Rainer Grell / 13.08.2018 / 15:30 / Foto: Pixabay / 28 / Seite ausdrucken

Gaulands Sommerinterview: Keine Chance – gut genutzt

An sich sind die Sommerinterviews für mich genauso tabu wie jedwede Talkshow. Ich bringe es einfach nicht (mehr) über mich, die ewig gleichen Floskeln und Phrasen unserer politischen „Eliten“ anzuhören. Bei Gauland habe ich am Sonntag eine Ausnahme gemacht, weil meine Neugier größer war als meine Abneigung, und ich wurde nicht enttäuscht. Der Mann hat eine Eigenschaft gezeigt, die ich bei Politikern für abtrainiert hielt: Er war ehrlich und gab bei mehreren Punkten zu, dass er beziehungsweise seine Partei keine Lösung parat hat. Letzteres unterscheidet die AfD zwar nicht von den anderen Parteien, doch die tun trotzdem so, als wüssten sie alles. Der Interviewer Thomas Walde war offenbar genauso verblüfft wie ich und ließ Gauland trotz erkennbar gegenteiliger Absicht relativ ungeschoren davonkommen.

Was machte der Mainstream daraus? Focus titelte: „Klima? Rente? Digitales? ZDF-Sommerinterview offenbart: Die AfD hat keine Antworten“. Stimmt. Aber wo liegt der Unterschied zu den anderen Parteien? In die gleiche Richtung ging das Handelsblatt: „Die AfD erreicht Umfragewerte einer Volkspartei – doch sie hat keine Antworten auf drängende Probleme. Das zeigt das ZDF-Sommerinterview mit Parteichef Gauland.“ Auch die Stuttgarter Zeitung konstatierte: „Keine Antworten auf Zukunftsfragen“. Wer hat die denn? Nehmen wir noch den Tagesspiegel: „AfD-Chef Alexander Gauland räumt ein, dass seine Partei keine abgestimmten Strategien für Rente, Wohnungsbau und Digitalisierung hat. Zum Klimawandel sagt er: Wir können nichts tun.“ Schauen wir uns die einzelnen Punkte der Reihe nach an:

Klimawandel. Gauland: „Man kann keine Lösungsvorschläge bringen ... Ja, es gibt einen Klimawandel ...Ich glaube, da ist viel Lobbyismus unterwegs ... Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was der Mensch machen kann". ... Auf den Einwurf von Walde „Dann sollte man’s bleiben lassen?“: "Natürlich sollte man nicht Umweltschutz bleiben lassen, aber ich glaube nicht, dass man irgendetwas sinnvoll bewirken kann mit einer Klimapolitik". 

Diese Aussagen hinderten „bento“, einen Spiegel-Online-Ableger, nicht an folgender Feststellung: „Alexander Gauland leugnet den Klimawandel – und beweist damit, dass er absolut keine Ahnung hat.“ Mich erinnert das sehr, an die wahrheitswidrige Berichterstattung über einen „Schießbefehl“, den angeblich die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry im Januar 2016 gefordert hätte (s. hier und hier; aber auch hier und hier).

Gauland in besserer Gesellschaft, als er vermutlich ahnte. The Heidelberg Appeal von 1992 gegen die These vom menschengemachten Klimawandel, wurde unterschrieben von rund 4.000 Wissenschaftlern aus über 100 Ländern: “The greatest evils which stalk our Earth are ignorance and oppression, and not Science, Technology, and Industry, whose instruments”. – Die größten Übel, die unsere Erde bedrohen, sind Unwissenheit und Unterdrückung und nicht Wissenschaft, Technologie und Industrie. 

Altersvorsorge/Rentenkonzept. Walde: Ihre Partei hat bisher kein Konzept zur Rente vorgelegt. Warum haben Sie sich die Mühe nicht gemacht? Gauland stellt klar, dass es mehrere Konzepte gebe, die auf einem Parteitag im nächsten Jahr diskutiert werden sollen, und danach werde es auch ein Rentenkonzept der AfD geben. „Ich glaube, dass Ganze ist sehr viel schwieriger, das sehen Sie ja auch daran, dass die anderen Parteien Mühe haben, ein so genanntes Rentenkonzept vorzulegen.“ Wie sagte doch einst Nobert Blüm: „Die Rente ist sicher.“ Wozu brauchen wir dann überhaupt ein „Rentenkonzept“?

Digitalisierung. Gauland bekennt hier etwas, was viele Politiker mit ihm gemeinsam haben, aber hinter hohlen Ausführungen zu verbergen suchen, nämlich die fehlende Kompetenz bei diesem Thema. Es werde zwar durchaus über Alternativen innerhalb der Partei diskutiert, aber von einer „Strategie zur Digitalisierung“ könne nicht die Rede sein. Er hat aber durchaus erkannt, worum es unter anderem bei diesem Thema geht: „Wie kann man die Auswirkungen technischer Veränderungen auf die Menschen abbremsen und sozial verträglich machen, dass eben nicht Arbeitsplätze verloren gehen.“ Wie sagte doch die Physikerin Angela Merkel 2013: „Das Internet ist für uns alle Neuland“.   

Mietwohnungsmarkt. Wir sind für stärkeren Wohnungsbau, vor allen Dingen für sozial Schwache. Eine Regulierungsmöglichkeit haben wir auch nicht gefunden. Zwischenfazit von Walde: Kann es sein, Herr Gauland, dass Sie mit diesen Zukunftsthemen überfordert sind? Antwort Gauland: Wir sind nicht überfordert, aber nicht bereit, irgendwelche Kurzschlussreaktionen mitzumachen. Was sichert bezahlbaren Wohnraum? Die Mietpreisbremse! Es folgte abschließend ein Blick in die Vergangenheit, den ich hier überschlage, weil er in der Berichtserstattung keine Rolle spielt.

Der Versuch von Walde, die Alternative für Deutschland als Partei ohne Alternativen für Deutschland darzustellen, war sicher legitim und teilweise auch erfolgreich. Seine unterschwellige Annahme, die anderen Parteien verfügten über solche Alternativen, lässt sich jedoch mit Fakten nicht belegen und entwertet seine „Demaskierung“ der AfD. Wer kann denn schon dem kleinen Mann Sicherheit für die Zukunft bieten? Welche Partei oder Person ist in der Lage, die drängenden Zukunftsfragen zu beantworten? 

Der große Wilhelm von Humboldt hat gesagt: „Man muss die Zukunft abwarten und die Gegenwart genießen oder ertragen.“ Und Astrid Lindgren hat ergänzt: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in großem Maß von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen.“ Und der scharfsinnige Karl Kraus hat wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen: „Gute Ansichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat.“

Bemerkenswert war die völlige Ausklammerung der Flüchtlingskrise. Gauland gebrauchte diesen Begriff zwar einmal, in dem Interview spielte er aber keine Rolle. Für mich die größte Schwäche der Gesprächsführung, aber keineswegs überraschend. 

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Silas Loy / 13.08.2018

Schon die ungeschickte Penetranz mit der Walde Herrn Gauland Zukunftunfähigkeit zu attestieren suchte war lächerlich und lausig. Wie seine Kollegin Hassel, die ultimative Enttäuschung von der ARD, fragte er ausserdem nur nach den üblichen regierungsamtlichen Ausweichthemen plus Rente und stocherte nach innerparteilichem Dissenz. Die arrangierten Drei von der Schreistelle: peinlich!

Ilse Polifka / 13.08.2018

Wie die Rentenkonzepte der bisher Regierenden aussehen dürfen wir immer wieder erfahren: 47% des letzten Lohnes. Das heisst dann aufstocken mit Sozialhilfe (man nennt es gerne Grundsicherung. Klingt besser ) . Da ist mir doch kein Rentenkonzept noch lieber. Weniger kann es kaum noch werden.

Emmanuel Precht / 13.08.2018

Da sollte sich die AFD mal ein Beispiel an den LINKEN nehmen. Die Frisöse Jelpke kennt sich mit allen Themen aus und hat zu allem was zu sagen! So geht das. Oder Frau Bär, schon lange nix mehr von ihr gehört, sie soll ja mit dem Flugtaxi den Boden unter den Füßen verloren haben. Am meisten schätze ich aber unser giftgrünes Analehnchen, die wissenschaftlich durchgerechnet feststellte, dass das Stromnetz zum Speichern von Strom ausreichend groß sei. Jawoll! Das sind echte Koniferen auf ihrem Gebiet Herr Gauland! Bei so viel Koniferen sieht man den Wald vor wegen denselben nicht. Wohlan…

Falk Kuebler / 13.08.2018

Gauland war ein nachdenklicher alter Mann, der wusste, was mit ihm gemacht werden sollte, der aber kein Gegenmittel hatte, und der sich der für ihn selbst sicher quälenden Inszenierung trotzdem gestellt hat. Rhetorischen Krawall mitten im Interview kann er nun mal nicht… Natürlich wäre eine Weidel besser gewesen, aber genau weil das so ist, hat meiner Vermutung nach das ZDF vielleicht sogar gesagt: Gauland oder gar kein Interview. Ich hätte nie für möglich gehalten, wieviel “DDR” wir in unserer Gesellschaft schon haben… Es ist zutiefst deprimierend… Trotz allem halte ich Gauland für richtig als Co-Vorsitzenden, denn seine Nachdenklichkeit und Abgewogenheit helfen die AfD zusammenzuhalten. Und seine Ehrlichkeit, das hätte ich fast vergessen…

Helmut Driesel / 13.08.2018

Herr Gauland wirkte müde und er ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Vielleicht war es auch nicht der optimale Ort, die Zeit und zu warm. Andererseits wird die AfD sehr wahrscheinlich auf eine wirksame Oppositionsarbeit beschränkt bleiben, warum sollte sie sich nun damit brüsten, fertige und bessere Konzepte als die der Regierung parat zu haben. Selbst wenn es diese Entwürfe gäbe, wäre es klüger, sie bis zum nächsten Wahlkampf geheim zu halten. Schon, damit sie nicht von der Merkel-CDU abgekupfert werden können. Mir erschienen die aufgezählten Prioritäten etwas daneben, das war vielleicht ein listiges Kalkül des Interviewers. Meiner persönlichen Einschätzung nach gibt es derzeit drei wichtige Entscheidungen, die für unsere Zukunft wichtig sind: 1. Die Frage, ob mehr Europa und damit mehr Zentralismus oder weniger. 2. Ob mehr NATO oder mehr Neutralität. 3. Ob künftig Zunahme der Bevölkerung und damit der Besiedlungsdichte oder nicht. Alles weitere an Problemen hängt von der Beantwortung dieser Grundsatzfragen ab. Oder davon, dass sie nicht oder zu spät gestellt werden. Ich gehe davon aus, dass die AfD und Herr Gauland dafür Antworten haben.

alexander meyer / 13.08.2018

Das erwartete Drehbuch der 20 Minuten hatte sich fast erfüllt,indem zwar nicht Höcke u Kitas die Zeit ausfüllten,dafür aber doch die allerheißesten Themen dieser Tage : Digitalisierung,Wohnbau,Renten u das Klima als Oberhit ! Als Gauland die Griecheland- u Euro Krise ansprach würgte Walden das sofort ab,man wollte den Zuseher wohl nicht beim Abendbrot aufschrecken. Wozu 1 Wort über Zuwanderung,Sozialmißbrauch usw. wo wir doch hier gern u sicher leben ? Das war wie einst mit “Karl Eduald” u die “Aktuelle Kamera” der DDR,stets treu zu Diensten der Regierenden !

Dietrich Herrmann / 13.08.2018

Gauland ist nicht der Richtige an der Spitze einer Partei, die Alternative sein will und den Umbruch in der derzeitigen versifften Regierungspolitik. Für junge Menschen ist der Herr vollkommen inakzeptabel und als Spitzenkandidat unwählbar. Ein Mitkommentator hat’s schon geschrieben: Gauland sollte sich in die zweite Reihe der Parteiführung zurückziehen. Mit ihm ist für die AfD, wie man so sagt, kein Blumentopf zu gewinnen.

klaus Blankenhagel / 13.08.2018

An die Frau Weidel hat er sich scheinbar nicht herangetraut, der feine Herr Walde!

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