Die Regierungserklärung von Olaf Scholz war ein Offenbarungseid an Ideen- und Teilnahmslosigkeit. Zumindest entfleuchte er diese Woche vor dem gut besetzten Plenum erneut in das Schneetreiben seiner programmlosen Floskeln und trugbildhaften Durchhalteparolen.
Ein verbales Schneetreiben zog am vergangenen Dienstag, den 28. November 2023, durch den Plenarsaal des Reichstags: monoton, farblos, eine unterkühlte, flüchtige Substanz im Übergang zur Konturlosigkeit. Als einen bürokratischen Akt emotionsloser Mitteilungspflicht vollzog der Bundeskanzler seine Regierungserklärung wie die Verlesung einer Teilungserklärung durch einen Notar.
Er bot einen rein technisch anmutenden Vortrag ohne jede Höhe und Brillanz, ließ entsprechend eine ambitionierte Antwort auf das vom Bundesverfassungsgericht verursachte fiskalische Beben vermissen, das den deutschen Bundeshaushalt auf den Kopf stellt, einer Komplettrevision aussetzt und Mauscheleien, wie sie die Scholz'sche Regierung wissentlich verfassungswidrig praktiziert hat, für die Zukunft strengstens untersagt.
Scholz bekannte sich zum Karlsruher Spruch, wollte dem Plenum und Bürgern aber nicht verkünden, wie man einem solchen Urteil im Kontext der Macht zur Geltung verhilft, noch wollte er sich für den gewaltigen Umfang seines Versagens im Amt entschuldigen. Er tat es nicht, mit keinem Wort des Bedauerns. Olaf Scholz hat ein existenzielles politisches Problem und tut so, als existiere diese Krise nicht als persönliches Dilemma, bei dem er als Kanzler und Mensch im Mittelpunkt der Verantwortung steht. Kurios genug.
Hölzern vorgetragene Verteidigungsrede
Der Kanzler stellte es sogar noch so dar, als sei alles ein lapidares Motivationsproblem (der Bundesbürger), für das sich alle nur „unterhaken“ müssten. Man spürte schon beim Zuhören den Phantomschmerz des Wohlstandsverlusts und die Bitterkeit magerer Jahre. Er will uns zu Duldern und Masochisten erziehen, als die wir dann „staatbürgerliche Freude“ am Kasteien und zwangsauferlegten Fasten verspüren sollen.
Wenn er gegen Ende seiner Worthülsensammlung anmeldet „You'll never walk alone“, kann man das durchaus so verstehen, dass er und seine Regierung nicht allein bleiben wollen mit der Bürde der unfähigen Verursacher. Er zieht alle mit hinein in sein System des Schuldkollektivs, das sich angeblich gemeinschaftlich und demokratisch für Lockdown, Impfmoralismus, Demonstrationsverbote, Energiepreishorror, Inflation, Arbeitslosigkeit, Klimahysterie und allgegenwärtige linksgrüne Besserwisserei entschieden haben soll.
Als ein gebeutelter, farbloser Kanzler, der das Vertrauen längst verloren hat, muss Scholz nun so tun, als gäbe es perspektivisch noch Politik zu erklären. Tagtäglich durchkreuzen er und seine „Ampel“ das hochtrabende Eigenbild „You'll never walk alone“ mit einem hochbrisanten Alleingang in Richtung einer gesellschaftlichen Transformation, die schwere Schäden nach sich zieht, als Wohlstandsvernichtung den Bürgern schmerzlich vor Augen geführt wird und eben nicht mehr als vernünftig zu beschreiben ist. Die hölzern vorgetragene Verteidigungsrede gerät zum Beleg, dass solche Politik einen Erklärungsnotstand erzeugt, da sie kaum positive Ergebnisse in der Gegenwart zu bieten hat.
Wortehülsenakribie von bestellten Grabrednern
Man kann auf Dauer keine Politik exekutieren, die auf Angst vor der Zukunft basiert, sei es die Angst vor dem Verlust von Wohlstand und Arbeit oder die Angst vor Krieg und Klimatod. Die Floskeln des Kanzlers, der gestelzte Optimismus, der unglaubwürdige Altruismus: Ansprachen unter Aussparung der real existierenden Gefühle der Menschen ohne Parteibuch, politisches Amt oder ideologische Ziele sind wohlfeiles Gerede. Man fühlt sich noch an Erich Mielkes Gestammel von 1989 in der DDR-Volkskammer erinnert: „Ich liebe doch alle Menschen“, sollte heißen: Warum liebt ihr mich nicht mehr? Für Olaf Scholz scheint auch diese Frage nicht mehr relevant zu sein. Die Deutschen wollen ihn mehrheitlich nicht mehr als Kanzler haben. Das Misstrauen ist Fakt.
Die Regierungserklärung von Olaf Scholz hätte die politischen Reaktionen und Schlüsse darlegen müssen, mit denen die Bundesregierung dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November zu begegnen gedenkt. Die Rede war aber ein Offenbarungseid an Ideen- und Teilnahmslosigkeit, an ausgeblendeter Selbstkritik und Verweigerung von politischer Energie. Der Kanzler sprach Worte, sagte aber nichts von Gewicht – vor allem nichts über seine eigene Rolle als Führungsperson.
Die Stereotypie seiner Gedanken und Parolen steht der Wortehülsenakribie von bestellten Grabrednern in nichts nach. Der Bundeskanzler wollte und konnte nicht aufrütteln oder motivieren, obwohl es solche verbalen Versatzstücke zuhauf in seiner Rede gab. Scholz hat anscheinend dichtgemacht vor der Möglichkeit seines eigenen Entsetzens, in das sich er und seine Mannschaft hineinmanövriert haben. Man könnte denken, das Amt habe ihn zutiefst traumatisiert, so blass und mechanisch wirkte er.
Farce unter dem artifiziellen Nimbus eines Machthabers
Aber er findet immer wieder Mittel und Wege, sich rhetorisch aus dem Staub zu machen, zumindest entfleuchte er diese Woche vor dem gut besetzten Plenum erneut in das Schneetreiben seiner programmlosen Floskeln und trugbildhaften Durchhalteparolen – begleitet von der ermatteten Unterstützung seiner Claqueure aus den grünen und linken Fraktionen.
Scholz unterließ es in seiner Rede, analytische Gedanken vorzutragen. Die Schlichtheit seiner Beschreibung einer spezifisch künstlichen Realität, in der die Regierungsbank und eine Vielzahl der Parlamentarier gefangen sind, zeigt aber auch, dass er es nicht für nötig hält, die Wähler und Bürger überzeugen zu wollen. Seine Regierungserklärung war eigentlich gar keine, sondern eine Farce unter dem artifiziellen Nimbus eines Machthabers. Ohne den Nimbus: total schwach, keiner Erwähnung wert.
Vielmehr wirkte die Erklärung wie eine Selbstvergewisserung in Richtung der Regierungsbank – kein Quäntchen staatsmännischer Erkenntnis, kein souveräner Handlungsausblick. Die Rede geriet zum niederschwelligen Versuch einer Schuldabwehr, Verschleierung, Bagatellisierung und Verharmlosung. Er musste sich nicht einmal winden – so ist er, der kühle Olaf – präzise nichtssagend und erstaunlich realitätsfremd verfing er sich des Öfteren im Realsatirischen, was ihm unverhoffte Lacher einbrachte.
Die Potemkin’schen Dörfer der Ampel-Zukunft
Wenn man aber den Wortlaut Revue passieren lässt, erkennt man die doppelzüngige Struktur eines banalen, irgendwie kindlichen Rechtfertigungsversuchs. Nehmen wir Olaf Scholz wortwörtlich und beobachten wir die Reaktionen des Plenums.
Am Anfang seiner Regierungserklärung vom 28. November vollführte der Kanzler eine rhetorische Pirouette: Scholz möchte die Freilassung einiger Geiseln aus den Händen palästinensischer Hamas-Terroristen feiern und mit einem Dank an die Helfer versehen, zu denen er auch „seine“ Bundesregierung zählt. Gute Nachricht, ein bisschen Glanz für Gratismut. Während sich die Außenministerin Ende Oktober bei einer UN-Resolution gegen Israel noch feige der Stimme enthalten und die jüdischen Freunde enttäuscht hatte, prahlte Scholz in seiner Rede damit, dass „die Bundesregierung weiter mit ganzer Kraft [dazu] beitragen“ wird, alle Geiseln „unverzüglich“ zu befreien.
Im Scholz'schen Kosmos existiert politische Stringenz nur mit sehr kurzer Halbwertszeit. Sie verfällt rasend schnell. Der Kanzler geht davon aus, dass „untergehakte“ Bundesbürger eine ähnliche Veranlagung zur Amnesie aufweisen, wie er sie selbst bezüglich skandalöser Vorfälle nachweislich hat (Cum Ex, Wirecard). Seine Regierungserklärung basiert auf der Annahme, man könne die Bürger für dumm verkaufen und ihnen weismachen, die Potemkin’schen Dörfer der Ampel-Zukunft seien zum Wohnen geeignet. Das ist auf eine skurrile Art lächerlich, aber auch unanständig, ja obszön, wenn er Deutschland beschwört zu glauben, seine Regierung würde niemanden allein lassen in den Bruchbuden und Nissenhütten dieser Zukunft, die er verfassungswidrig und wortwörtlich „verschuldet“ hat.
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Man muss seine Worte im Kontext hören, um die Strategie der Bagatellisierung zu verstehen, die sich im systematischen Herunterspielen der regierenden Verantwortungslosigkeit zu erkennen gibt, mit der die „Ampel“ letztlich die Industrienation Deutschland schleifen möchte und dem wirtschaftlichen Abstieg aussetzt. Er nennt das zuweilen „Chancen“, „Potentiale“, die Grünen nennen es „klimaneutrale Wirtschaft“. Potemkin’sche Dörfer eben.
Scholz' Taktik besteht darin, Nebelkerzen zu werfen. Wenn er beispielsweise behauptet, erst das „sehr weitreichende“ Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe zu einer „Konturierung“ geführt, die für „detaillierte“ fiskalische Klarheit gesorgt habe, will er uns erklären, dass sein Wirken bisher in einer Grauzone habe stattfinden müssen, die nun im Angesicht seiner Fehler und Verfehlungen Amnestie-Charakter bewirke.
Er insinuiert, die waghalsigen Haushaltsumbuchungen, die „Schuldentricks“ seien erst seit dem 15. November verfassungswidrig. Jedoch: Nach § 17 StGB handelt ein Täter ohne Schuld, wenn beim Begehen der Tat die Erkenntnis fehlte, Unrecht zu tun – aber nur soweit der Irrtum nicht vermeidbar gewesen war. Im Umkehrschluss: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, wenn der Irrtum vermeidbar gewesen ist.
Scholz gibt in seiner Regierungserklärung offen zu, dass seine irrtümlichen Entscheidungen als Kanzler vermeidbar gewesen wären. Das Karlsruher Urteil wirft jedoch darüber hinaus helles Licht in seine Vergangenheit, als Scholz noch Minister unter Merkel war. Dort hantierte der Finanzminister Olaf Scholz schon mit Haushalts-Improvisationen, die als nicht verfassungskonform angemahnt und gekennzeichnet wurden.
Mit dem Kanzler und den Grünen im selben Klimaboot
„Wir haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken beim Nachtragshaushalt“, sagte damals FDP-Fraktionsvize Christian Dürr im Tagesspiegel bezüglich des von Scholz eingebrachten zweiten Nachtragshaushalts für 2020. Die Erhöhung der Neuverschuldung sollte wegen der Corona-Maßnahmen 62,5 Milliarden Euro betragen. Der damalige Finanzminister und heutige Kanzler wusste also um die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit seiner „Schuldentricks“. Man hatte es ihm offiziell zugetragen.
Die Scholz'schen Nebelkerzen vom 28. November lauten wie folgt: „Vieles im Umgang mit der Schuldenbremse war bislang rechtlich eher nicht eindeutig geklärt.“ (Laute Lacher im Plenarsaal.) „Mit dem Wissen um die aktuelle Entscheidung hätten wir im Winter 2021 andere Wege beschritten, Wege, die das Gericht in seinem Urteil ebenfalls gewiesen hat. [...] Wir haben in den vergangenen Tagen intensiv über die Folgen des Urteils beraten. Diese Beratungen sind – wie sollte es anders sein – noch nicht abgeschlossen. Sorgfalt geht dabei vor Schnelligkeit.“ (Lachen, Schmährufe, Unruhe.)
„Klar ist, dieses Urteil schaffte eine neue Realität. [...] Eine Realität, die es allerdings schwieriger macht, wichtige und weiterhin geteilte Ziele für unser Land zu erreichen.“ (Wie gesagt: Eine „neue“ Realität hat das Bundesverfassungsgericht dem Kanzler nicht gewiesen. Sein Hinweis auf „weiterhin geteilte Ziele“ soll den Bürgern hingegen weismachen, dass es eine kollektive Entscheidung war, mit dem Kanzler und den Grünen im selben Klimaboot zu sitzen, dessen Ziele nun in unerreichbare Ferne gerückt wurden, während der überfüllte, löchrige Kahn „Deutschland“ Schlagseite bekommt.)
Ein soziales Märchen erzählen
Scholz weiter: „Schwierig geworden ist es auch, weil Deutschland in den vergangenen zwei Jahren von schweren, unvorhergesehenen äußeren Krisen erschüttert worden ist, wie sie unsere Republik in dieser Konzentration und Härte wohl noch nie erlebt hat.“ (Lautes Bedauern im Plenarsaal). Während die gute Hälfte der Parlamentarier sich über diese naiven und fadenscheinigen Auslassungen des Kanzlers amüsieren, vergeht den Bürgern allerdings der Spaß. Olaf Scholz behauptet zwischen den Zeilen nämlich zweierlei:
Erstens: Ihr habt es doch alle so gewollt („geteilte Ziele“).
Zweitens: Wir können jetzt „eure“ Politik nicht mehr umsetzen, weil die Bedingungen so schlecht sind. Höhere Gewalt zwingt uns, eure Lebensbedingungen den „weiterhin geteilten Zielen“ unterzuordnen.
Scholz will uns – wie in jeder Propagandaprosa üblich – ein soziales Märchen erzählen: „Am Ende geht es dabei auch um etwas Grundsätzliches, nämlich den Zusammenhalt in unserem Land, um den Sozialstaat. Es geht um die Frage: Steht jeder für sich allein, wenn es schwierig wird, oder haken wir uns unter [...] Wir alle kommen besser zurecht, wenn wir uns den Herausforderungen Seite an Seite stellen.“
Der antithetische Kanzler
Er sagt es nicht, aber denkt es für uns weiter: „Wir schaffen das.“ Scholz präzisiert: „Bei der Bewältigung der Energiekrise dürfen wir auf keinen Fall nachlassen.“ Dies ist noch so eine Nebelkerze: Man ersetze im Satz „Energiekrise“ mit „Klimaschutz“. Denn die selbst herbeigeführte Energiekrise ist die Abrissbirne, die zur Errichtung des Potemkin’schen Dorfs namens „Klimaschutz“ unerlässlich ist.
Ein anderes Potemkin’sches Dorf heißt „klimaneutrale Gesellschaft“. Deshalb Scholz: „Wir müssen jetzt kraftvoll in die Modernisierung Deutschlands investieren. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir in Deutschland die Transformation unserer Wirtschaft hinbekommen und als starkes Industrieland wettbewerbsfähig bleiben.“ Der Kanzler spricht von seiner ihm anhaftenden Antithese zur Realität, wie sie eine Mehrheit der Bürger nicht (mehr) wahrnimmt. Der Kanzler lebt in einer Parallelwelt.
Ähnlich realitätsfern behauptet der antithetische Kanzler in seiner Ansprache zur „Coronapandemie“: „Auch hier ging es um Sicherheit und eine Perspektive für die Bürgerinnen und Bürger. So und nur so ist Deutschland viel besser durch diese Jahrhundertpandemie gekommen als viele andere Länder.“ Davon ist heute so viel widerlegt, dass man es als glatte Lüge bezeichnen könnte.
Schatten seines Wirkens
„Wir lassen niemanden allein ...“ (lautes Gelächter) „mit den Herausforderungen, mit denen wir es aktuell so geballt zu tun haben. You'll never walk alone – das habe ich im vergangenen Jahr versprochen und dabei bleibt es.“ Olaf Scholz hält offensichtlich an seinem Versprechen fest, nicht von unserer Seite zu weichen. Das ist kein Versprechen, sondern eine beunruhigende Drohung von einem „Klempner der Macht“, wie ihn Friedrich Merz (CDU) in der Aussprache am Ende der Regierungserklärung nannte.
Als Kanzler und Milliardenjongleur hat sich Olaf Scholz unmöglich gemacht. Er hat verfassungswidrig agiert – andere Schatten seines Wirkens (als Erster Bürgermeister Hamburgs) sind der Öffentlichkeit durch seine „Vergesslichkeit“ oder abstruse Datenlöschungen auf Geräten in der Obhut von Parteigenossen entgangen.
Der biedere, steife Mann hat dunkle Seiten, die ihn für Niedrigeres empfehlen. Wenn er nach all dem Versagen und Fehlverhalten nun abdanken würde, blieben ihm dennoch ausreichend berufliche Perspektiven. Olaf Scholz ist zugelassener Rechtsanwalt und hat kleine Anteile an der Tageszeitung taz. Als Grabredner könnte er sich jedoch noch besser verdingen. Er ist offensichtlich ein Meister des nüchternen, phrasenhaften Abgesangs. Er kann sogar ein Requiem auf Deutschland abhalten, ohne dass sich das Land darüber empört und seinen sofortigen Abtritt fordert. In seinem lapidaren „Neusprech“ höre ich Olaf Scholz noch sagen: „Shit happens.“
Dieser Text erschien in gekürzter Fassung zuerst im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den Sie hier kostenlos bestellen können.
Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.