Fabian Nicolay / 11.05.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 17 / Seite ausdrucken

Klassenkampf rückwärts (Teil 4)

Grüne Eliten benötigen den althergebrachten Klassenkampf nicht mehr. Grüner „Klassenkampf“ ist lediglich die Restauration neuer Klassenverhältnisse: Eine neofeudale Nachhaltigkeitsordnung mit einem autoritären Verzichtsstaat braucht den erzwungenen Umbau, die sogenannte Transformation. 

Die Linken verlieren zunehmend an ideologischer Legitimation und docken sich deshalb an ihre grünen Verwandten an. Die Grünen haben nämlich noch eine „echte“ Großrevolution mit vielversprechender Hybris vor: die Klimarettung. Marxismusähnliche Tatbestände werden ideologisch zu Aufgaben der Gesellschaft umgedeutet: Deindustrialisierung und Erneuerbare (Anti-Elektrifizierung), Umerziehung zum Verzicht (Klassenbewusstsein, Solidarität), Selbstverpflichtung zu Nachhaltigkeit (Produktionsverhältnisse). Also eine Menge Identitätsstiftung aus dem Brevier des Marxismus/Leninismus. Nur ein entscheidendes Momentum fehlt: der althergebrachte Klassenkampf. 

Der Klassenkampf, den Marx meinte, war die Spannung im Klassenverhältnis aus Kapitalisten und Arbeitern: Die Kapitalisten, die im alleinigen Besitz der Produktionsmittel sind, beuten das Proletariat aus, das nur im Besitz seiner Arbeitskraft ist und die Revolution braucht, um sich der Produktionsmittel zu ermächtigen.

Der neue grüne Marxismus dreht diesen Klassenkampf um: In einer großen Erziehungs- und Enteignungsaktion (Energiepreise, CO2-Einsparung bei Eigentum und Heizungen, Mobilität, Lebensmittelherstellung, energieintensive Güterproduktion) werden die in der sozialen Marktwirtschaft einst breit und erfolgreich verteilten Eigentums- und Arbeitsverhältnisse irreversibel entwertet und mit neuer, verschärfter Diskrepanz aufgeladen. Es entstehen Abgehängte und Eliten. Die bevorzugten Cliquen, die das neue Zweiklassensystem restaurieren, erzwingen eine religiös-ideologisch postulierte Nachhaltigkeit.

Manierierte Phase des Links-Seins

Die hierfür notwendigen Produktionsmittel heißen „regenerativ“, deren Produkte/Energien sind jedoch volatil und werden deshalb zugeteilt. Die Produktionsverhältnisse entsprechen also denen einer neofeudalen Ordnung, die Geben und Nehmen in einer Hand organisiert. Ähnlich wie im Sozialismus gibt es gesellschaftliches (regeneratives) Eigentum an den Produktionsmitteln, die man durch indirekte Enteignung erzeugt hat. Die resultierenden Zuteilungskontingente werden über die Eliten und ihre Gesetze gesteuert.

Grüne Eliten benötigen den althergebrachten Klassenkampf nicht mehr und er fände auch keine „Abnehmer“. Grüner „Klassenkampf“ ist lediglich die Restauration neuer Klassenverhältnisse: Eine neofeudale Nachhaltigkeitsordnung mit einem autoritären Verzichtsstaat braucht den erzwungenen Umbau, die sogenannte Transformation, um die notwendigen CO2-Einsparungspotenziale aus der breiten Lücke zwischen „Verzichtsklasse“ und „Nachhaltigkeitselite“ abzufordern. Die Linksperformer fungieren hier lediglich als zusätzliche Lautsprecher in die neuen Klassenverhältnisse hinein.

These: Wir befinden uns mit der geschilderten Umdeutung der marxistischen Dialektik in der manierierten Phase des Links-Seins.

Die chaotisch-vorrevolutionäre Zeit mit utopischen Sozialisten und anarcho-syndikalistischen Bewegungen waren eine „archaische Phase“, die Karl Marx mit seiner dialektischen Philosophie, mit Schriften wie dem „Kommunistischen Manifest“ (1848), „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) und dem überbordend-komplexen „Kapital“ (1867–1894) geordnet hat und eine Zielrichtung gab.

Erzeugnisse des vermaledeiten Kapitalismus

Die „klassische Phase“ bestand aus der Umsetzung und Konstitution in Gesellschaften: Kapitalismus vs. Sozialismus, Oktober-Revolution, Sowjetunion, West gegen Ost, Kalter Krieg. Im Prinzip der gelebte, konstituierte Sozialismus zwischen 1917 und 1989.

Die „manierierte Phase“ ist die der dialektischen Übertreibung und Entgleisung, der Verkünstelung des Linksseins, in der es im Prinzip keine originär marxistisch-revolutionären Projektionsflächen und Inhalte mehr gibt. Die Leere muss mit neuen Aspekten von Pseudo-Materialismus gefüllt werden und bringt kein Klassenbewusstsein hervor, sondern „Linksperformer“.

Die Klima-Transformation kämpft für das Klassenziel „Klimaschutz“. Der Feind dieser Revolution sind die Emissionen der Mobilität (Autos, Flugzeuge) und der Güterindustrie (Plastik, Luxusprodukte), also die Erzeugnisse des vermaledeiten Kapitalismus. Man verschweigt, dass das Internet schon jetzt einer der größten CO2-Produzenten der Welt ist. Man spricht von rund 33 Millionen Tonnen CO2-Emissionen, die das Netz und seine angehängten Endgeräte verbrauchen, und geht davon aus, dass bis 2040 der Anteil der globalen Emissionen bei 14 Prozent liegen wird. Das wären rund 20 Prozent des weltweit verbrauchten Stroms.

Es läuft ja wie geschmiert

Auch die Klima-Aktivisten träumen von der Revolution. Der Klima-Transformation kann es jedoch nicht um Wahrheit an sich gehen, denn diese „Wahrheit“ ist eine Projektion von „Kipppunkten“ und Katastrophen in der Zukunft, also Prognostik, sondern es geht in erster Linie um den Anspruch, die „Wahrheit“ zu besitzen. Das ist der Impetus der Ideologie oder Religion.

Klima-Aktivisten stellen sich gern als Klassenkämpfer dar, mit entsprechenden Stereotypen: Die Nachhaltigen gegen die Verschwender, die Entrechteten gegen die Ausbeuter, „die indigenen Frauen gegen die weißen, privilegierten heterosexuellen Cis-Männer mittleren Alters“ (Greta Thunberg „Das Klima-Buch“). Und mit den neuen Klassenkämpfern erträumen die Apparatschiks, die Alt-Stalinisten und Alt-Maoisten jene Transformation, die den Impuls der Masse jetzt nutzen soll, um die grün angestrichenen Alt-Utopien dieser pensionierten Roten Gardisten endlich im Westen zu etablieren – vielleicht nicht so technisch, militärisch und brutal, aber im Prinzip genauso utopisch, demagogisch und demokratiefeindlich. Damit hält man allerdings bis heute hinter dem Berg, denn es läuft ja wie geschmiert von selbst. 

Die Rechthaberei der Ideologie: Sie fordert den Abriss des alten Systems. Und da dies mehr oder weniger freiwillig passiert, als Abschaffungsplan mit demokratischer Legitimation, kann sich die heiße Revolution erst einmal zurücklehnen. Die Forderungen werden von den zukünftigen Opfern neuer Missstände selbstständig und freiwillig von hinten durch die kalte Küche in die Tat umgesetzt.

Bewusst erworbenes One-Way-Ticket

Konform der Dialektik, nach der die Widersprüche aufgelöst werden, indem die „Zustände“ beseitigt werden, müssen heute soziale und marktwirtschaftliche Paradigmen fallen. Die neuen Ideale sind allesamt Projektionen in die Zukunft, Science-Fiction, Weissagungen im politischen Auftrag der Katastrophenverhinderung, planwirtschaftliche Gebilde und soziale Schönfärbereien. Deren Falsifizierung wird jedoch keine Rückkehr bieten. Die Nachhaltigkeitsrevolution ist ein bewusst erworbenes One-Way-Ticket.

Dennoch: Nur weil heute allerorten (bei den linken NGOs, den Influencern und Aktivisten, den Medien) gegen den Kapitalismus gewettert wird, heißt es noch lange nicht, dass wir es mit wirklich linker Dialektik oder gar historischem Materialismus zu tun haben: Der Kapitalismus weicht, wenn überhaupt, dann reiner Zerstörungswut, weil er schlicht als Feind der Zukunft ausgemacht wurde. Marxistische Dialektik versucht in der Theorie Widersprüche konstruktiv aufzuheben und würde (ebenfalls theoretisch) die Übernahme der Produktivmittel nutzen, um der arbeitenden Klasse Wohlstand zu verschaffen. Die willkürliche Zerstörung von Produktivmitteln (zum Beispiel der Energieversorgung und Großindustrie) wäre „materialistisch“ betrachtet unsinnig. Aber es gibt ja auch kein Proletariat, das die Produktionsmittel übernehmen wollte und könnte. 

„Echte“ Sozialistische Revolutionen richten sich gegen die Machtstrukturen der herrschenden Klasse, gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Ihr Ziel ist, dem Klassenkampf zum Sieg verhelfen: von unten nach oben. So die Theorie. Doch heute wird die Revolution, sprich Transformation, von der herrschenden Klasse selbst ausgerufen, also von oben nach unten. Eine neue (digitale, erneuerbare) Elektrifizierung ist im Gange.

Die neu geschaffenen Verzichtsgesellschaften terrorisieren

Die „Kapitalisten“, Unternehmer, Arbeitgeber, Leistungsträger, machen eilfertig bei ihrer Abschaffung mit, verlassen das Land oder geben freiwillig auf, um einer gänzlich neuen, nicht ausgegorenen Wirtschaftsform Platz zu machen: „Nachhaltigkeit“ ist keine Produktionsform, sie ist zunächst ein spekulatives Charakteristikum ideologisch veranlasster „Wertschöpfung“, möglichst aus Nullwachstum und Kreislaufwirtschaft, deren betriebswirtschaftliche Idee der Behauptung entstammt, man könne Wertschöpfung ohne zusätzlichen Ressourcen-Verbrauch, rein „erneuerbar“ betreiben. Ob das für Milliarden von Menschen weltweit gelten darf, ist mehr als anzuzweifeln. Aber es ist eine griffige Formel, mit der man Verängstigte, vor allem junge Menschen zu Aktivisten formt.

Ich verstehe nicht, dass linke Intellektuelle noch immer glauben, dass diese „Revolution von oben aus der Leitwarte grün-bürgerlicher Eliten“ irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Ich verstehe nicht, dass Linke nicht sehen, wie ihre angestammte Klientel, „die kleinen Leute“, für einen industriellen Umsturz einer neofeudalen Elite instrumentalisiert und in neue Armut und Verelendung geschickt werden. Ich verstehe nicht, dass progressive Denker glauben, dass die Destruktion des Wohlstandsgedankens und der Produktionsmittel die Menschheit „rettet“ – eine Voraussage, die auf Daten der Prognostik beruht und mit den Mitteln der Demagogie, des Brainwashings und der Diskursverweigerung betrieben wird. Ich verstehe nicht, dass Sozialisten sich nicht rühren, wenn „grün zu braun wird“, wo bürgerliche Eliten mit dem Segen der Cliquen aus Davos, Brüssel und New York unverhohlen ihre digitalen, energie- und überwachungskapitalistischen Filterblasen zu Gated Communities verwandeln – aus denen heraus sie die neu geschaffenen Verzichtsgesellschaften terrorisieren. Das ist der Klassenkampf rückwärts!

Kleines Nachwort, assoziativ

Einer meiner Lieblingsromane ist „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury. Bei einer Temperatur von 451 Grad Fahrenheit beginnt Papier zu brennen. In der dystopischen Zukunft, die das Buch beschreibt, werden Bücher verbrannt, weil sie als „gefährlich“ gelten. Es herrschen geistige Enge, Angst und Lethargie. Widerständler machen Spaziergänge im Wald und lernen dabei aus mündlicher Überlieferung die Texte von Büchern auswendig, die längst verbrannt wurden. So kann ein älterer „Idiot“ einem jüngeren das Werk Dostojewskis beibringen, der später der „Idiot“ sein wird. Ich wäre auch lieber „Der Idiot“ statt „Das Kapital“.

Teil 1 finden Sie hier.

Teil 2 finden Sie hier.

Teil 3 finden Sie hier.

 

Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.

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s.clemens / 11.05.2023

Bei den lesenswerten Analysen beschleicht mich immer mehr der Gedanke, dass diese ganze Politiktheorie eine gigantische Selbsttäuschung ist. Ein mittelloser bärtiger Mensch schreibt sich den Frust von der Seele, weil alle mehr als er haben und ihm doch mehr zustünde. Er findet im Aktuellen zu Hauf Mißstände, die er mit vielen Worten verbindet und da Erklärbären eine knuffige Ausstrahlung haben, nimmt sein Geschreibsel den Status einer “Theorie”, aka Ideologie und Staatsdoktrin ein währenddessen die Menschen neue Prozesse initiieren, die dann im Nachhinein mit der Theorie erklärgedengelt werden bis dann neue sendungsbewusste Selbstoptimierer transformieren wollen. Was für ein Schauspiel!

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