Das sogenannte Potsdamer „Geheimtreffen“ wurde im Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht. Die Zuschauer sind sich nicht gewahr, dass sie dem deutschen Topos schlechthin verhaftet sind, wenn die Schauspieler ihrer szenischen Aufgabenstellung von Entmenschlichung akribisch nachkommen.
Was haben die „Stürmung des Reichstags“ (29. August 2020), die Verhinderung des „Rollator-Putsches“ (7. Dezember 2022) und die „Potsdamer Wannseekonferenz“ (25. November 2023) gemeinsam? Neben den Anführungszeichen ein übertriebenes politmediales Hysterisieren, das in seiner unnötigen Aufwallung eine jeweils „dünne“ und beherrschbare Faktenlage zu einer angeblichen Verschwörung gegen die Demokratie aufbauscht. In keinem der drei Fälle war oder wäre die Demokratie in Gefahr gewesen.
Das „Geheimtreffen“ in einem Potsdamer Hotel erfüllt den nahezu lächerlichen Tatbestand von rechter Belanglosigkeit und Langeweile, über die sich gänzlich machtlose Menschen in kleinem Kreis austauschten. Nur die „ermittelnden Journalisten“ sind offenbar unrettbar vom Schauder des vermeintlich Bösen ergriffen, so dass sie – eitel und blasiert – das Lager wechseln und statt nüchterner Berichterstattung über ein rechts-konservatives Treffen lieber ins Szenische übergehen, wo der konstruierte Skandal unversehens zur Fiktion und Farce abdriftet, um – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – in Satire, Häme und Narzissmus zu landen. Mit Journalismus hat das kaum etwas zu tun, eher mit einer selbstreferenziellen Show auf Kosten anderer.
Eine Theaterinszenierung, die gegebenenfalls die juristischen Schattenseiten der (illegalen) Investigativ-Abhörung und die Missachtung von Persönlichkeitsrechten in Potsdam abzuschwächen versucht, ist dennoch ein absolut unverständliches Stilmittel, wenn es um die Frage von journalistischer Seriosität geht. Schon hier lässt sich erkennen, dass die Spitzel von Correctiv bei der Frage der wahrheitsgetreuen Wiedergabe ihrer Erkenntnisse in einem Dilemma stecken, das sie klug dafür nutzen, die Steilheit der Angelegenheit, also den Skandalfaktor, im Rahmen der künstlerischen Freiheit zugespitzt aufzuladen, womit sich nebenbei die illegalen Methoden ihrer „Aufdeckung“ in einer Grauzone verklappen lassen.
Der Begriff „Deportation“ ist aus der Luft gegriffen
Moralisch fühlen sich die „Journalisten“ ohnehin dazu aufgerufen, frei zu agitieren, also behaupten sie, so oder ähnlich hätte es sich zugetragen. Sie müssen und dürfen die harten Beweise schuldig bleiben und die O-Töne verbergen – auch weil sich vielleicht herausstellen könnte, wie banal die Sache eigentlich abgelaufen ist. Die Angeschuldigten werden in der Inszenierung des Berliner Ensembles zu vorbehaltlos Schuldigen, Bösen, die kein Recht und keine Möglichkeit zur Gegendarstellung mehr haben dürfen.
Das alles ist für solchen „Journalismus“ irrelevant: Den beabsichtigen Flurschaden bei den Zielpersonen und die Solidarisierung der Öffentlichkeit hat Correctiv sicher, weil das ausgewählte Publikum und die politische Nomenklatura zwischen Behauptung, Gerücht, Fakt und Beleg nicht mehr zu unterscheiden bereit oder fähig ist und die moralische Komponente unter Verneinung von Empathie und Zweifel ein klares Signal sendet: Solche unwürdigen, rechten „Kreaturen“ darf man unter Ausklammerung eigenpropagierter Moralstandards hassen und fertigmachen.
Wäre das Thema „Verschwörung“ wirklich dringlich gewesen und ein ausreichender Verdacht von Staatsfeindlichkeit erwiesen, dürfte der Zeitrahmen bis zur Publikation keinen Aufschub geduldet haben. Etwa sieben Wochen ließ man sich Zeit. Auch hätte jegliche Fiktionsanleihe unterbleiben müssen. Aber im Rausch ihrer Selbstbeweihräucherung begeben sich die stolzen „Correctivisten“ auf das dünne Eis der Vergleiche, landen bei der Wannseekonferenz von 1942 und insinuieren bei den Teilnehmern in Potsdam Deportationsabsichten von Migranten.
Der Begriff „Deportation“ ist aber aus der Luft gegriffen, fiel bei dem Treffen offensichtlich gar nicht – er dient der künstlerischen Dramaturgie und Dramatisierung. Nun ist er außerhalb des Berliner Ensembles in aller Munde und heizt die Stimmung auf. Agitation ist auch die Aufladung von Begriffen. Unsere Regierung finanziert so etwas.
Journalistische „Paramilitärs“
Die „Ermittlungen“ müssen hier in Anführungszeichen gesetzt bleiben, weil sie vage und von reinem Raunen durchsetzt sind. Aber sie werden von denen, die politisches oder mediales Kapital daraus schlagen wollen, so aufgegriffen, gesetzt und manipuliert, dass eine Bedrohungslage daraus zu verstehen ist. Auch der Kanzler mischt als Claqueur bei dieser konzertierten Zersetzungskampagne mit, die man schamlos als Investigation zum Wohle der Gesellschaft noch zu tarnen versucht. Alles ist möglich, in Deutschland unter der Regierung von SPD, FDP und Grünen, die alles transformieren wollen: Ist das schon eine Demokratiewende, in der es relative Wahrheiten geben darf, für die Regierungsvertreter als Schirmherren auftreten?
Solche Missgriffe passieren Olaf Scholz in letzter Zeit immer öfter, er wirkt nervös und genervt: Auch bei den Bauernprotesten schoss er viel zu schnell aus der Hüfte und landete mit seinen falschen Verdächtigungen und Fingerzeigen keinen Treffer, außer bei sich selbst. Außerhalb seiner politmedialen Filterblase wird der Kanzler ohnehin nur noch ausgebuht, da existiert keine relative Wahrheit, sondern bitterer Ernst. Im aktuellen Fall des Potsdamer „Geheimtreffens zum Zwecke von Deportationen“ scheuen sich aber auch viele andere Politiker und ihre Beifallsmedien nicht, unsägliche Nazivergleiche heranzuziehen, die der Banalität der realen Abläufe überhaupt nicht gerecht werden.
Der Staat und die Regierung halten sich journalistische „Paramilitärs“, die unter ihrer Ägide und Finanzierung Dinge tun dürfen, die staatlichen Institutionen verwehrt bleiben: Zensur, anlasslose Bespitzelung, Zersetzung und Rufschädigung von Privatpersonen, ohne staatsanwaltliche Aufsicht, zu politisch korrupten Zwecken.
Mit Klarnamen an den Pranger gestellt
Am Ende scheint die ganze Angelegenheit ein abgekartetes, politisches Spiel zu sein. Neben der Inszenierung einer Verschwörungsfiktion am Berliner Ensemble ist es der (gelungene) Versuch, ein paar unternehmerische Existenzen zu vernichten, neugierige Konservative mit Kontaktschuld anzuschwärzen und den eigenen schwachen Journalismus als etwas aufzuhübschen, was man als wertvolle staatliche Investition betrachtet haben will. Man möchte eine Mobilisierung gegen die AfD erwirken, damit die Politik es „endlich“ wagt, den schwierigen Weg des Parteiverbots einzuschlagen. Da ist das sinistre „Geheimtreffen“ ein Treppenabsatz zum Verbotsverfahren im höher angesiedelten, verfassungsrechtlichen Stockwerk – zumindest emotional.
Die „Journalisten“ präsentieren eine eitle, selbstgerechte Spitzelgeschichte, die – trotz Anwesenheit und Vortrags des Identitären Martin Sellner – so banal ist, dass sie schon im textuellen Ansatz als Theaterstück über die stereotype Behauptung des Bösen nicht hinauskommt und dabei jegliche (journalistische) Distanz verliert. Die Protagonisten werden mit Klarnamen an den Pranger gestellt, als „Faschos“ entmenschlicht und – wie in Diktaturen und den zugehörigen Schauprozessen üblich – niedergemacht, mit Verachtung bedacht, sozial ausgegrenzt, neudeutsch „gehated“.
So brandgefährlich und skandalös kann das private „Geheimtreffen“ in Potsdam nicht gewesen sein, wenn Regierung, Verfassungsschutz und Staatsmacht den Schreibern eines staatlich mit mehreren Millionen alimentierten journalistischen „Korrekturbüros“ über Wochen Zeit gelassen haben, ihre Ergüsse in eine Schmierenkomödie zu verwandeln, die am Berliner Ensemble dann endlich ihre Premiere haben durfte.
Erbsubstanz des Deutschen
Als Zuschauer anwesend waren allenfalls Gefangene ihrer eigenen Filterblase, deren Enge wohl nur mit permanenter Selbstvergewisserung erträglich zu sein scheint. Man weiß, man gehört zu den Guten, wenn man das Böse rechts der Mitte mit Augen und Ohren gierig aufsaugen darf, um es folgend wie ein Gewölle wieder herauszuwürgen. Standing Ovation, Helden feiern, Gejohle, Happening, gemeinsame Sprechchöre. Der intellektuelle Nährwert dieser Inszenierung ist gering, die Gewissheit der moralischen Überlegenheit vor dem „Monströsen“ jedoch exorbitant – zumal der Kanzler seinen Segen zu diesem „Kollektiverlebnis von Erweckung“ gegeben hat.
Man riecht förmlich den Geifer und die Empörung im Auditorium. Die Zuschauer im Berliner Ensemble, der ehemaligen Wirkstätte Bertolt Brechts, sind sich nicht gewahr, dass sie hier dem deutschen Topos schlechthin verhaftet sind, wenn die Schauspieler ihrer szenischen Aufgabenstellung von Entmenschlichung akribisch nachkommen. Den Zuschauern wird erlaubt, Personen als vorgefertigt „Schuldige“ anzusehen, sie zu verachten und zu entmenschlichen. Damit werden alle Beteiligten – Schauspieler, Zuschauer, „Journalisten“ und „Verurteilte“ – Teil eines perfiden soziokulturellen Phänomens, das als Erbsubstanz des Deutschen reflexhaft und unbekümmert an die „DNA“ der Wannseekonferenz nahtlos anknüpft. Die Idee zur Rückkehr zu diesem deutschen Topos kommt aber nicht von den Teilnehmern des „Geheimtreffens“, sondern von den Spitzeljournalisten selbst, die sich damit brüsten, zu den Guten zu gehören.
Die narzisstische Selbstbeweihräucherung im Angesicht herbeigeschriebener „Nazigefahr“, zeugt nicht nur von der kleinkarierten Blockwartmentalität des „Korrekturbüros“. Man hat sich anscheinend zum Ziel gesetzt – und ist monetär dazu ausgestattet worden –, als vorstaatliche Gesinnungsprüfungsanstalt Aufgaben des Verfassungsschutzes und der Gesinnungszensur zu übernehmen.
Show über die eigene Herrlichkeit
Es mutet hingegen feige und inkonsequent an, wenn gleichzeitig arabische Demonstranten in der Hauptstadt explizit „Juden ins Gas“ rufen dürfen, aber die „Journalisten“ von Correctiv zu diesem eindeutigen „Wannseekonferenz-Nazisprech“ nicht recherchieren möchten, keine Täter prahlerisch dingfest machen und das Berliner Ensemble keine szenische Lesung dafür anberaumt. Ist ja auch klar: Es geht nicht um migrantische Milieus, die polit-ideologisch irrelevant sind, sondern um das breite deutsche Bürgertum des Mittelstandes und der Mittelschicht, die per demokratischer Wahl aus der linken Filterblase ganz schnell die Luft herauslassen könnten. Das will man verhindern, auch mit demokratisch unlauteren Mitteln, wie Pauschaldiffamierung und Drohung sozialer Ächtung. Deshalb müssen Exempel statuiert werden. Das hat mit dem Potsdamer „Geheimtreffen“ schon bestens funktioniert. Man wird sich auftragsgemäß bald auch an andere Konservative, Rechte, Oppositionelle heranschleichen, um ihre Privatsphäre zu infiltrieren.
So darf man Säuberungsmaßnahmen lostreten, die auch bei wohlwollender Betrachtung nicht als demokratisch bezeichnet werden können. Wenn nämlich Investigation, Anklage und Veröffentlichung als selbstreferenzielle Inszenierung eines ideologischen Willens kongruent übereinander liegen und den Zweifel als Korrektiv außen vor lassen. Wenn aus dem Ganzen eine Show über die eigene Herrlichkeit wird, sind die Grenzen von seriöser Faktenbeschaffung und Information überschritten, kein „Selbst-Correctiv“ mehr vorhanden. Es bleibt nichts außer der wahnhaften Rufschädigung unliebsamer Meinungsgegner. Das ist aber keine demokratische Haltung, sondern höchstselbst eine protofaschistische.
Deniz Yücel, jener ehemalige Journalist der taz, der wegen seiner Erdogan-kritischen Meinungsäußerungen in der Türkei inhaftiert worden war, aber mit Hilfe eines großen deutschen Medienaufgebots frei kam (auch Achgut.com hatte sich damals für ihn eingesetzt), twitterte auf „X“ am 17. Januar 2024: „,Correctiv enthüllt’ als szenische Lesung im @blnensemble: Im Vergleich hierzu – zu dieser kulturindustriellen Verramschung des Politische[n] plus der narzisstischen Selbstüberhöhung von Journalisten – war die Art, wie die @SZ ihre Aiwanger-Recherche zerschossen hat, ein Klacks. /2“.
Dieser Text erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den Sie hier kostenlos bestellen können.
Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.