Während man sich in Deutschland verbissen in der „Brandmauer“ verkeilt hat, werden im übrigen Europa fröhlich allerlei Bündnisse unter Beteiligung von Bürgerlichen, Konservativen und Patrioten geschmiedet: Mitte-rechts, rechts-links, rechts-rechts. Und die Welt geht nicht unter.
Es wird einsam um die politischen Exorzisten in Deutschland. Geert Wilders, frisch gekürter Wahlsieger in den Niederlanden, dürfte die nächste Regierung in Den Haag anführen – wahrscheinlich in einer Koalition mit respektive geduldet von Pieter Omtzigts Nieuw Sociaal Contract und den Rechtsliberalen um Dilan Yesilgöz. Die „Brandmauer“, die der scheidende Regierungschef Mark Rutte aufrechterhielt, wird dann eingestürzt sein. In Wien gingen ÖVP und FPÖ eine formelle Koalition ein, obwohl es der ÖVP auch für eine parlamentarische Mehrheit mit der SPÖ gereicht hätte, ohne dass Österreich seither um den Anschluss an Deutschland gebettelt hätte. Und auch im übrigen Europa sehen wir jede Menge Koalitionen, die nicht von Linksgrünen dominiert werden. Denn auch wenn es in Deutschland, wo der „Kampf gegen rechts“ ausgerufen und eine „Brandmauer“ errichtet wurde, vergessen sein mag: rechte, konservative, auch nationalistische Parteien zu wählen, ist jenseits unserer Grenzen völlig normal. Hier scheint inzwischen das gute alte Motto zu gelten: Right is right and left is wrong.
Werfen wir einen Blick auf die Europa-Karte und da zunächst nach Skandinavien. In Schweden lässt sich die Regierung Kristersson, eine Minderheitsregierung aus Moderater Sammlungspartei, Christdemokraten und Liberalen, von den Schwedendemokraten (bei uns als „rechtsextrem“ bzw. „Rääääächtspopulisten“ firmierend) tolerieren. In Norwegen gibt es eine Minderheitsregierung aus der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet und der Zentrumspartei Senterpartiet. Und in Dänemark koaliert Ministerpräsidentin Frederiksen, eine Sozialdemokratin, mit der liberal-konservativen Venstre und den liberalen Moderaten. Die rechte dänische Volkspartei ist marginalisiert, seit die Regierung eine restriktivere Einwanderungspolitik praktiziert: Abschiebezentren, weniger Geld für Asylbewerber (meist Sachleistungen), erschwerter Familiennachzug, Beschlagnahmung von Wertsachen („Schmuckgesetz“), Verbot von mehr als 30 Prozent „nichtwestlichen“ Migranten in Stadtteilen („Ghetto-Gesetz“), Kita-Zwang, um die Kleinen auf westliche Werte einzunorden und ihnen die dänische Sprache zu vermitteln.
Das wirkte auf versorgungssuchende Migranten offenbar abschreckend. Von Platz 5 der EU-Länder mit den meisten Asylbewerbern rutschte Dänemark auf Platz 20, im vergangenen Jahr suchten nur 4.600 Menschen in Dänemark Asyl. Entweder wussten sie nichts von den Restriktionen oder sie gingen tatsächlich gezielt nach Dänemark, weil sie Smørrebrød und Pølser lieben. Scherz beiseite: Ganz offensichtlich hat die Abschaffung der Pull-Faktoren den Zustrom entscheidend abgeschwächt – jener Pull-Faktoren, deren bloße Existenz hierzulande von sich wie Aale windenden „Faktencheckern“ und „Migrationsforschern“ geleugnet wird (etwa hier, hier und hier).
„Ich will keine Mini-Gazas in Budapest“
Sehen wir nach Mittel- und Osteuropa, in die Visegrád-Staaten. Dort hat etwa der polnische EU-Parlamentarier Dominik Tarczyński überhaupt kein Problem damit, seine Abneigung gegen die „illegale muslimische Einwanderung“ kundzutun. Im Interview erwähnt er, dass genau deshalb, weil man keine illegalen Migranten aus islamischen Ländern über die Grenzen lasse, es noch nie einen Terroranschlag in Polen gab. Das Land habe zwei Millionen Ukrainer aufgenommen, aber die würden arbeiten und keinen Ärger machen. In Ungarn, wo die von Viktor Orbán geführte Koalition aus Fidesz („nationalkonservativ“, „rechtspopulistisch“) und KNDP (Christdemokraten) regiert, sieht man das ganz ähnlich. Orbán sieht, wie unsere Städte aussehen, er kennt unsere Kriminalstatistiken, und wenn er nach Frankreich blickt und etwa den brutalen Überfall von Migranten auf ein Dorffest registriert, wo die Täter „Wir wollen Weiße abstechen!“ rufen, sagt er sich: „Ich will keine Mini-Gazas in Budapest“.
Die will man auch in Tschechien und in der Slowakei nicht. In Prag stellt das Mitte-Rechts-Bündnis SPOLU mit dem drittplatzierten Mitte-links-Bündnis aus Piraten und Stan eine Koalitionsregierung. Und in Bratislava gibt es neuerdings ein Bündnis von Robert Ficos linkspopulistischer Partei Smer mit der sozialdemokratischen Hlas und der nationalistischen SNS.
In Großbritannien sind die Konservativen an der Macht; es sei daran erinnert, dass das Vereinigte Königreich nicht zuletzt der verheerenden Migrationspolitik wegen aus der Europäischen Union austrat. In Italien regiert eine Rechts-Koalition aus Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia unter Ministerpräsidentin Georgia Meloni, der deutsche Leitmedien vor der Wahl das Etikett „Postfaschistin“ angeheftet hatten, wovon sie jetzt lieber Abstand nehmen; schließlich steht Italien auf der Seite der Ukraine, und Kanzler Scholz soll ganz gut mit ihr auskommen, da bietet sich die Verteufelung nicht mehr so an.
Bloß kein Wasser auf die Mühlen der Unaussprechlichen…
Und dann ist da noch Frankreich. Dort hockt Marine Le Pen schon in den Startlöchern, ihr Rassemblement National liegt in den Umfragen vorn. Wer es noch rechter mag, hat mit Eric Zemmour von der Partei Reconquête eine noch islamkritischere Alternative. Und selbst der wird nicht aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen, weil eine Beteiligung als gefährlich angesehen würde. „Wasser auf die Mühlen“ der Unaussprechlichen zu kippen ist eine spezifisch deutsche Angst, die der heimlichen Gewissheit geschuldet sein mag, in einer offenen Debatte den Kürzeren zu ziehen.
Der politische Gegner wird von unserem politmedialen Komplex weiterhin ins Reich des Bösen verbannt. Meloni, Le Pen, Wilders, Kickl, Orbán – die wurden alle, auch Trump und Milei jenseits des Atlantiks, in Slytherin sozialisiert. Schlimm, dass die tatsächlich gewählt werden. Das könnte bei uns nicht passieren, schließlich gibt es da die „Brandmauer“, die verlässlich verhindert, dass sich jemals Mehrheiten jenseits von Linksgrün bilden. Allerdings muss eine Brandmauer entsprechend § 30 der deutschen Musterbauordnung, um den Anforderungen der Feuerschutzklasse F90 zu entsprechen, bauartbedingt nur über einen Zeitraum von 90 Minuten ein Übergreifen von Flammen und Rauch auf benachbarte Gebäude verhindern.
Die 90 Minuten sind schon lange herum. Im übrigen Europa schmieden Konservative und „Rechtspopulisten“ Bündnisse und siehe da: Die Welt geht nicht unter. Wenn sich das herumspricht, ist die alberne Brandmauer früher oder später auch zwischen Rhein und Oder Geschichte.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten