Claudio Casula / 29.11.2023 / 10:00 / Foto: Pixabay / 37 / Seite ausdrucken

Fragen an die evangelische Inquisition

Wegen erheblicher Bedenken gegen den Inhalt hat das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) das Buch „Angst, Politik, Zivilcourage“, das sich vor allem kritisch mit der Rolle von Staat, Medien und Kirchen in der Corona-Zeit befasst, vom Markt genommen. Die Begründung fällt allerdings sehr dürftig aus.

Erstmals in ihrer über 50-jährigen Geschichte hat die Evangelische Verlagsanstalt in Leipzig (EVA) ein Buch aus dem Handel genommen: den Sammelband „Angst, Politik, Zivilcourage. Rückschau auf die Corona-Krise“. Das verkündete kürzlich das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in einer Stellungnahme und begründete diesen „einmaligen, aber unverzichtbaren Schritt“ mit der schwerwiegenden Behauptung, „wesentliche Passagen“ bedienten „demokratiefeindliche, geschichtsrevisionistische, verschwörungsideologische und antisemitische Narrative“. In dem Tagungsband seien „rote Linien in eklatanter Weise überschritten“ worden. Das GEP hält eine Mehrheitsbeteiligung an der EVA, zweiter Gesellschafter ist die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Selbst gehört es zu 94 Prozent der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Dr. Sebastian Kleinschmidt und Dr. Thomas A. Seidel, die den Sammelband (bei Achgut von Prof. Harald Walach hier besprochen) im Auftrag der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden (StGO) herausgegeben haben, schreiben im Vorwort: „Wer sind die Profiteure der Angst? Was bedeutet und bewirkt die christliche Botschaft der Furchtlosigkeit? Welche Wege aus der Gefahr sind denkbar? Wie kann eine neue, kraftvolle Zivilcourage dem inneren und äußeren Frieden dienen und einer Staatskunst auf die Beine helfen, die „der Stadt Bestes sucht“?

Das sehen Prof. Kristin Merle und Hans-Ulrich Probst, die ganz offensichtlich nach inkriminierbaren Stellen gesucht haben und ihre eher dürftigen Funde am 30. Oktober in der evangelischen Zeitschrift „Zeitzeichen" vorstellten und interpretierten, ganz anders. Sie meinen, „solche Publikationen dürfen nicht unkommentiert erscheinen“, als handle es sich bei dem Buch um des Gröfaz „Mein Kampf“. Unter anderem führen sie an, im Beitrag „Hauptsache gesund. Medizin als Religionsersatz“ des Arztes und Gesundheitspolitik-Publizisten Erich Freisleben würden „– hier: implizit – antisemitische Klischees aufgerufen. So prangert Freisleben die „Machtfülle der Medienkonzerne und deren Finanziers“ im Gegensatz zur freien Wissenschaft an.“ Bedenklich scheint hier doch eher, dass Merle und Probst hinter den Medienkonzernen und deren Finanziers ausgerechnet Juden vermuten, sonst wäre der Antisemitismusvorwurf ja sinnlos.

„Mitglied der sog. Werteunion“? Pfui!

Ein gefundenes Fressen ist hingegen ein in der Tat dämliches Beispiel, das der Luther-Biograf Heimo Schwilk in seinem ansonsten recht luziden Beitrag „Angst und Auflage. Deutsche Medien im Panikmodus“ bemüht. Darin meint er, dass „die hochmoralische Bundesrepublik an immer mehr Länder Reparationen für lange zurückliegende Kriegszerstörungen bezahlen“ würde und stellt einen Zusammenhang mit den Entschädigungsforderungen von Angehörigen der israelischen Opfer des Olympia-Terrors 1972 her. Damit ist aber weder sein ganzer Aufsatz noch das Buch als solches diskreditiert. Vielmehr ist es ein Exempel dafür, dass hier ein Buch wie zu anderen zensurfreudigen Zeiten offensichtlich nach „Stellen“ durchforstet wurde, um vom eigentlichen Thema abzulenken: dem Versagen der Kirche, die in der Corona-Zeit alles andere als eine gute Figur machte, sich vielmehr zum Erfüllungsgehilfen des autoritären Maßnahmenstaats machte und durch die unselige 2G-Regelung Gäubige an der Kirchentür abwies. 

Was die Diskriminierung von Ungeimpften und die unkritische Haltung der Kirchen gegenüber dem Staat betrifft, gibt es hier in der Tat viel aufzuarbeiten, wie auch die anderen Texte im Buch zeigen. Probst und Merle jedoch bestreiten diesen Ansatz:

„Allein, ob es sich bei Angst, Politik, Zivilcourage um eine solche „sachlich-kritische Aufarbeitung“ handelt, ist fraglich. Das polarisierende, auf bestimmte Affekte abzielende Framing des Bandes lässt erste Zweifel anmelden. Auch, dass es darum gehen soll, „Profiteure der Angst“ ausfindig zu machen, hat notwendig Auswirkungen auf das Unterfangen einer kritischen Auseinandersetzung. Geht es unter diesen recht einseitigen Vorzeichen noch um eine kritische Betrachtung einer komplexen und mit vielerlei Dilemmata verbundenen Situation der Pandemiebewältigung geht – oder eher um den Wunsch, Personen an den Pranger stellen und Institutionenversagen diagnostizieren zu können?“

Na und? Selbst wenn?!, möchte man zurückrufen. Offenbar soll eben die Frage nach der Verantwortlichkeit als unstatthaft verworfen werden, ganz im Sinne der Ethikrat-Vorsitzenden Alena Buyx, die eben ein „ein tiefes Bedürfnis danach, Schuldige zu suchen“, anprangerte, im sicheren Wissen, zu den Schuldigen zu gehören.

In ihrem Verriss schrecken Probst und Merle auch vor Kontaktschuldvorwürfen nicht zurück. Die Bürgerrechtlerin und spätere Politikerin Vera Lengsfeld, die auch Autorin der Achse des Guten ist und ebenfalls einen Beitrag zum „umstrittenen“ Buch beigesteuert hat, muss sich laut JF von den beiden vorwerfen lassen, „Mitglied der sog. Werteunion“ zu sein und sich „im Umfeld der Neuen Rechten und der AfD“ zu engagieren, wie Merle und Probst wohl Wikipedia entnommen haben. Auch dass sie mit dem Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, findet Erwähnung, denn der wird unter anderem von der JF gestiftet und die wird möglicherweise gelesen von wer weiß wem und der wiederum...

Kritik auf „durchaus wackligen Beinen“

Wolfgang Sander, früherer Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen, sieht die Methodik der Rezensenten allerdings kritisch: Die Kritik der beiden stehe „auf durchaus wackeligen Beinen. Sie stützen ihre massiven Vorwürfe gegen das Buch auf nur sechs von 18 Beiträgen. Daraus entnehmen sie sechzehn Zitatfragmente, sieben davon aus nur einem Beitrag.“

Weil sie gegen die Hauptaussagen des Buches nicht anstinken können? Das wäre möglich. Je leerer das Fass, desto lauter lässt sich ja darauf trommeln. Kein Wunder, dass die Herausgeber das Vorgehen des GEP „in jeder Beziehung inakzeptabel“ finden. Sie schrieben denn auch:

„Mit Ihrer Pressemitteilung entsteht der Eindruck, als solle statt sachlicher Kritik ein Skandal in Szene gesetzt werden. Die Herausgeber und alle Autoren des Bandes werden in unerträglicher Weise als „Antidemokraten“ und „Antisemiten“ diffamiert. Mit Ihrer Pressemitteilung und mit dem Anhalten des Vertriebs des Buches werden die Meinungsfreiheit der Herausgeber und sämtlicher Autoren eingeschränkt und deren bürgerliche und berufliche Reputation tendenziell schwer beschädigt.“

Wenn man in der Sache wenig entgegenzusetzen hat, wird heute gern ad personam gekeilt, und das mit gutem Gewissen, selbst wenn der Diffamierte damit um seinen Ruf gebracht wird. Das ist inzwischen die gängige Praxis von Institutionen und ihren Vertretern, die gern vorgeben, im Namen der hehren Moral zu handeln. Wer sie erst einmal durchschaut hat, dem wird dabei ziemlich schlecht.

 

Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten

Foto: Pixabay

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Mathias Hartmann / 29.11.2023

Es hilft nicht, vorsichtig zu formulieren, um nicht mit dem üblichen Framing angegriffen zu werden. Da es um Macht und viel Geld geht, unternehmen die Gegner sowieso alles, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Wenn kein Angriffspunkt geboten wird, dann wird er konstruiert. Es ist absurd, sich mit Leuten, die verantwortlich für kriminelle Handlungen sind, an einen runden Tisch setzen zu wollen.

S. E. L. Mueffler / 29.11.2023

Es erinnert sich kaum noch jemand daran ... Kurz nach dem Krieg, versuchte die Leitung der evangelischen Kirche mit einem bauschig wie betroffen formulierten Schuldbekenntnis das gesamte deutsche Volk in Haftung für den Nationalsozialismus nehmen. Daß man dabei die eigenen Martyrer verschwieg, die widerstanden hatten, hatte schon ein bitteres Geschmäckle. Daß man aber auch noch gleich die Katholiken unter die Fittiche nehmen wollte, war eine blanke Unverschämtheit! Dagegen verwahrte sich der von den Nazis aus dem Amt gejagte Konrad Adenauer vehement. Es wurde rumformuliert und umformuliert und am Ende ein Papier veröffentlicht, daß in den folgenden Jahrzehnten propagandistisch zum großen Wurf stilisiert wurde. Was will ich damit sagen? Semper idem, immer dasselbe! Nichts aus der Geschichte gelernt. TTV (altes BW-Kürzel) Tarnen, täuschen, verp…. Dem evang. St. Georgs Orden ist zu danken. Er dürfte, sofern er dann noch existiert, ein Stück Glaubwürdigkeit repräsentieren, das woanders längst verspielt wurde. Steht nicht im Evangelium: “Die Wahrheit wird euch frei machen!”?

Marc Munich / 29.11.2023

@F. Hoffmann “Nur damit wir vom Gleichen reden. Die Deutschen Christen gab es in der NS Zeit.” Schon klar, dass es “Deutsche Christen in der NS-Zeit” gab.  Pater Ruppert Mayr,  Pater Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer, August Froehlich, Heinrich Maier, P. Alfons Klein etc. sind nur einige (bekannte) von ihnen…

Lutz Liebezeit / 29.11.2023

Wir sind immer am Austreten, ich weiß nicht, ob wir nicht besser hätten kämpfen sollen? Gäbe es mehr Kubickis, gäbe es weniger Lindners. // “Im Wald, da sind die Räuber”, beginnt ein bekanntes Volkslied. Das hat einen wahren Hintergrund. Zur Zeit Luthers wimmelte es vor den Kirchen von Bettlern, Konkubinen, Vagabunden, Ziehgaunern (die sich übrigens als Ägypter ausgaben) und Gesindel aller Art. Die schrankenlose und kurzsichtige Freigebigkeit der Geistlichkeit hatte Gesindel aus allen Himmelsrichtungen angelockt, zu denen auch entlassene Söldner gehörten. Die hatten sich in den Wäldern eingerichtet. Auf den Straßen kam es am lichten Tage zu Raub- und Mordanfällen, worüber die Stadtchroniken berichten. Dörfer wurden überfallen, geplündert und abgebrannt (Brandschatzung). Die Fürsten im vierzehnten und fünfzehnten Jhd., im Bewußtsein reichspolizeilicher Ohnmacht, räumten den freien Städten Privilegien ein, über alle schädlichen Leute zu richten. - Der Schinderhannes war der Anführer einer 250 Mann starken Räuberbande; manche Banden gab es schon Generationen. Darunter waren Frauen und Kinder. Bern hatte 30.000 Einwohner und vor den Toren lagerten 150.000 Menschen, die sich von den Einwohner ernähren ließen. Das Liber Vagantorum (ca. 1500) war die erste kriminalpolizeiliche Schrift und warnte dringlichst vor dem gefährlichen Räubertum. “Ich bin selbs diese iar also beschissen und versucht von solchen landstreichern und zungendresschern, mehr denn ich bekennen wil. Darumb sey gewarnet wer gewarnet sein will, und thue seinem nehisten gutes, nach Christlicher liebe art und gepot. Das helff uns Got. Amen”, schrieb Luther unter die Schrift. Die Hexenverfolgung gab es so gar nicht. Was wir hier z.Z. durchmachen, ist eine Neuauflage des Mittelalters. Luther hätte AfD gewählt. Nicht aus Nächstenliebe, sondern weil ihm gar nicht anderes geblieben wäre. Luther kann man nur aus der Zeit verstehen. Der war ein mutiger Mann. Auf den lasse ich nicht kommen.

F. Hoffmann / 29.11.2023

@Marc Munich. Nur damit wir vom Gleichen reden. Die Deutschen Christen gab es in der NS Zeit.

Boris Kotchoubey / 29.11.2023

Was passiert mit den bereits verkauften Exemplaren? Werden sie polizeilich gesucht und konfisziert? Und die gedruckten Exemplare - werden sie öffentlich verbrannt? Vielleicht zusammen mit den Autoren? Spätestens dann wird offensichtlich, in welchem Jahrhundert wir uns gerade befinden.

Dirk Jungnickel / 29.11.2023

Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) und seine ideologischen Blockwarte Kristin Merle und Hans-Ulrich Probst sollten sich ob ihrer Einsprüche Asche auf’s Haupt streuen. Schon die hier zitierten zeigen, wohin der Hase läuft: Diskreditierung Andersdenkender.  Die in diesem Kontext genannten Personen sind mir persönlich bekannt, und ich schätze sie ausnahmslos sehr. Und jede fundierte Kritik an der EKD in Sachen Staatsanbiederung unterstütze ich vehement.

Gerhard Schäfer / 29.11.2023

Hoffentlich lesen die “Funktionäre der EKD” und die Angestellten ihrer Unterorganisationen diesen Block und diese Kommentare! Sie könnten viel lernen, aber ich glaube nicht, daß sie es tun werden!

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