Claudio Casula / 19.01.2023 / 06:00 / Foto: Pixabay / 138 / Seite ausdrucken

Ernährung: Die EU serviert uns jetzt Insekten

Zu Jahresbeginn hat die Europäische Kommission eine Vielzahl neuartiger Lebensmittel zugelassen, darunter die Hausgrille und den Getreideschimmelkäfer. Sollen wir zu Entomophagen erzogen werden?

Vor vielen Jahren las ich das sowohl äußerst interessante als auch recht witzige Buch eines amerikanischen Anthropologen. Es hieß „Wohlgeschmack und Widerwillen. Die Rätsel der Nahrungstabus“, und Marvin Harris beschrieb darin, warum in manchen Kulturen bestimmte Dinge nicht gegessen werden oder eben doch – und warum. Man kennt das ja: Der eine isst nichts, was Augen hat, der andere nur das, was den Rücken nach oben trägt. Zwar steht in der Bibel: „Du sollst allerart Greuel nicht essen“ (5. Buch Mose 14.3), aber was man unter einem Greuel zu verstehen hat, ist ja relativ. Zum Beispiel zählt in besagtem Buch Deuteronomium dazu, was aus dem Wasser kommt, aber „keine Flosse und Schuppe hat“, weshalb gegrillte Garnelen laut jüdischer Speisevorschriften leider nicht koscher sind und deshalb von frommen Juden verschmäht werden, von mir jedoch nicht.

Speziell der Verzehr von Insekten ist im westlichen Kulturkreis stark tabuisiert. Hier herrscht ausgeprägter Ekel vor, abgesehen von Ausnahmen wie Johannes dem Täufer, der sich laut Markus 1,6 und Matthäus 3,4 von Heuschrecken ernährt haben soll, und dem Weltreisenden und Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg, dem „Würmerfresser der Nation“. Der verzehrte gern vor laufender Kamera alles mögliche Gewimmel, und zwar roh (während manche indigene Stämme die proteinreichen Riesenwasserwanzen vorher zu rösten pflegen). Hier beschreibt „Sir Vival“, was er auf seinen abenteuerlichen Reisen in Wüsten und Urwäldern fernab der Zivilisation so zu sich nahm.

In anderen Kulturen jenseits der nordatlantischen Länder ist der Ekel vor allem, was kreucht und fleucht, nicht so ausgeprägt. In weiten Gebieten Süd- und Ostasiens, in Australien und Ozeanien, in fast allen afrikanischen Kulturen, in Mexiko und Teilen Südamerikas ist der Insektenverzehr so verbreitet wie selbstverständlich. Gesottene Raupen und kandierte Käfer mögen manche an die in der Arena feilgebotenen Snacks (Lerchenzungen, Zaunköniglebern, Buchfinkenhirne, gefüllte Jaguarohrläppchen, Wolfszitzen-Chips, Otternasen) aus Monty Pythons „Das Leben des Brian“ erinnern und daher skurril erscheinen, aber Thailänder essen gern Schaben und Larven, während mit Schokolade überzogene Heuschrecken in Guatemala ein Renner sind. Gebratene Hormigas Culonas (wörtl.: dickärschige Ameisen) gelten in Kolumbien als Aphrodisiakum, in Nigeria schätzt man gekochte Termiten.

Gelbe Mehlwürmer zum Verzehr freigegeben

Nun spielt beim Thema Lebensmittel der kulinarische Aspekt für die Europäische Union eine untergeordnete Rolle, auch wenn die Politiker in Brüssel Miesmuscheln mit Fritten essen und in Straßburg Leberknödel. Aber wenn der Green Deal erst mal Folgen zeitigt und die Farm-to-Fork-Strategie umgesetzt wird, ist eine Nahrungsmittelknappheit in Europa früher oder später eine realistische Option, und dann greifen die Menschen auch zur gemeinen Hausratte oder eben zu Kerbtieren. Letztere haben eine ganze Reihe ökologischer Vorteile, sie verbrauchen nur wenig Wasser und Land, sind also „nachhaltiger“ als Nutztiere, und erzeugen zugleich ein hochwertiges Protein, aber nur wenige Treibhausgase. Klimaneutrale Ernährung bedeutet also im Kern: Leute, fresst mehr Insekten! In diesem Sinne hat die EU im Oktober 2021 gelbe Mehlwürmer als erste Insektenart offiziell zum Verzehr freigegeben.

Obwohl der Vorreiter bei der Verarbeitung von Insekten zu Tierfutter, die Firma AgriProtein aus Südafrika, bereits seit einiger Zeit in einer Madenfabrik bei Kapstadt auf der Basis organischer Abfälle einige hundert Kilogramm Larvenmehl pro Tag produziert, das als Ersatz für teures Fischmehl oder Soja an Hühner- und Schweinefarmer verkauft wird, und es angeblich mit Interessenten aus mehr als 30 Ländern eine erhebliche Nachfrage gibt, tat sich die EU bislang schwer mit der Zulassung, denn noch sind einige rechtliche Fragen zu klären. Nicht nur, dass Speise-Insekten, die im deutschen Lebensmittelhandel angeboten werden, ausschließlich aus kontrollierter Aufzucht stammen müssen. Eine EU-Richtlinie schreibt zum Beispiel vor, dass landwirtschaftliche Nutztiere keine anderen Tiere fressen dürfen (Ausnahme: Fischmehl) und dass alle Nutztiere in Schlachthäusern geschlachtet werden müssen.

Macht bei Insektenlarven, die durch Schockfrostung abgetötet werden, natürlich keinen Sinn. Aber längst ist Bewegung in die Sache gekommen. Offenbar will man uns den Insektenverzehr als Alternative zu herkömmlichem Fleisch langsam, aber stetig schmackhaft machen:

„Protein-Quelle mit Vitamin B: Darum sind Insekten gesund: Essbare Insekten sind eine exzellente Quelle von Omega-3-Fettsäuren, B-Vitaminen und wichtigen Mineralstoffen. In allen Insekten kommen einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren vor und die Krabbeltiere haben ähnlich viel Protein wie das Fleisch von Rind, Schwein oder Pute, gefriergetrocknet aber einen deutlich höheren.“

Und so eine gefriergetrocknete Heuschrecke schmeckt ja auch nussig-crispy, heißt es. Ist vielleicht eine Frage der Gewöhnung.

Gerösteter Mistkäfer – bald auch bei uns?

Weiter teilt die Verbraucherzentrale mit:

„Auch auf dem deutschen (Internet-)Markt erhalten essbare Insekten inzwischen Einzug und werden in den verschiedensten Formen angeboten: Es gibt sie ganz als Snack (z. B. frittierte gewürzte Heuschrecken), in Schokolade oder Honig, gemahlen als Insektenmehl (z. B. als Zutat für Insektennudeln) sowie als Proteinriegel und -pulver für Sportler.“

Lecker! Um pulverisierte Insekten geht es auch in der EU-Durchführungsverordnung „zur Genehmigung des Inverkehrbringens von teilweise entfettetem Pulver (…) als neuartiges Lebensmittel.“ Sagt Ihnen Acheta domesticus etwas? Das ist die Hausgrille, auch als Heimchen bekannt. Und Alphitobius diaperinus? Das ist der Getreideschimmelkäfer. Hört sich jetzt nicht so wirklich appetitlich an, darf aber künftig, wie von mehreren Firmen beantragt und nunmehr genehmigt, von diesen pulverisiert und in den Verkehr gebracht werden. Vor allem in Cerealien, Getreideriegeln und Backwaren, aber auch in Suppen, Snacks und Pizzen könnten sich also die sterblichen Überreste von Acheta domesticus und Alphitobius diaperinus befinden, außerdem auch fermentiertes Erbsen- und Reisprotein und Vitamin-D2-Pilzpulver. 

Gut, mag sein, dass damit nur ein ohnehin üblicher Zustand legalisiert wird. Aber so fängt es an, und wer weiß, wie es aufhört. Mit dem Nachhaltigkeitsargument wird der Rückschritt auf allen Ebenen begründet, die Massen sollen das „Weniger ist mehr“ verinnerlichen, auf Fleisch verzichten, Gemüse futtern oder besser noch Insekten, wenn nicht gar eines Tages künstlich hergestellte Nahrungsmittel wie jene aus der sehr hellsichtigen filmischen Dystopie „Soylent Green“ von 1973, während die Damen und Herren in Davos, die diese Zukunft für uns planen, selbst die feinere Küche genießen. Doch nur kein Neid! Wie der britische Arachnologe William S. Bristowe einmal berichtete: 

„Ein Mistkäfer oder der weiche Körper einer Spinne haben, wenn geröstet, ein knuspriges Äußeres und ein weiches Inneres von der Konsistenz eines Soufflé, das keineswegs unangenehm ist. Gewöhnlich kommt Salz daran, manchmal werden Chili oder die Blätter von wohlriechenden Kräutern zugefügt, und verschiedentlich werden sie mit Reis gegessen oder mit Soßen oder Curry gereicht. Geschmacksrichtungen zu bestimmen, ist außerordentlich schwierig, aber mit Kopfsalat ist, meine ich, der Geschmack von Termiten, Zikaden und Grillen am ehesten beschrieben; mit Kopfsalat und roher Kartoffel der der Riesenspinne Nephila; und mit konzentriertem Gorgonzola der der Riesenwasserwanze.“

 „Novel Food“ heißt das heute. Yummie!

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Hermann Sattler / 19.01.2023

Man sollte mal die Catering Lieferanten in Berlin vertraulich befragen, welche Insekten dort in Massen serviert werden. Evtl. Hirnwürmer? Zur Intelligenz-Aufstockung? Was “Soylent Grün” angeht, würde ich es nur essen, wenn garantiert ist, dass nur “Grüne” verarbeitet werden. Mit Lang, Roth u.K. konnte man sicher komplette Altersheime/Kliniken für Tage versorgen. Grün wäre dann “Nomen ESST Omen”. Eine echte Win-Win-Situation.

Zdenek Wagner / 19.01.2023

Achtung! Immer wenn es heisst, etwas schmecke “nussartig” , schmeckts in Wahrheit wie graue Flanellsocken, oder man bekommt gleich man das große Kotzen!

Valentin Becker / 19.01.2023

Ich hab meine Tochter mal mit der Familie meiner Schwester in den Urlaub geschickt. Meine Schwester ist sowas, was wir gerne etwas despektierlich als Ökotante bezeichnen, aber eine liebe Tante. Sie waren auf der Alm in einer Hütte ohne Strom - wie könnte es anders sein. Nach einer Woche hab ich sie besucht und meine Tochter hat mir beim Spazierengehen stolz gezeigt, wie lecker Waldameisen schmecken. Super sauer. Heute ist meine Tochter 19 und eine Igitt Igitt Tussi, wenn ich mal wieder Schweinehirn oder Rinderleber verzehre. Ich hätte sie wohl öfter mit der Ökotante auf die Alm schicken sollen.

Angela Bösener / 19.01.2023

@Carsten Bertram hinsichtlich Ihrer Anmerkung „Vorstufe Soylent Green“ mache ich darauf aufmerksam, dass es diesbezügliche Überlegungen tatsächlich bereits gibt. Der Schwede Magnus Söderlund, Professor für Marketing und Leiter des Zentrums für Verbrauchermarketing an der Stockholm School of Economics, hat das Essen von Menschenfleisch als wichtige Waffe im Kampf gegen die Klimakatastrophe (Verringerung CO2-Ausstoß) schon vorgeschlagen. Bei Eingabe der Schlagwörter „Söderlund+Möglichkeit menschliches Fleisch zu essen“ wird der Interessierte fündig.

Ulrich Bohl / 19.01.2023

Essen Sie mehr Sch….e, milliarden Fliegen können sich nicht irren. Guten Appetit nach Brüssel.

Michael Neus / 19.01.2023

Die EU serviert doch eh nur Scheißdreck..

Silvia Orlandi / 19.01.2023

Was Nazi Opa noch wusste: die Ukraine ist die Kornkammer Europas. Wenn der Krieg andauert,die Bauern kein Korn, Sonnenblumen Öl anbauen wegen des Krieges, wird die Welt in Geiselhaft genommen. Hunger ist Konsequenz für Länder, die sich teure Importe nicht leisten können.

Silvia Orlandi / 19.01.2023

P. S. Weg mit der EU. Sie schadet nur.

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