öffentlichen Schuldenstand von unter 60 Prozent des BIP will die Kommission technische Informationen zur Verfügung stellen, um zu gewährleisten, dass das Defizit auch mittelfristig unter dem Referenzwert von 3 Prozent des BIP bleibt. Bei der Beurteilung, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt, will die Kommission einer Reihe von Faktoren Rechnung tragen wie etwa der Erhöhung der staatlichen Investitionen im Verteidigungsbereich, der jeweiligen Wirtschafts- und Haushaltsentwicklung sowie eben der Durchführung von Reformen und Investitionen.
Die Mitgliedstaaten müssen zudem alljährlich einen Bericht über ihre Fortschritte bei der Erfüllung ihrer in den Plänen gemachten Zusagen vorlegen, die wiederum von der Kommission bewertet werden. Gegebenenfalls kann die Kommission dann überprüfen, ob ein Defizitverfahren eingeleitet werden sollte. Insgesamt klingt die Reform nach einer weiteren Zunahme der zentralisierten Kontrolle durch die Kommission und nach einem Ausbau ihrer planwirtschaftlichen Ansätze.
Am 14. Februar veröffentlichte die Kommission darüber hinaus eine Pressemitteilung mit dem Titel „Wettbewerbsfähigkeit der EU: Kommission überwacht Stärken und Herausforderungen“. Um Entwicklungen in der Konkurrenzfähigkeit der EU nachverfolgen zu können, schlüsselt die Kommission in ihrem neuen Jahresbericht über den Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit „die Wettbewerbsstärken und Herausforderungen des europäischen Binnenmarkts“ auf. Dabei berücksichtigt sie neun Faktoren, die in der Mitteilung der EU von 2023 zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit dargelegt wurden: das Funktionieren des Binnenmarkts, der Zugang zu privatem Kapital, öffentliche Investitionen und Infrastruktur, Forschung und Innovation, Energie, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung, Bildung und Kompetenzen sowie Handel und offene strategische Autonomie. Es sei zwar noch zu früh, um stabile Trends zu ermitteln, doch man könne feststellen, dass sich „neun zentrale Leistungs-Indikatoren“ verbessert hätten. Fünf hätten sich nicht verbessert, drei seien stabil und zu zweien lägen noch keine neuen Daten vor.
Auch in diesem Bericht wird empfohlen, beispielsweise die Vergabe öffentlicher Aufträge strategisch auf den „ökologischen und digitalen Wandel“ – sprich: den „Green Deal“ – auszurichten. Andreas Schwab, Sprecher der EVP-Fraktion für den Binnenmarkt im EU-Parlament, betonte dagegen:
„Der Binnenmarkt ist das Herzstück unserer Wettbewerbsfähigkeit. Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir bis 2030 stehen, wird es jedoch nicht ausreichen, den Status quo des europäischen Binnenmarktes beizubehalten. Eine bessere Durchsetzung ist nicht genug. Stagnation ist ein Rückschritt. Wir brauchen ehrgeizigere Pläne, um den Binnenmarkt zu vollenden und die grenzüberschreitende Arbeit endlich zu erleichtern. Dazu gehört, dass überall die gleichen Regeln gelten, um die Kosten für die Unternehmen drastisch zu senken. Wir brauchen die Kapitalmarktunion, und wir brauchen auch einen vollständig integrierten Telekommunikations- und Strommarkt. Nur so können unsere Unternehmen und Verbraucher von wettbewerbsfähigeren Preisen profitieren. Die Kommission hat berechnet, dass ein besser funktionierender Binnenmarkt bis 2029 713 Milliarden Euro einbringen könnte. Dieses Geld wird dringend benötigt. Die Weiterentwicklung des Binnenmarktes muss eine der Aufgaben der nächsten Kommission sein.“
Aktivismus der EU-Institutionen
Und Christian Ehler, Sprecher der EVP-Fraktion für Industrie, Forschung und Energie, fügte hinzu:
„Der Jahresbericht zeigt wichtige Punkte auf, die derzeit unseren Binnenmarkt und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Unsere Unternehmen brauchen einen funktionierenden Energiebinnenmarkt, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die Verschärfung der Berichtspflichten für Unternehmen ist nach wie vor ein bürokratisches Ärgernis, und 'Gold Plating' ist genau die Art und Weise, wie EU-Rechtsvorschriften nicht umgesetzt werden sollten. Es kann noch viel mehr getan werden, und der heutige Bericht ist gewissermaßen eine To-do-Liste, die unverzüglich abgearbeitet werden muss.“
Mit der Bezeichnung „Gold Plating“ werden die Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten der EU bezeichnet, bei der Umsetzung von EU-Richtlinien nationale Verschärfungen oder Erleichterungen einzuführen.
Darüber hinaus hat die EU-Kommission weitere Dokumente veröffentlicht, die den jährlichen Bericht über Binnenmarkt und Wettbewerbsfähigkeit ergänzen sollen: zwei Arbeitsdokumente zu Leistungsindikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit und zum „ökologischen und digitalen Wandel in den einzelnen industriellen Ökosystemen“; den Binnenmarkt- und Wettbewerbsfähigkeitsanzeiger 2024 mit zusätzlichen Daten etwa zu den Fortschritten bei der Umsetzung des EU-Rechts sowie den Bericht der Taskforce für die Durchsetzung des Binnenmarkts (SMET) 2022–2023. In dieser Taskforce arbeiten die Kommission und die Mitgliedstaaten zusammen, um „ungerechtfertigte Hindernisse“ im Binnenmarkt zu beseitigen, wie zum Beispiel Kontrollen für Fachkräfte, Hürden für die Genehmigung erneuerbarer Energien und Verwaltungsaufwand für Anbieter grenzüberschreitender Dienstleistungen.
Zudem hat Ursula von der Leyen „einen der großen Wirtschaftsgeister Europas“ – nämlich Mario Draghi – gebeten, einen Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu erstellen, der ebenfalls bald vorliegen soll. Bei all den Bemühungen und dem Aktivismus der EU-Institutionen bleibt jedoch der Elefant im Raum unangetastet: der vollständige Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität, wobei das Festhalten am Dogma des menschengemachten Klimanotstands, der wissenschaftlich nicht belegbar ist, entweder religiöse Züge trägt oder handfeste wirtschaftliche Interessen etwa an neuen Märkten verschleiert.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.