Ein Ausnahmemensch und Zeichensetzer

Alljährlich verleiht das Jüdische Museum Berlin (JMB) einen Preis für Verständigung und ToleranzHeuer geht die Auszeichnung an die frühere amerikanische Außenministerin Madeleine K. Albright und an den Pianisten Igor LevitAbgesehen von der grundsätzlichen Fragwürdigkeit solcher Preise, mit denen die Preisgeber sich selbst ehren, spricht nichts gegen Frau Albright, die sich Joschka Fischer als Laudator gewünscht hat. Anders liegt der Fall bei dem Pianisten Igor Levit. Hier bewahrheitet sich einmal mehr die Erfahrung, dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt. So war es auch bei Claas Relotiusdem Baron Münchhausen beim SPIEGEL. Er konnte mindestens so gut schreiben, wie Levit Klavier spielen kann, weswegen er mit Preisen überhäuft wurde. Vom Deutschen Reporterpreis über den CNN-Journalist-of- the-Year-Award bis zum Katholischen Medienpreis der Deutschen Bischofskonferenz, die sich alle von Relotius betrogen fühlten, als der Schwindel aufflog.

Wofür bekommt Levit den Preis für Verständigung und Toleranz des JMB, kurz nachdem er vom Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde? "Der Pianist kritisiert nicht nur die weithin übliche apolitische Kontextualisierung klassischer Musik, sondern zählt selbst zu den wichtigsten politischen Stimmen seiner Generation", sagt die Jury. Bei diesem Satz werden nicht nur Richard David Precht und Sascha Lobo Schluckauf bekommen, sondern auch die Fans von Margarete Stokowski und Luisa Neubauer aufheulen, deren Stimmen zweifellos zu den wichtigsten der "Generation Facebook" gehören. 

Aber das ist noch lange nicht alles, was Levit auszeichnet. "Mit mutigen Stellungnahmen positioniert er sich klar gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit. Dabei lässt er sich in seinem Engagement nicht beirren, obwohl er dafür angefeindet und bedroht wird." Das Gleiche könnte man auch über Iris Berben und Klaus Staeck sagen, die seit Jahrzehnten Gesicht für ein weltoffenes Deutschland zeigen. Auch sie werden, wie fast alle, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit positionieren, angefeindet und bedroht, ohne in ihrem Engagement nachzulassen. Wobei man sich schon fragen könnte, wie es denn sein kann, dass bei so viel Engagement so vieler mutiger Menschen die Nazis nicht weniger, sondern mehr werden. 

Das nur nebenbei. Es gibt da etwas, das Igor Levit von den anderen Engagierten unterscheidet, ihn sozusagen bereits zu Lebzeiten dorthin befördert, wo Mutter Teresa und Nelson Mandela logieren. Er ist, so hat es die Jury beschlossen, nicht nur ein "Ausnahmepianist", sondern auch ein "Ausnahmemensch". Unter anderem deswegen, weil er "im Frühjahr dieses Jahres mit seinen über 50 auf Twitter gestreamten ,Hauskonzerten‘ mitten in der Corona-Pandemie ein Zeichen für Zusammenhalt setzte". Aber dafür hat er doch schon das BVK bekommen! Naja, doppelt genäht, hält besser. 

Ein "Ausnahmemensch" also, und wenn es sein muss, auch ein Heissluftballon, der mit dem Luftstrom treibt, bis ihm die Puste ausgeht. „Die AfD besteht aus Menschen, die ihr Menschsein verwirkt haben“, twitterte er vor fünf Jahren, und zu dieser Meinung steht er heute noch, wie er später bei Illner zu Protokoll gab.

Und dafür hat er nicht nur das Bundesverdienstkreuz verdient, sondern auch den Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin. Die Laudatio auf ihn wird Dunja Hayali halten, Mitarbeiterin des ZDF, ausgzeichnet u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Annemarie-Renger-Preis des Arbeiter Samariter Bundes, dem Benediktpreis von Mönchengladbach "für wertorientiertes und vor dem Hintergrund der christlichen-abendländischen Erfahrungen in besonderer Weise herausragendes Handeln" und dem Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing. 

Und wenn eines Tages Dunja Hayali den Igor-Levit-Preis bekommt oder andersrum Igor Levit den Dunja-Hayali-Preis für in besonderer Weise herausragendes Handeln, werden sich wieder zwei "Ausnahmemenschen" treffen, die einander verdient haben. 

Foto: Bündnis 90/Die Grünen CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Paul U. Fischer / 28.10.2020

Wer einmal Glenn Gould Beethoven-Klavierkonzerte spielen hörte, macht sich bei dem Spiel des Ausnahmemenschen vor Lachen in die Hose.

Paul Siemons / 28.10.2020

Wer so etwas ablaicht wie “Menschsein verwirken” (würde sich AfD Haut denn zumindest als Lampenschirm eignen, Herr Levit?) ist nicht satisfaktionsfähig. Damit ist alles zu diesem Musikanten gesagt. Möge er mit Preisen behängt werden, bis er klimpert wie ein nordkoreanischer Admiral. Gar nicht ignorieren. Wer diese Preiskrönung empörend findet, hat den Sinn des Ordens nicht verstanden.

Karla Kuhn / 28.10.2020

„Der Pianist kritisiert nicht nur die weithin übliche apolitische Kontextualisierung klassischer Musik, sondern zählt selbst zu den wichtigsten politischen Stimmen seiner Generation“, sagt die Jury. Bei diesem Satz werden nicht nur Richard David Precht und Sascha Lobo Schluckauf bekommen, sondern auch die Fans von Margarete Stokowski und Luisa Neubauer aufheulen, deren Stimmen zweifellos zu den wichtigsten der „Generation Facebook“ gehören.”  Herr Broder, obwohl alles sachlich geschrieben, der “kleine Schalk” versteckt sich wie immer zwischen Ihren Zeilen und ich lache mich schief, herrlich. “Sein Menschsein verwirken”  BITTE die GENAU Gebrauchsanweisung dazu !! Sabine Schönfelder, ist doch klar “Weil wir es uns wert sind” , hat das nicht jahrelang eine uralt Schauspielerin propagiert ?? Ich bin es mir wert, nein, ich bin es MEINEM RÜCKGRAT, MEINER SEELE und MIR SELBER schuldig, daß ich mich gegen JEDEN MIST, den ich aufgetischt bekommen WEHRE !! “Aber das ist noch lange nicht alles, was Levit auszeichnet. „Mit mutigen Stellungnahmen positioniert er sich klar gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit. Dabei lässt er sich in seinem Engagement nicht beirren, obwohl er dafür angefeindet und bedroht wird.“ Das Gleiche könnte man auch über Iris Berben und Klaus Staeck sagen, die seit Jahrzehnten Gesicht für ein weltoffenes Deutschland zeigen.” Der Berben sehe ich das “offene ” Gesicht an, die Frau scheint über Nacht 20 Jahre älter geworden zu sein, anstrengend immer sein Gesicht zu “öffnen.”  Oder fehlt das WASSER TRINKEN ?

Ralf Ehrhardt / 28.10.2020

Diese “Blechorden”, die der Bundespräses da auf Zuruf an Hinz und Kunz verteilt, die kann man wahrscheinlich demnächst bei Aldi, Lidl und Co. im “Sechser-Pack” kaufen und sie anschließend allen Leuten umhängen, die man nun absolut nicht leiden kann und denen man deshalb mal was “gutes” tun will.  Und diese “Selbstbeweihräucherungspreise” aller möglichen gutmenschlichen Organisationen können mir auch gestohlen bleiben.  Man soll mich aber bitte damit in Nachrichten etc. nicht andauernd belästigen; ...wen interessiert das ?

S. v. Belino / 28.10.2020

Bundesverdienstkreuz? Ich entsinne mich, dass selbst mein total unauffälliger, löblich biederer Opa väterlicherseits mal eines bekommen hat. Die Sache ist aber schon elend lange her, und ich weiß nicht einmal mehr, wofür. Hatte im weitesten Sinne wohl was mit “Wirtschaft” zu tun. Oder so. Als Anerkennung für gefährliche Phrasen (wie die über ein “Verwirken seines Menschseins”) erhielt er’s jedenfalls nicht. Soviel ist sicher.

Winfried Jäger / 28.10.2020

Über Igor Levit ist alles gesagt, aber was spricht für Madeleine K. Albright?

armin_ulrich / 28.10.2020

02.09.2011 veröffentlichte der Spiegel (ohne die Hilfe von Claas Relotius) eine Liste von Bundesverdienstkreuzträger*Innen. Sie fassen sich nur an den Kopf, wer alles diesen Orden bekam: Globke wurde schon erwähnt. Batista von Kuba,  Mohammed Reza Pahlawi Schah von Persien,  Friedrich Flick, Peter Hartz (hat es wieder abgegeben), Tito,  Francos Propagandaminister Fraga, Ceausescu

Rudolf George / 28.10.2020

Igor Levit ist der André Rieu der Generation Gutmensch.

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