Fabian Nicolay / 06.04.2024 / 06:00 / Foto: Pixabay / 56 / Seite ausdrucken

Grüne Pickelhauben und das Getrampel der 20.000

Ich gestehe: In puncto Artenschutz schlägt mein Herz schon immer „grün“.

Ich hatte als Kind das Glück, mich jeden Tag in der freien Natur aufhalten zu können. Deshalb konnte ich auch aus reiner Anschauung verfolgen, wie die einst alltäglichen Begegnungen mit vielen Tierarten in meiner Umgebung zu Sonderfällen wurden. Seien es Singvögel, Schmetterlinge, Kleinsäuger, Reptilien und Amphibien oder allgemein Insekten: Vieles, was ich in Wald und an Feldrainen, auf Streuobstwiesen und in Feuchtgebieten rund um meine Heimatstadt als Kind noch vorfand – Zauneidechse, Glattnatter, Feuersalamander und Gelbbauchunke, Bachstelze, Fasan, Waldohreule und Dompfaff, Schwalbenschwanz, Hauhechelbläuling, Schachbrett und Admiral, Nashornkäfer und Samthummel entzogen sich schleichend oder urplötzlich ihrer gewohnten Anwesenheit. Mit dem Schrumpfen ökologischer Nischen standen die spezialisierten Arten zunehmend unter Druck, während die Allrounder noch flexibel genug waren und zum Teil in Massen auftraten. Die Rote Liste der bedrohten Tierarten ist heute sehr lang und wird jährlich länger.
 
Ich wurde im Erleben dieses Artenschwundes erwachsen und sah Zersiedlung, Flächenversiegelung, Monokultur, Flurbereinigung, Insektizide, Verkehr, Verschwendung und Vermüllung als Probleme, aber nicht als primärkausal, sondern als Symptome einer (urbanen) Entfremdung: Mentale Verursacher dieser frei ihr Unwesen treibenden Vernachlässigungen drängten sich auf – es war der Mangel an Bewusstsein in der Bevölkerung, die Unwissenheit über die Schäden, das Desinteresse gegenüber dem, was da draußen vor der Stadt und dem überformten Vorgarten des Eigenheims vor sich ging. Dort auf den Äckern, in den Kulturlandschaften und den Habitaten unserer Mitlebewesen fanden Schwund und Verlust statt, weshalb die selbsternannten Anwälte einer grünen Gegenkultur sie gern für unantastbare „Urnatur“ erklärt hätten – obgleich dies genauso absurd war wie der technisch-ökonomische und zivilisatiorische Druck, den unbewusste Konsumenten, Bequeme und Verharmloser verursachten. Ich war für einen Kompromiss, der nicht neu erfunden werden musste.
 
Die Gesellschaften des „modernen" Menschen hatten seit Jahrhunderten das Land einer ökologisch-ökonomischen Transformation unterzogen, die nicht umkehrbar war und einst die „feindliche Natur“ vollends in eine Win-Win-Fläche für den Menschen und die meisten Tierarten verwandelt hatte. Es ging beim Natur- und Artenschutz also nicht einfach um möglichst menschenfreie romantisierte Systeme, sondern um die Belange im eigenen Habitat, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Dieser Dissens in der Charakterisierung der Lebensräume spaltete aber bald den Ansatz für Natur- und Artenschutz in zwei verfeindete Lager.

Die Einheimischen, die Tiere und die Touristen

Ich arbeitete nach dem Studium als freier Grafiker für den WWF (World Wildlife Fund for Nature) und fand dort – neben dem aggressiven Fundraising, das sich aus marketing-relevanten Gründen nur um sogenannte Flaggschiffarten drehte („süße Tiger-Babys“, „niedliche Robben-Babys“, „drollige Storchküken“) – einen ziemlich pragmatischen Ansatz für den Schutz bedrohter Arten in Habitaten, in denen Menschen ihren Lebensunterhalt „erackern müssen“. „Schützen und Nutzen“ war die Parole, mit der der damalige (eher konservative) Präsident des WWF, Carl-Albrecht von Treuenfels, den grünen Hardcore-Abstinzlern einer friedlichen Natur-Kultur-Koexistenz noch entschlossen entgegentrat. Für die Vertreter dieses Lagers, die den effektivsten Naturschutz als sich Selbst-Überlassung unter Ausschluss des Menschen verstanden, war der WWF eine Versammlung von Jagdfreunden, die ihre Privilegien schützen wollten. Was natürlich völliger Unsinn war.
 
Der WWF setzte sich unter anderem für Kulturlandschaften ein, in denen der Mensch als Schützer und Nutzer unabdingbar war (zum Beispiel die Elbauen) und übertrug diese Grundhaltung erfolgreich in Projekte nach Afrika. Das Credo war: Arme Bauern dürfen ihr wirtschaftliches Überleben nicht durch Wilderei sichern müssen. Ergo war die Erkenntnis, dass sogenanntes Wildtier-Management eine hervorragende Lösung für drei Gruppen war: die Einheimischen, die Tiere und die Touristen.
 
Ländliche Kommunen konnten Wildtiersafaris organisieren und teure Lizenzen für Trophäen-Jagd auf Wildtiere dort verkaufen, wo zu große Bestände zur Gefahr für die Landwirtschaft und Dorfbewohner wurden. Also mussten die Wildtierbestände zum selbstverwalteten Besitz der Landbevölkerung und Kommunen erklärt werden, die damit dem Safari- und Jagdtourismus ein Betätigungsfeld und gleichzeitig die Möglichkeit zur kontrollierten Hege der Bestände geben konnten. Das vermochte unter anderem die grassierende Wilderei deutlich zurückzudrängen. Ähnlich, wie es in Europa seit Jahrhunderten innerhalb unserer Kulturlandschaften gilt, dürfen Wildtierbestände auch in Afrika in keiner Konkurrenz zu den Lebensbedürfnissen der Menschen geraten oder zu einer ökologischen Überforderung des Habitats werden.

Der zynische Blick der grünen Denkfigur

Zugegeben, man weiß nicht genau, wer der Megafauna der Eiszeit den Garaus gemacht hat, der Mensch, der Klimawandel oder beide, aber sicher ist, dass der Homo sapiens keine Beutegreifer und Großwild neben sich duldete und sie rigoros dort ausrottete, wo sie eine Gefahr waren. Dafür entwickelten sich in den dichter besiedelten Regionen Europas irgendwann Landschaften, in denen nahezu sämtliche Arten der Flora und Fauna im weitesten Sinn zu Kulturfolgern wurden. Die Menschen waren seitdem verantwortlich für diese von ihnen „unterworfenen“ Gebiete. Bis heute gilt diese Verantwortung, die man durchaus auch ethisch verstehen kann.
 
Als ich verstanden hatte, dass Naturschutz nicht als Kampf gegen die vom Menschen verfügten Kulturlandschaften, also das von ihm geformte eigene Habitat, passieren darf – wo Schöpfungsbewahrung nicht betrieben werden kann, als ginge es darum, den Homo sapiens zur persona non grata zu erklären – wurde mir auch bewusst, welche starken ideologischen Kräfte am Werk sind, wenn den Menschen in auffallend borniertem Duktus aufgezeigt werden soll, all ihr Dasein und Schaffen sei schädlich.
 
Diese grüne Denkfigur ist eine zynische Spirale, die der Selbstüberhöhung der Mahner dient und sich vor allem gegen jene (Niederen und Uneinsichtigen) richtet, die in der Natur, den Kulturlandschaften arbeiten und produzieren – also Bauern, Jäger, ländliche Dorfgemeinschaften. Aber nun richtet sich der zynische Blick der grünen Denkfigur auch gegen (indigene) Bewohner von Habitaten, in denen Menschen mit Wildtieren konkurrieren und sich gegen deren „Übergriffe“ schützen müssen. Sie aus den Elfenbeintürmen der grünen Selbstgewissheit anzumaulen, ist wirklich gänzlich verwerflich.

Prinzipienreiterei vor Vernunftdenken

Nun hat der Präsident von Botswana, Präsident Mokgweetsi Masisi, „angedroht“, 20.000 wilde Elefanten nach Deutschland zu verschenken (zu BILD: „Das ist kein Scherz… Wir akzeptieren kein Nein.“). Er reagierte auf einen Vorstoß der deutschen Umweltministerin: Steffi Lemke will ihre Interpretation von Artenschutz in Afrika umgesetzt sehen. Sie plant, die Einfuhr von Jagdtrophäen nach Deutschland zu beschränken oder sogar gänzlich zu verbieten und würde mit diesem Hebel dem Wildtiertourismus in afrikanischen Ländern erheblichen Schaden zufügen. Selbstverständlich verbittet sich der Präsident solche Einmischungen in die Angelegenheiten seines Landes.
 
Man wird es in Afrika schlicht rassistisch finden, wenn mit neokolonialem Zeigefinger aus Deutschland heraus nun ein steinzeitlicher Artenschutz implementiert werden soll wie ehedem die „zivilisatorische Moderne“ des Exerzierens. Und das, obwohl die Realität ein ganz anderes Bild zeichnet: Ein jahrzehntelang erfolgreiches Wildtiermanagement wurde in Botswana zum Garanten des Wildtierschutzes und hat für das Gedeihen gefährdeter Arten gesorgt.
 
Der Abschuss von Elefanten dient (nicht nur) in Botswana der Vermeidung von Verheerungen, die die Dickhäuter auf Äckern und in Plantagen anrichten, wenn ihre Zahl überhandnimmt. Bei uns müssen Jäger ebenfalls nahe Verwandte der Elefanten eindämmen, die es vorziehen, in das Eldorado von Maisfeldern einzufallen, statt den Waldboden mit dem Rüssel nach Würmern und Engerlingen zu durchpflügen. Wer in Kulturlandschaften Jagd für unmoralisch erklärt, ist nicht nur naiv, sondern legt Hand an die Vitalität der Flora (Verbiss, Übernutzung) und an die Versorgung der Menschen. Die grün-dogmatische Moral zeigt sich eitel, wo Totschlagargumente und Prinzipienreiterei vor Vernunftdenken gesetzt werden. Aber: It's in Botswana, stupid!
 
Man kann das diplomatische Desaster zwischen Grün-Deutschland und Schwarz-Afrika in mehreren Aspekten tatsächlich als Rückfall in koloniale Ressentiments deuten: Die erleuchteten Weißen wollen ihre Erkenntnisse einem angeblichen „Entwicklungsland“ in Sachen Artenschutz überstülpen. Frau Lemke und ihre Garde sollten endlich ihre grünen Pickelhauben absetzen und mit dem Exerzieren aufhören. Das wäre auch für die deutschen Habitate von Vorteil.

 

Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.

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Sam Lowry / 06.04.2024

20.000 frei lebende Elefanten brauchen ein ganzes Bundesland. Und im Winter Ställe. Legt mal los…

Klaus Keller / 06.04.2024

An Emil.Meins: Ich bin der Meinung das die Wirkung von Artilleriemunition verharmlost wird. Hätte man fleißig geforscht könnte man heute wunderbare nicht tödliche Kampfstoffe haben die den Gegner schmerzfrei erblinden lassen und damit als Soldat nutzlos machen. Die Rot-Grün-Gelbe Bundesregierung hält auch an der nuklearen Teilhabe fest. Über die Resultate der Einsätze von Atomwaffen in Japan berichte ich jetzt nix da sie allgemein bekannt sein dürften. PS Die Schweiz verzichtete auf Kernwaffen hält aber an Kernkraftwerken fest. Sie wurde in letzter Zeit auch nicht besonders bekannt dafür das sie massenweise Artilleriemunition in die Ukraine oder nach Israel liefert. Deutschland tut das und beklagt sich über die Resultate. Zumindest jene in Gaza.

Ralf Pöhling / 06.04.2024

Die Grünen sind preußisch bis auf die Knochen. Denen fehlt nur der richtige Fokus und das richtige Handwerkszeug zum Selbstschutz. Wer sich nicht schützen kann, tut eben nicht das, was er eigentlich tun müsste. Aber das kann man ändern. Ein wenig Offenheit vorausgesetzt. ;-)

Gerhard Schäfer / 06.04.2024

Ich habe nix dagegen, 20.000 Elefanten in der freien Wildbahn inmitten von Berlin auszusetzen!

Reinmar von Bielau / 06.04.2024

Den Würgegriff der grünen Bürokratie-Boa haben die Fischer (insbesondere die Lüttfischer) seit den 90er Jahren zu spüren bekommen und viele sind nicht mehr übrig. Seit der Jahrtausendwende geht es den Bauern mit denselben Methoden an den Kragen: es wird ein Gesetz nach dem anderen rausgebracht und wer da nicht mehr kostendeckend arbeiten kann, der verschwindet eben. Das grüne Wirtschaftswunder ist ein Wunder der Bürokratie, die mit massiven Auflagen aus EU und grünen Ministerien jedem Bauern seine Arbeit unmöglch macht. Wer es noch nicht kennt, der sollte sich über die Landwirtschaft regelmäßig bei Anthony Lee oder den Bauern aus der Mark informieren.

Fred Burig / 06.04.2024

@A. Ostrovsky:”... Ich werde keine toten Elefanten kaufen und auch keine lebenden….” Na, ob das ihre letzte Entscheidung ist? Schließlich haben die “Elis” ein ausgesprochen gutes Langzeitgedächtnis - wahrscheinlich auf der Basis von mehr Speicherkapazität vorm Rüssel, als Erichs sensationeller 1 Megabit- Chip damals in der DDR! Stichwort: natürliche Intelligenz! Oder doch nicht - egal! Jedenfalls sind mir solche Tiere - in ihrem normalen Lebensraum - lieber, als tölpelhafte “Hornochsen- Herden” in unserer Regierung! MfG

Stefan Riedel / 06.04.2024

Evolution? Artenschutz? Ein Furz in der Wüste? Artenschutz, welch ein Öko-Größenwahnsinn? Die Evolution hat schon längst entschieden. Öko hin oder her? 650, 6500,,6500000 Jahre in der Evolution, Ein Furz!

Sam Lowry / 06.04.2024

Nebenbei: Ich finde, die “5” auf dem deutschen Trikot hat etwas etwas mit “Nahtsie” zutun als die “4”. Aber wahrscheinlich wissen sie es selbst nicht!

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