Claudio Casula / 15.06.2022 / 13:30 / Foto: Imago / 78 / Seite ausdrucken

Karlsruhe rügt Merkel

Das ging ja fix! Kaum zwei Jahre und vier Monate nach ihrer recht gewagten Forderung, die ihr nicht genehme Ministerpräsidentenwahl eines Landesparlaments „rückgängig zu machen“, ist Angela Merkel jetzt vom Bundesverfassungsgericht gerügt worden. 

Mit ihrer Äußerung habe Merkel das Recht auf Chancengleichheit der Parteien (in diesem Fall das der AfD, C.C.) verletzt, so das Bundesverfassungsgericht. Dem FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich, der sich im Februar 2020 mit den Stimmen von CDU, AfD und seiner Partei hatte wählen lassen und sogleich zum Rücktritt gedrängt wurde, hilft das zwar auch nicht weiter, aber wenigstens hat sich Karlsruhe zu einer pseudokritischen Geste aufgerafft, denn natürlich hat die Rüge für die umstrittene Altkanzlerin, die längst entspannt im Margot-Honecker-Büro sitzt, keinerlei Konsequenzen.

Die Ungeheuerlichkeit, die verfassungskonforme Wahl eines Landesministerpräsidenten annullieren lassen zu wollen, obwohl sie als Kanzlerin erstens nicht zuständig und zweitens zu Neutralität verpflichtet war, bleibt für Merkel folgenlos. Sie hat dafür gesorgt, dass ihr enger Parteifreund Stephan Harbarth (wirkte auch an der gedruckten Lobhudelei „Die hohe Kunst der Politik: Die Ära Angela Merkel“ mit) im Juni 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts wurde. Seither winkt Karlsruhe ganz gerne von der Regierung verhängte Maßnahme durch, erklärt Ausgangssperren für „mit dem Grundgesetz vereinbar“ und Schulschließungen für „angemessen“.

Sich selbst entlastet

Da hatte sich die Einladung zum gemeinsamen Abendessen im Kanzleramt am 30. Juni 2021, bei dem auch über die „Bundesnotbremse“ gesprochen wurde, doch gelohnt! Der naheliegende Befangenheitsantrag gegen Harbarth wurde genau vier Monate später abgelehnt – vom Bundesverfassungsgericht, das damit den eigenen Präsidenten entlastete.

Das ist das Land, das Merkel in 16 Jahren aus der alten Bundesrepublik gemacht hat. Ob vielleicht auch diese kritischen Anmerkungen schon in den neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ fallen? Mit viel bösem Willen könnte man sie als „Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen“ einordnen. Woraus wir lernen: Vor Politikern und Institutionen, die simple Kritik bereits als massive Bedrohung betrachten, während sie selbst täglich an der Delegitimierung des Staates werkeln, und sei es durch das Rückgängigmachen einer Wahl, sollte man auf der Hut sein. 

Foto: Imago

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Leserpost

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Peter Maier / 15.06.2022

Da hat Herr Habarth aber doch sicher erst mal die Zustimmung von Frau Merkel eingeholt, bevor diese Rüge erteilt wurde. Das wäre ja sonst noch schöner, wenn das BVG anfinge einfach nach Recht und Gesetz seine Urteile zu fällen. Aber da bin ich gaaanz beruhigt, soweit wird es b.a.W. nicht kommen.

Peter Bauch / 15.06.2022

Mit dieser Rüge - nach über 2 Jahren - hat das BVerfG den Politikerinnen quasi einen Freibrief für verfassungswidrige Äußerungen oder gar Handlungen ausgestellt. Dringlich ist es nicht und Folgen gibt es auch keine. Jeder Bubenstreich zieht da mehr Konsequenzen nach sich.

Torsten Hopp / 15.06.2022

Und 2062 kommt das erste kritische Urteil zur Corona-Politik.

Christian Feider / 15.06.2022

NATÜRLICH fällt Ihr Betrag unter den neuen Phaenomenbereich beim VS…aber seien Sie versichert,vorerst wird Ihnen noch nichts drohen,denn erstmal geht es drastischeren Kritikern wie Elsässer oder den ausdauernden PI’lern an den Kragen… alles also zu seiner Zeit

Albert Pelka / 15.06.2022

So richtig diktatorisch grob ist man bisher ja noch nicht geworden, aber es braut sich allerlei zusammen. Seit Mutti Aintschi ihre Staatsstreicheleien in Permanenz in die Tat umsetzte. Und nun ham’wer den Salat. Die BRD: “unser” Land des Lächelns. So schnell geht sowas:  Aus dem Bundesverfassungsgerichtshof wird der Bundesverlachungsgerichtshof. Aus dem Verfassungsschutz, so schnell konnte man gar nicht gucken, war plötzlich der Schutz des Staates vor den Bürgern schlechthin geworden, mit starker Tendenz zum Nomenklatura-Cordon sanitaire und damit auch irgendwie zu einem schnuggeligen KGB der Guten Herzen.

A.Schröter / 15.06.2022

Das wollen wohl einige Selbstmeinungsträger immer noch nicht begreifen, wir sind die Bananenrepublik Deutschland. Selbst Gerichtsurteile kann man vorausahnen.

L. Kauffmann / 15.06.2022

“Na na na!” Da gab’s eins aufs teigige Patschehändchen und einen ganz strengen Blick. So ist die kleine freche Maus doch nochmal um den Stubenarrest herumgekommen.

Stefan Riedel / 15.06.2022

“... aber wenigstens hat sich Karlsruhe zu einer pseudokritischen Geste aufgerafft, denn natürlich hat die Rüge für die umstrittene Altkanzlerin, die längst entspannt im Margot-Honecker-Büro sitzt, keinerlei Konsequenzen.” Pseudo- kritisch? Ich bin kein Jurist. Aber wenn sich auch die Richter in Karlsruhe an Recht und Gesetz halten würden?

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