Alexander Wendt / 02.05.2019 / 06:25 / Foto: Pixabay / 121 / Seite ausdrucken

Kevin und das Kollektiv. Oder: Ärmer werden, die SPD ist die Antwort

Zum 1. Mai legte der Juso-Vorsitzende und ideelle SPD-Chef Kevin Kühnert in einer ZEIT-Vorabmeldung seine Pläne zur Einführung des Sozialismus in Deutschland dar, nicht schwammig, sondern sehr konkret am Beispiel der Enteignung von BMW. Der Vorschlag fand große Beachtung, anders übrigens als die fast zeitgleich vorgestellte Steuerreform, die Sebastian Kurz in Wien vorstellte. Beide Meldungen gehören zum besseren Verständnis der Gegenwart zusammen, einschließlich ihres jeweiligen Medienechos.

In dem ZEIT-Interview begründet Kühnert, warum wir alle um Enteignungen nicht herumkommen: 

„Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“

Das trifft sogar zu. Am Beispiel des Autoherstellers BMW exerzierte er dann durch, wie die Plünderung von Eigentum vonstatten gehen soll:„Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ,staatlicher Automobilbetrieb‘ steht oder ,genossenschaftlicher Automobilbetrieb‘ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht.“ Jedenfalls müsse die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werden. „Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt.“

In aller Regel schließt eine Kollektivierung auch aus, dass es Profite gibt, selbst dann, wenn ein Unternehmen – etwa die größte Erdöl-Förderfirma Venezuelas – auf den ersten Blick so wirkt, als wäre es unruinierbar.

An dem von ihm gewählten Beispiel BMW lässt sich gut erklären, was reaktionäre Politik regressiver Linker heute bedeutet. Das Unternehmen hat nämlich nicht einen Eigentümer, sondern ziemlich viele. Manche davon wohnen wahrscheinlich auch in Kühnerts Nachbarschaft, der eine oder andere hatte zu Zeiten, da das gegenwärtige Führungskollektiv die SPD alten Typs noch nicht überwunden hatte, womöglich sogar sozialdemokratisch gewählt. Die Bayerische Motoren Werke AG zeichnen sich durch einen ziemlich großen Streubesitz aus – er liegt bei 53,2 Prozent. Susanne Klatten und die Familie Quandt, die meist als Eigentümer genannt werden, halten gerade 21,1 Prozent der Aktien.

BMW gehört schon einem Kollektiv

An der Börse gehört die BMW-Aktie zu den langweiligen Papieren, die sich über Jahre hinweg ohne extreme Schwankungen bewegen und eine zwar nicht gewaltige, aber zuverlässige Dividende ausschütten. Für Investoren mit großer Gewinnerwartung kommt sie deshalb nicht in Frage, dafür um so mehr für Wertpapiereinkäufer von Lebensversicherungen und Betriebsrentenfonds. Wer eine Lebensversicherung, einen Riester-Vertrag oder eine branchenspezifische Zusatzaltersvorsorge besitzt, der ist auch mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Eigner von BMW-Aktien. Und jeder Käufer eines Aktienfonds, der den Dax abbildet, sowieso.

BMW gehört also schon einem Kollektiv: nämlich denjenigen, die Anteile an dem Konzern erworben haben, weil sie glauben, dass nur sie selbst sich aus dem Elend erlösen können. Wahrscheinlich sind mehr Einzelpersonen auf die eine oder andere Weise an BMW beteiligt als über das Mitgliedsbuch an der SPD.

Um die Überwindung des Kapitalismus voranzutreiben – in Kühnerts Heimatstadt Berlin ist der Kapitalismus übrigens schon so gut wie abgeschafft – will der Juso-Vorsitzende die BMW-Aktionäre also enteignen, was nur konsequent ist. Denn erst dann kann ein kevinistisches Kollektiv entscheiden, dass es BMW in dieser oder irgendeiner anderen Form nicht mehr braucht. Solange die Altersvorsorge von ein paar hunderttausend Menschen daran hängt, dass BMW noch Gewinne einfährt, solange wird das Management dafür sorgen, dass Gewinne nach Investitionen und Steuern nur an die Anteilseigner verteilt werden, und die Eigner wiederum, so kapitalistisch, so unflexibel, werden darauf dringen, dass das so bleibt. Ohne Enteignung ändert sich daran in der Tat nichts. Und jetzt der Blick nach Wien, wo Bundeskanzler Sebastian Kurz, den Kühnert, wenn nicht gerade für einen Neonazi, so doch zumindest für neonazinah hält, seine Steuerreform für die kommenden Jahre vorstellte.

In Österreich ein Monatsgehalt netto pro Jahr mehr

Seit Anfang 2019 gilt in Österreich schon der sogenannte Kinderbonus von 1.500 Euro, der dazu führt, dass eine Normalverdiener-Familie mit zwei Kindern ungefähr ein Monatsgehalt netto pro Jahr mehr bekommt. Die neue Steuerreform sieht zusätzliche Entlastungen von 8,2 Milliarden Euro bis 2022 vor – erst durch die Reduzierung von Sozialabgaben 2019, ab 2021 auch durch die Senkung der Einkommensteuer. Von dem ersten Schritt profitieren Arbeitnehmer, beim zweiten profitieren sie mit.

Die beiden Modelle zeigen also sehr eindrücklich den Unterschied zwischen progressistischer und reaktionärer Politik. Während Kühnert, wenn man ihn ließe, Bürger zum Zweck der Kollektivierung gern pauperisieren und wieder zu den Verdammten dieser Erde machen würde, verfolgt der rechte Kurz mit seinem noch rechterer Koalitionspartner das Ziel, ihnen mehr von ihrem erarbeiteten Geld zur Verfügung zu lassen, auf dass sie damit privat, erratisch und staatlich unangeleitet tun können, was sie für richtig halten.

Wie gut sich mit dem ersten Weg der Kapitalismus und am Ende auch der privatanarchische Konsum von Lebensmitteln und Toilettenpapier überwinden lässt, dafür bietet Venezuela derzeit eine praktische Anschauung, ein Land, in dem sogenannte Collectivos im Auftrag eines Präsidenten für Ordnung sorgen, der gewissermaßen den konsequentesten Gegenentwurf zu Kurz darstellt.

Und nun zum jeweiligen Medienecho. In deutschen Medien kam Kurz’ Steuerreform nur spärlich vor, in der Tagesschau etwa nur ganz am Rande eines größeren Berichts, in dem es ausschließlich über die FPÖ und deren Streit mit einem dortigen öffentlich-rechtlichen TV-Moderator ging.

Am 26. Mai findet die Europawahl statt.

Die Tagesschau lieferte zu der Steuerreform keine eigenen Informationen, sondern verlinkte nur einen Beitrag des ORF.

Kühnerts Aufforderung zur Plünderung wurde von etlichen Qualitätsmedien fast kommentarlos wiedergegeben, jedenfalls ohne Einordnungshilfen wie „linkspopulistisch“ und „krude“, und auch ohne beigefügte Empörungstweets und Forderungen nach Parteiausschluss. Schließlich hatte der Juso-Vorsitzende auch keine Kritik an der Imagekampagne der Bahn vorgetragen wie Boris Palmer, sondern nur vorgeschlagen, den Wohlstand in Deutschland im Zuge einer gründlichen Durchkollektivierung zu vernichten.

Am 26. Mai findet die Europawahl statt. Viele Politiker überlegen derzeit, wie sie diesen Wahlgang attraktiver für die Bürger machen könnten. Es wäre ganz einfach: Jeder EU-Bürger sollte eine Partei wählen können, deren Politiker für Brüssel und Straßburg antreten. Von den gut 62 Millionen deutschen Wahlberechtigten könnte dann jeder, der es wünscht, die Partei von Sebastian Kurz ankreuzen.

Umgekehrt stünde es jedem Polen, Italiener und sogar noch jedem Briten frei, sich für die SPD Kevin Kühnerts zu entscheiden.Völker hören die Signale einem bekannten, wenn auch von der Kühnertpartei schon glücklich überwundenem Liedgut zufolge ziemlich gut. Es gibt also nichts zu befürchten.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Publico.

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Leserpost

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Dietrich Herrmann / 02.05.2019

Über Österreich sollte man wissen, dass es im Jahr für jeden eh schon 14 Monatsgehälter gibt. Und auch die Pensionisten erhalten 14 Pensionen im Jahr.  Das allerdings schon sehr lange…

Stefan Riedel / 02.05.2019

„Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“ Das ist doch Nostalgie pur. D ist auch schon viel weiter. Heute heißt das Fahrverbote, Grenzwerte, Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung,.... So überwindet man heute!

Werner Arning / 02.05.2019

Hat denn Kevin schon einmal etwas vom Godesberger Programm gehört? Die SPD hat dem Sozialismus abgeschworen. Kann ihm das einmal jemand erklären, dem Heißsporn. Nix enteignen, nix Internationale. Die SPD nennt sich Volkspartei. Sie ist für das Volk da, auch wenn man seit Jahren davon einen ganz Eindruck gewinnt. Sagen wir besser, sie WAR einmal für das Volk da. Jetzt macht sie hauptsächlich Flüchtlings- und Randgruppen-Politik. Aber Kevin, es nützt doch nichts, den Reichen alles wegzunehmen. Werden dann Leute wie du dafür sorgen, dass wir hier in Wohlstand und Sicherheit weiterleben? Ich schätze, das hältst nicht einmal du für realistisch. Das Leben ist weder Schule, noch Uni, noch Partei, noch Laberei. Das Leben ist echt, Kevin. So richtig echt. Da muss gearbeitet werden, produziert werden, bevor umverteilt werden kann. Wollt ihr das denn immer noch nicht begreifen? Dass du deine Ideale hast, Kevin, in allen Ehren und die seien dir gegönnt. Aber wenn Erwachsene anfangen, dir nach dem Mund zu reden und dich zu zitieren, dann bekomme ich Bedenken.

Rolph Martin / 02.05.2019

Hallo Herr König! Sie. Werden. Noch. Viel. Mehr. Können! Aber Sarkasmus mal beiseite. Sind Sie denn privat so tief in Dunkeldeutschland verwurzelt, dass Sie sich nicht vorstellen können, ihre Koffer zu packen und zu gehen? Vergessen wir doch mal für einen kurze Moment die Echo-Raum-Bestätigung hier auf Achgut. Glauben Sie denn wirklich, es wird sich für Sie und ihre Lieben etwas zum Besseren verändern? Ganz nüchtern und sachlich betrachtet? Ich war da schon vor drei Jahren skeptisch und fühle mich heute zusehends in meiner Entscheidung, das Land zu verlassen, bestätigt. Ich arbeite in der Schweiz, verdiene als Handwerker zwischen fünf und siebentausend Franken (je nach Überstunden) und lebe in der Ukraine, in der die Lebenshaltungskosten bei monatlich etwa 1000 Dollar liegen. Gut, das ist nicht jedermanns Sache, aber mir würde im Traum nicht mehr einfallen, seelenruhig ein Arbeitsleben bis zu Rente zu malochen, bei dem ziemlich wahrscheinlich ist, dass es in gesicherter Armut endet. Und eines dürfte doch klar sein: sie werden durch eine Wahl (zumindest in Deutschland) nie die Veränderung herbeiführen werden, wie sie zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschlands notwendig wäre. Aber letztlich ist es natürlich auch ein ganz typisches Verhaltensmuster der Deutschen: sie scheuen Veränderungen wie der Teufel das Weihwasser. In diesem Sinne: nur Mut! Ihr Pferdchen ist schon lange tot! Steigen Sie ab und satteln Sie um! Ihre Familie wird es Ihnen danken, bevor die Kevins Ihnen auch diese Entscheidung, das Land zu verlassen, abnehmen…

Heiko Engel / 02.05.2019

In der Hamburger Mönckebergstraße gibt es zwei Bratwurststände, vis a vis, deren Besitzer gewiss binnen kürzester Zeit zu wohlhabenden Menschen wurden. Die Dinger laufen gut. Kühnert würde dort sicher nach vier Wochen insolvent gehen. Das zur Wirtschafts - und Finanzkompetenz unserer durchgefütterten Politeliten. Alternativ wäre Haus 48 in Ochsenzoll, Psychatrische Forense, eine Lösung für Klein - Kevin. Kann er den ganzen Tag Karten spielen und Modelle durchspielen. Da fällt er nicht auf.

Berni Klein / 02.05.2019

Wenn er mal in einem Industrieunternehmen gearbeitet hätte, dann wüsste er wie stark die Positionen der Arbeitnehmerschaft und der Gewerkschaften schon heute sind. Die Enteignung ist nämlich bereits zu 50 % Realität z. B. in Aufsichtsräten, bei täglichen betrieblichen Entscheidungen, bei Entscheidungen über Investitionen/Desinvestitionen, bei Einstellungen oder Entlassungen (selbst von Führungskräften) geht nichts ohne die Mitwirkung oder ohne Zustimmung der Arbeitnehmervertreter. Jeder Management-Initiative werden sofort Forderungen entgegengestellt. Wenn die nicht erfüllt werden, wird blockiert. In meinen Unternehmen haben wir über 300!! freigestellte Betriebsräte.  Die Zeiten und Umstände, auf die sich die Arbeiten von Karl Marx beziehen, sind seit fast 100 Jahren vorbei! Also Herr KK. erst informieren, dann den Mund aufreissen.

Tobias Kramer / 02.05.2019

@Sabine Schönfelder: Besser kann man diese Person Kühnert nicht beschreiben. Doch wäre es nur dieser Kevin, man könnte damit leben. Leider ist es die gesamte linksgrüne Politik, die insgeheim genauso tickt. Und das ist dann schon nicht mehr so lustig.

Jutta Lotz- Hentschel / 02.05.2019

Diesem anarchischen Rotzlöffel, der in seinem Leben noch nie richtig gearbeitet und null geleistet hat, möchte man nur eines raten: “Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Schnauze halten!” K. Kühnert´s kommunistisch sozialistische Allmachts- Phantastereien würden hervorragend in ein Staatssystem wie z.B. Nordkorea passen, haben in Deutschland jedoch null und absolut nichts verloren!

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