Die stetig schlechten Nachrichten des politischen Tagesgeschäftes können einen mürbe machen. Zeit, sich angesichts des endlich eingetroffenen Frühlings auch mal wieder mit etwas Positivem zu beschäftigen.
„Nun will der Lenz uns grüßen, von Mittag weht es lau“ – so beginnt eines der schönsten deutschen Frühlingslieder. Den Glücklichen, die in der Grundschule noch Volkslieder gelernt und gesungen haben (auf dem Gymnasium war es damit schlagartig vorbei), kommen solche Liedzeilen dieser Tage automatisch in den Sinn. Wie kann der Wind von Mittag wehen, fragte ich mich damals als Junge. Und warum schlagen Bäume aus wie Pferde (in „Der Mai ist gekommen“)? Es war nicht wichtig, alles sofort zu verstehen. Wichtig war, dass die kindliche Phantasie angeregt wurde.
Der Lenz hat lange gebraucht in diesem Jahr. Doch jetzt ist er da in seiner ganzen blühenden, grünenden, duftenden Pracht, und die Welt erwacht aus dem ungesunden Dornröschenschlaf, in den diverse böse Feen (m/w/d) sie versetzt hatten. Zum ersten Mal seit dem Frühjahr 2019 keine Testzentren mehr, keine Security vor den Supermärkten, keine geschlossenen Cafés und Kinos, und vor allem keine Masken mehr vor den Gesichtern (bis auf wenige Hardcore-Fanatiker). Endlich ist der Bann gebrochen (auch wenn die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen noch gar nicht richtig begonnen hat)!
Stattdessen gibt es allerdings jede Menge anderer Probleme. Dass eine von Ideologie gesteuerte und verblendete Regierung das Land in allen Bereichen Tag für Tag weiter herunterwirtschaftet – den Industriestandort demontiert, die Mittelschicht ruiniert, bestehende Pull-Faktoren für die Massenzuwanderung in die Sozialsysteme noch verstärkt, Wohnungsnot befördert, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört und-und-und – ohne sich dafür nennenswerter öffentlicher Kritik stellen zu müssen, dass jeder Kneipenstammtisch heute lebensklüger und rationaler argumentiert als diese Regierung mitsamt der sie stützenden Medien, kann einen verzweifeln lassen. Dazu kommt der Krieg in der Ukraine. Insofern ist der Stoßseufzer von Vera Lengsfeld in ihrem Reisebericht aus Perugia höchst nachvollziehbar: „Ich konnte sofort das absurde Deutschland, das meine Seele aufzufressen droht, vergessen.“
Ja, ohnmächtig zuschauen zu müssen, wie aufgrund falscher politischer Weichenstellungen alles den Bach hinuntergeht, was seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aufgebaut wurde, frisst an der Seele, schlägt auf die Stimmung, macht zynisch und resigniert. Nicht nur Bäume und Blumen treiben, sondern auch der Irrsinn in Deutschland treibt nie gekannte Blüten.
Wo bleibt das Positive?
Beim letzten Achgut-Treffen Ende September 2022 fuhren Autoren und Angehörige auf einem Dampfer spreeaufwärts, über den Müggelsee hinaus aus der Stadt. Immer wilder wucherte die Natur längs des Flusses, so dass man sich bei gelegentlichen Blicken aus dem Schiffsfenster am Amazonas wähnte – dabei kam der Dampfer nur bis Erkner vor den Toren Berlins.
Nach einem der Vorträge fragte einer der mitgebrachten Angehörigen: „Wo bleibt das Positive?“ Diese Frage wurde von mehreren Autoren mit dem Verweis auf ihre journalistische Pflicht gekontert, „den Finger in die Wunde zu legen“. Auf die selbigen müssten wir den Mächtigen schauen, hinweisen auf die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Lügen und Illusionen entlarven, Skandale aufdecken – nicht aber, Lösungen für die aufgehäuften Probleme anbieten oder gar Erbauliches und Tröstliches für unsere Leser produzieren.
Das stimmt alles. Trotzdem ist die Frage berechtigt. Auch in meinem privaten Umfeld bemerke ich seit längerem einen Überdruss an politischer Berichterstattung. Die Schuld daran trägt zuallererst die Politik, aber auch die etablierten Medien, die durch freiwillige Gleichschaltung, Selbstzensur (aus Angst vor Beifall von der falschen Seite) und Parteilichkeit zugunsten linksgrüner Inhalte und Ziele die für eine Demokratie lebenswichtige Rolle als Korrektiv der Regierenden verweigern. Die deshalb vorhersehbar, langweilig und schlicht überflüssig geworden sind.
„Fast alle um uns herum kennen das oder beobachten es bei anderen. Dieses: Ich kann’s nicht mehr hören, ich will’s nicht mehr sehen“, sagt auch Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber. „Diese Übersättigung mit schlechten Nachrichten […].“ Daraus hat er ein Buch mit dem Titel „Glück im Unglück“ gemacht, als Gebrauchsanweisung, wie man dem Weltschmerz entkommt. Laut einer Focus-Umfrage hat jeder zweite Befragte „wegen der vielen negativen Nachrichten“ den Medienkonsum eingeschränkt. 67 Prozent (im Osten 75 Prozent) finden sich mit ihrem Leben von den Mainstream-Medien nicht adäquat abgebildet. Über die Hälfte fänden es gut, wenn häufiger über konstruktive Ideen zur Lösung von Problemen berichtet würde.
Mittlerweile sind wir jedoch aus der Sphäre störender schlechter Nachrichten längst in die nächste Phase übergegangen, in der jeder die Auswirkungen falscher Politik und fehlender Kontrolle durch die Medien allesamt tagtäglich am eigenen Leib verspürt: im Stau vor den Klima-Klebern, beim Einkaufen im Portemonnaie, an der Miet- und Heizkostenrechnung und wachsenden Existenzängsten sogar der Hauseigentümer.
Nach grüner Farb’ mein Herz verlangt
Auch die „Achse“ und andere Nicht-Mainstream-Medien können in dieser Zeit nicht unbedingt mit guten Nachrichten aufwarten. Ihre positive Wirkung besteht wohl vor allem darin, dass sie Menschen, die angesichts der oben skizzierten politischen Entwicklungen am Verzweifeln sind, eine Stimme geben und ihnen das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein. Das Übermaß an Hiobsbotschaften können sie leider auch nicht verringern.
Wo also bleibt das Positive? Wo die Gegenkräfte, die den „woken“ Wahnsinn nicht nur verbal anprangern, sondern ihn in der Realität stoppen, Fehlentwicklungen zurückdrehen, die tiefen gesellschaftlichen Spaltungen in diesem Land überwinden, verlorengegangene Werte wiederbeleben oder tragfähige neue formulieren, vor dem Abrutschen in Resignation, Zynismus, Auswanderungsphantasien, Verschwörungstheorien bewahren, neue Hoffnungen vermitteln, ein Licht am Ende des Tunnels aufzeigen?
Constantin Schreibers Tipp gegen den Schmerz an der Welt: den eigenen „Sinn fürs Schöne“ auszubilden. Was bei diesem politisch wachen Zeitgenossen sicher nicht bedeutet, vor der Welt in Innerlichkeit zu flüchten, sondern neue Kraft für die Auseinandersetzung mit ihr zu schöpfen. Für sich selbst hat er das Klavierspielen wiederentdeckt.
Da sind die alten Lieder vom Frühling nicht weit, der jedes Jahr wieder zeigt, dass Neuanfänge möglich sind. Sein Wirken hat Künstler zu allen Zeiten inspiriert. Und im schönsten aller Frühlings-/Sommerlieder, geschrieben von Paul Gerhard 1653, wenige Jahre nach den Verheerungen des Dreißjährigen Krieges, heißt es:
„Narzissus und die Tulipan die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide. […] Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes Tun erweckt mir alle Sinnen, ich singe mit, wenn alles singt und lasse, was dem Höchsten klingt aus meinem Herzen rinnen.“
Und noch früher textete ein unbekannter Karlsruher Dichter im 15. Jahrhundert (vertont von Michael Praetorius), „Der grimmig Winter währt so lang, der Weg ist mir verschneit. […] Nach grüner Farb’ mein Herz verlangt …“ Und das meinte er bestimmt nicht politisch.
Oliver Zimski ist Übersetzer, Sozialarbeiter und Autor. 2015 erschien sein Kriminalroman „Wiosna – tödlicher Frühling“.