Hier gibt es keine Orangen. Keine Bananen gibt es nebenan

Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR wird in der Berliner Republik noch immer – oder schon wieder – darüber diskutiert, was da untergegangen ist. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), sagt, die DDR sei zwar „eine Diktatur“ gewesen, ohne Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen und das Recht auf Opposition, dennoch sollte man es unterlassen, von einem „Unrechtsstaat“ zu sprechen, denn das Wort wirke so, „als sei das ganze Leben Unrecht gewesen“. Vonnöten sei aber „mehr Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen“.

Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Linke), geht noch einen Schritt weiter: „Die DDR war eindeutig kein Rechtsstaat. Der Begriff ,Unrechtsstaat‘ aber ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-Herrschaft…verbunden.“

Diese Aussage ist so gewagt wie ein Hochseilakt über einem Abgrund voller Giftschlangen. Ramelow, ein westdeutscher Gewerkschafter, der im Osten politische Karriere gemacht hat, setzt „Unrechtsstaat“ mit der „Zeit der Nazi-Herrschaft“ gleich, als hätte es vorher und nachher keine Unrechtsstaaten gegeben.

Das Dritte Reich als Maßstab aller Dinge

Er ist nicht der Einzige, der das Dritte Reich zum Maßstab aller Dinge nimmt. Er macht es nicht, um die Nazis zu glorifizieren, er macht es, um andere Unrechtssysteme zu verharmlosen, den Kommunismus zum Beispiel. Die Gulags waren schlimm, aber die Konzentrationslager waren noch schlimmer. 

Seine Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern versucht es derweil mit semantischen Tricksereien. Ja, die DDR war eine Diktatur, aber nicht unbedingt ein Unrechtsstaat. Könnte es eine Diktatur und ein Rechtsstaat gewesen sein? Das nicht, sagt Frau Schwesig, aber „Unrechtsstaat“ werde von vielen Ex-Bürgern der DDR als „herabsetzend“ empfunden.

Also Diktatur ja, aber weder Rechts- noch Unrechtsstaat. Irgendetwas dazwischen. Vielleicht ein Rechtsstaat an geraden Tagen und ein Unrechtsstaat an ungeraden? Das müssen wir jetzt ausdiskutieren, 30 Jahre nach dem Mauerfall. Dazu fällt mir ein alter DDR-Witz ein. Kommt ein Mann in einen Konsum-Laden und sagt: „Ich hätte gerne ein Kilo Bananen.“ Sagt die Verkäuferin: „Hier gibt es keine Orangen. Keine Bananen gibt es nebenan.“ 

Foto: Bundesarchiv/ Peter Zimmermann CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Thomas Hechinger / 16.10.2019

Es ist der immer wiederkehrende Versuch der Kommunisten, den realexistierenden Sozialismus zu verharmlosen. Deswegen wollen sie alle Vergleiche mit anderen totalitären Systemen verbieten, deswegen wollen sie einen Begriff wie “Unrechtsstaat” von seiner Bedeutung lösen und auf einen einmaligen historischen Kontext begrenzen. Dahinter steckt der offenbar unausrottbare Gedanke, der Sozialismus sei in seinem Kern wahr und gut, nur die Umsetzung sei nicht ganz so optimal gewesen. Dabei sagt einem doch schon die klassische Logik, daß, wenn alle Versuche einer Realisierung einer Gesellschaftslehre in der Katastrophe enden, der Wurm sich wohl im Kern festgesetzt haben muß. Alles ganz aktuell zu besichtigen in Venezuela. Und natürlich war die DDR eine Unrechtsstaat: das Einschließen der Bürger hinter Mauern und Selbstschußanlagen, die Mauertoten, die politischen Gefangenen, die verwehrten Zugänge zu Bildung und Beruf, wenn man nicht linientreu war - was braucht es mehr für einen Unrechtsstaat! Und es ist einfach albern, da dagegenzuhalten, daß die Menschen in der DDR doch nicht alle böse lebten. Das sagt ja niemand. Sie lebten in einem Unrechtsstaat. Wenn im Jahr 1934 in Deutschland ein junger Mann ein Mädchen auf einer Frühlingswiese zum ersten Mal geküßt hat, daraus eine Freundschaft und Beziehung entstand, die ein paar Jahre später zu Verlobung und Heirat führten - alle Verwandten und Freunde stießen an auf das junge Paar und wünschten Glück und Segen (und noch ein zeitgemäßes “Heil auf den Führer”) -, dann war das ja auch ...  schön, einfach nur schön. War das NS-Regime deswegen kein Unrechtsstaat?

Johann-Thomas Trattner / 16.10.2019

Tscha, Ramelow ist kein Kommunist und Schwesig ist nicht beschränkt intelligent. Und deswegen war die DDR kein Unrechtsstaat.

Tobias Kramer / 16.10.2019

Wie soll man einen Staat nennen, der 17 Millionen unschuldige Menschen hinter einer Mauer mit Stacheldraht und Selbstschussanlagen einsperrt? Ein Staat, der keine Skrupel hatte, Menschen auf der Flucht von hinten in den Rücke zu schießen und im Todesstreifen verbluten zu lassen? Ein Staat, der Menschen mit alternativer Meinung ins Gefängnis oder ins Arbeitslager steckte oder die nie wieder lebendig auftauchten? Ein Staat, der renitenten Eltern die Kinder wegnahm und zur Zwangsadoption freigab? Ein Staat, der ganze Familien mit ideologischer Kriegführung unter Mithilfe der Stasi zerstörte? Ein Staat, der Menschen wie eine Ware behandelte und gegen dringend nötige Devisen in den Westen verscherbelte? - - Das sind nur einige Fragen, die sich jeder gern selbst beantworten darf. Schlimmer als die Antworten ist aber die Tatsache, dass dieser Teil deutscher Geschichte verharmlost und vertuscht wird. Dabei sitzen heute noch verantwortliche Leute, Mitläufer und Mitwisser im Bundestag und sogar im Kanzleramt. Und noch schlimmer ist, dass viele der Praktiken von damals heute wieder aktuell sind.

Ingo kleimann / 16.10.2019

Sehr geehrter Herr Broder Wieder mal klarer Sachverstand. Frei von Ideologie und Vorurteilen. Mit freundlichen Grüßen Ingo

Thomas Taterka / 16.10.2019

Schwesig quatscht so dummes Zeug, daß man glauben könnte, sie hätte das halbe Gymnasium verpennt und Ramelow erweckt den Eindruck, als wären die westdeutschen Gewerkschaften von DDR -Kadern gelenkt worden. Und beide wollen die Zukunft dieses Landes lenken? Na, Herzlichen Glückwunsch Leute, ein Gratisticket für ‘ne Geisterbahnfahrt. Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los, jetzt geht’s los. Die roten Schals nicht vergessen!

Sepp Kneip / 16.10.2019

Ja, die Dialektik ist von den Kommunisten perfektioniert worden. Und keiner versteht sich darin besser als ehemalige SEDler. Das wirkt bis in die heutige Zeit. Unsere Kanzlerin ist in dieser Disziplin sogar Meisterin. Wie man sieht und hört, nicht nur die.

Corinne Henker / 16.10.2019

Unrechtsstaat ist - laut Herrn Ramelow - ausschließlich der Naziherrschaft vorbehalten. Was waren dann die Sowjetunion unter Stalin (3-20 Millionen Todesopfer), China unter Mao (mind. 50 Millionen Todesopfer) oder Kambodscha unter Pol Pot (750.000-2 Millionen Tote bei 8 Millionen Einwohnern)? Muss man da auch “Respekt vor den Lebensleistungen” der Unterstützer haben? Ich bin selbst in der DDR aufgewachsen (im Mai 1989 “geflüchtet”) und Aussagen wie die von Ramelow oder Schwesig widern mich einfach nur an!

P. F. Hilker / 16.10.2019

Statt die Wahrheit zu akzeptieren, wird in dieser Quatschrepublik der Kopf in den Sand gesteckt. Die Sichtweise der Politikerkaste ist eben alternativlos. Dieser ganze Quatsch ist wirklich kaum noch zu ertragen. Es ist an Dämlichkeit nicht mehr zu überbieten.

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