Claudio Casula / 23.06.2021 / 06:00 / Foto: Steffen Prößdorf / 209 / Seite ausdrucken

„Hass“ gegen Claudia Neumann? Echt jetzt?

„Der Logopäde von Annalena Baerbock soll sich erschossen haben.“ Das habe ich neulich bei Twitter verbreitet, ich geb’s zu. Nicht als Tatsachenbehauptung (ich weiß gar nicht, ob er noch lebt oder ob die Kanzlerkandidatin der Grünen überhaupt einen aufsucht), sondern als Anspielung auf die Neologismen, die Frau Baerbock beständig und in erklecklicher Zahl aus dem Munde zu purzeln pflegen: Steuerinnenzahler, Solidaridität, greichen, erwickelt, Parteitank, Desinfikationsmittel, kurrigiert, Aufschlung, prodizieren, neuerbare Energieren, Dreikleid, Grückenwind, Benzintreis, emonotial, seibere, Echsterwechsel, Schewegewara. Etwa 2.350 Leute fanden das lustig. Ja, ich weiß, eigentlich steckt da wohl eine Sprachstörung dahinter, manche verweisen auf die Wernicke-Aphasie, die ja tückischerweise auch noch häufig mit der Logorrhoe auftreten soll, einem unstillbaren Rededrang, aber ich will hier keine Spekulationen anstellen oder mich als Fachfremder in Ferndiagnosen versuchen.

Bis jetzt wurde der Tweet noch nicht gemeldet, was insofern verwundert, als in diesen Zeiten so ziemlich alles als „Hass und Hetze“ denunziert wird, um den Übeltäter aus dem falschen Lager mittelfristig aus dem Verkehr zu ziehen. Natürlich gibt es immer wieder Zeitgenossen, die ausfallend werden, beleidigen, drohen, und natürlich ist das ekelhaft. Im Fall Baerbock allerdings überwiegen deutlich Fassungslosigkeit ob der Anmaßung einer mediokren Politikerin, nach dem Kanzleramt zu greifen, sowie ironische Kommentare, auch mal ein fieser Witz, siehe oben – und dennoch wird jedes kritische Wort, das man über sie verliert, sei es wegen eklatanter Unkenntnis in der Sache („Das Netz funktioniert als Speicher") oder wegen eines peinlichen Auftritts mit Parteikollege Habeck, als „misogyn“ gebrandmarkt. Und natürlich auch da „Hass“ konstatiert, wo offensichtlich keiner vorhanden ist.

Es ist nämlich so: Kritik an Merkels verheerender Politik ist nicht frauenfeindlich, Kritik an Spahns planlosem Handeln in der Corona-Krise nicht homophob und Kritik an Robert Mugabe auch nicht notwendigerweise rassistisch. Über dieses dürre Stöckchen sollten wir alle nicht springen, sonst wird mit Totschlagvokabeln wie diesen jede Kritik für alle Zeiten abgetötet. Wer echten Hass erleben will, kann sich ja mal eine Demonstration am Al-Quds-Tag oder ähnliche Kundgebungen aus nächster Nähe ansehen. Hass als stärkste Form der Abneigung geht nämlich mit einer gewissen Aggressivität einher, und die drückt sich dort auf ebenso erschreckende wie vielfältige Weise aus.

„Deutschland – Italien, aber mit Heribert Faßbender“

Und jetzt kommen wir zu Claudia Neumann. Als Kommentatorin eines Fußballspiels hatte ich die Dame am Tag zuvor erstmals erlebt, beim EM-Spiel Italien – Wales. Über ihre fachliche Qualifikation maße ich mir hier kein Urteil an, räume aber freimütig ein, dass ich von Frauen kommentierte Fußballspiele meist meide, was hauptsächlich an den Stimmen liegt, die in emotionalen Situationen gern mal ins Schrille kippen. Das spannendste Spiel, im Radio mit Sabine Töpperwien am Mikrofon übertragen, konnte so für mich zur Tortur werden. Nun ist sie ja in den Ruhestand gegangen, und, wirklich: Niemand gönnt ihr den mehr als ich.

(Einschub: Auch hier spielt eine etwaige Frauenfeindlichkeit keine Rolle, ein Béla Réthy nervt viele Zuschauer genauso, und ich erinnere mich an einen TV-Tipp im SPIEGEL vor vielen Jahren, der wie folgt lautete: „Deutschland – Italien, aber mit Heribert Faßbender“. Damit war alles gesagt. Einschub Ende.)

Claudia Neumann also kommentierte die EM-Partie der Italiener gegen die Waliser, aber sie tat es nicht allein. Als Ko-Kommentatorin stand ihr Ariane Hingst zur Seite, eine ehemalige Fußballspielerin, heute Trainerin. Und deren Stimme ist, moderat ausgedrückt: noch umstrittener, wie man heute so sagt, da an einen D-Jugend-Spieler kurz vorm Stimmbruch gemahnend. Wirklich nicht jedermanns Sache. Am Tag danach las man die BILD-Schlagzeile „Internet-Hass gegen Claudia Neumann“.

Und wie sahen die hasserfüllten Beleidigungen aus, die das ZDF öffentlich machte?

„Frauenstimmen passen nicht zum Fußball.“
„Die soll lieber ,Let’s Dance’ kommentieren.“
„Die blöde Alte wieder.“
„In der idealen Welt wäre Neumann im Schweigekloster.“
„Darum schicken wir unsere Frauen extra weg beim Fußball.“

Mag der ZDF-Zuschauer meckern, zahlen muss er doch

Nicht gentlemenlike, keine Frage, aber: Beispiel 1 ist eine reine Meinungsäußerung, Beispiel 2 dito, Beispiel 3 und 5 hat man jahrzehntelang unter „Chauvi-Sprüche“ verbucht und Beispiel 4 kann man witzig finden oder auch nicht. Nur den „Hass“ sucht man da vergeblich, es sei denn, man erachtet jede Häme und jede respektlose Bemerkung als gefährlich, „menschenverachtend“ und damit cancelwürdig.

Der Vorwurf der „Hassrede im Netz“ wird ja längst zum Niederknüppeln kritischer Äußerungen in sozialen, mitunter auch asozialen Netzwerken erhoben, allein die Angst vor Sperrungen und Löschungen soll bei den Nutzern für die „Schere im Kopf“ sorgen und die Betreiber der verschiedenen Plattformen veranlassen, rigoros schon gegen Meinungsäußerungen vorzugehen, die erkennbar nicht justiziabel sind.

Während echte Hass-Posts bei Facebook, Twitter, Instagram et al., in denen wirklich gegen Menschen gehetzt wird, gang und gäbe sind, aber keineswegs gelöscht werden, zieht man sich hier an vergleichsweise harmlosen Äußerungen hoch; von ZDF-Zuschauern hat man ja außer Gemecker nichts zu befürchten, und zahlen müssen sie auch noch dafür, ätsch.

Der Kabarettist Mathias Tretter meinte mal, so einen Begriff wie „Mikroaggression“ habe sich nur eine Generation ausdenken können, die noch nie eine Makroaggression erlebt hat. Und er verstehe nicht, warum heutzutage immer mehr Leute wehleidiger seien als ein Glasknochenkranker beim Pogo. Wenn die BILD, selbst nicht unbedingt als zimperlich bekannt, die zitierten Aussagen „Ekel-Kommentare“ nennt und ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann meint, ein Statement wie „Frauenstimmen passen nicht zum Fußball“ sei „Hass“, gegen den man „klare Kante zeigen“ müsse, möchte man ihm angesichts dieser Nanoaggressionen zurufen: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen!” 

Foto: Steffen Prößdorf CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Horst Scharn / 23.06.2021

Da kann man nur den unerreichten, darmwindtrockenen Kommentar Bela Rethys zu brasilianischen Zuschauerreaktionen nach verlorenem Spiel zitieren : “Es wird wieder geweint.”

Silas Loy / 23.06.2021

Die kommen alle wie klugscheissende und ranschmeissende Gouvernanten rüber (allein Töpperwien übrigens ausgenommen) und das ist nun mal weder sportlich noch erotisch, sondern eine Zumutung. Am besten ist es ohnehin -falls man überhaupt noch guckt- einfach den Ton abzustellen und nur das Spiel zu gucken. Man kann sich aber z.B. Gosens Filetstückchen auch später noch als Konserve reinziehen, das war ja ausnahmsweise wirklich mal sehenswert.

Reinmar von Bielau / 23.06.2021

Es mutiert mittlerweile zu einer Art von Zwangshandlung, dass Frauen die Jobs von Männern übernehmen-müssen! Und genauso bekloppt, wie die Zwangshandlungen eines Psychotikers, sind dann eben auch die Ergebnisse dieser Dogma gesteuerten Politik. “Mit dem Zweiten sieht man besser!” ist leider eine glatte Lüge, denn diese Kommentatoren kann man nur im Vollsuff ertragen, egal ob Männlein, Weiblein oder Sternchen. Ich drücke Ungarn auf jeden Fall die Daumen. Diese “Mannschaft” besteht nur aus Warmduschern und Sitzpinklern.

M. Precious / 23.06.2021

Vor einigen Wochen habe ich in unserem regionalen Radiosender einen Beitrag zum Thema „Hass im Netz / sozialen Medien“ gehört. Der dortigen Expertin zufolge hieße es ja früher, man solle Provozierendes ignorieren und dem Provokateur damit keine Plattform bieten/Aufmerksamkeit schenken, dann trolle er sich wieder. Dies habe sich heutzutage aber geändert und sei nicht mehr aktuell – an die Stelle des Ignorierens träte nun die sogenannte „Counter-Speech“. Darunter versteht man, das Sich-Solidarisieren mit dem Provozierten seitens anderer am Chat Beteiligter, indem man gegenüber dem Provokateur eine „verbale“ (durch aktive Gegenrede) Front bilde und ihm klar mache, dass sein Verhalten/Äußerungen total daneben sei, er ziemlich alleine dastehe und seine Äußerungen nicht zu tolerieren seien. Mit klaren und unmissverständlichen Worten – hierzu gäbe es auch Textbausteine, die man verwenden könne, sollte man selbst nicht wissen, wie das Maßregeln am wirksamsten zu verpacken sei. Es gibt auch Kurse (mit Zertifikat) zum Thema „Hate Speech – Was tun?“…einfach mal im Inet checken fis.jugendschutz.net oder facingfacts.eu. Ich war schon überaus verwundert darüber, was es alles gibt, dass das mit einem “Fachausdruck”(Counter Speech) belegt wird und vor allem wie konzertiert, formalisiert und standardisiert das Vorgehen für Zwangs-Schönsprech im Netz bereits organisiert ist. Selbstverständlich sollte jegliche Äußerung von Kritik und „Angriff“ ein gewisses sprachliches Niveau nicht unterschreiten, zu übergriffig oder anmaßend sein, aber dass die Latte jetzt schon sooooo niedrig liegt ….mhhhh

Erich Kriegler / 23.06.2021

“Hass und Hetze” sind beliebig füllbare politische Kampfbegriffe aus dem Arsenal des offensichtlich nicht wie angenommen untergegangenen SED-Unrechtsstaates….

Andreas Bitz / 23.06.2021

Frauen kommentieren Männerfußball? Das geht nicht, cultural appropriation. Und schon gar nicht geht “Mannschaft”: Yogi und Neuer, bitte mindestens eine Frauen- und Diversquote. Nichts gegen Frauenstimmen. Wir wollen “Susi” wieder haben, früher Quotenbringer beim damaligen SWF3, dann bei Herzblatt.

Dirk Weidner / 23.06.2021

In einer Welt, in der Alice Weidel ungestraft als Nazi-Schlampe tituliert werden durfte , hat Frau Neumann noch Glück gehabt ob der im Vergleich doch recht maßvollen Aussagen. Über Beispiel 3 kann man streiten, ich selber würde mich dieses Vokabulars nicht bedienen,  Der Rest fällt in der Tat schlicht und einfach unter Meinungsbekundungen, die man teilen mag oder auch nicht. In jedem Fall such ich da “Hass und Hetze” vergeblich: ich kann weder das eine noch das andere finden. Neben der amüsanten Seite leider ein Beispiel mehr, wie alles, was nicht genehm ist, mit dem Label Hass/Hetze versehen wird, um jeglichen Diskurs zu unterbinden.  Dies hat Eric Blair aka George Orwell vorausgesehen, als er in 1984 “hate crime”, “Hassverbrechen” beschrieb: die Kriminalisierung von unerwünschten (“falschen”) Meinungen.

B. Ollo / 23.06.2021

Wenn die Frauenstimmen wenigstens sympathisch wären. Dieses gekünstelt tiefe Sprechen ist extrem unangenehm.

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