Die ehemalige EKD-Vorsitzende, Margot Käßmann, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt, warum sie das „Manifest für den Frieden“ unterschrieben hat: Damit „das Töten in der Ukraine ein Ende findet“. Logischerweise müsste sich der Appell an den russischen Präsidenten richten, aber das wäre zu einfach.
Zu den Erstunterzeichnern des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten „Manifests für den Frieden“ gehört auch die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, eine studierte Theologin. Gestern gab sie dem DLF ein Interview, in dem sie darlegte, warum sie sich dem Appell für einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und eine politische Lösung des Konflikts angeschlossen hatte.
Auf die Frage des Moderators, welche Art von Frieden ihr denn vorschweben würde, antwortete sie, es gehe nicht darum, was ihr vorschwebe, sondern „das, was wir wollen“, und das wären nicht nur sie, Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, sondern „das ganze Bündnis der deutschen Friedensgesellschaft“; alle wollen, „dass so schnell wie möglich das Töten in der Ukraine ein Ende findet“, niemand stelle infrage, „dass Putin ein Kriegsverbrecher ist und er einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt“, es gehe aber um die Frage „wie können wir schnellstmöglich dieses Leid beenden“, das bis jetzt 250.000 Menschen das Leben gekostet hat. Jetzt müsse „alles investiert werden, dass es schnellstmöglich zu einem Waffenstillstand kommt“. Anfangs habe es geheißen, „wir liefern nur Verteidigungswaffen, jetzt sind wir bei Leopard-Panzern, bei Angriffswaffen, und die Frage ist, ob wir nicht in dieser Eskalationsphase mehr und mehr Kriegspartei werden“. Viele Menschen hätten „Angst vor einem Dritten Weltkrieg, in dem wir Teil des Krieges werden“, dagegen müsse eine „Deeskalation gestellt werden“. – Die Überlegung ist in sich logisch und nachvollziehbar.
Waffen an Russland!
Würden sich die Ukrainer nur mit Pfeil und Bogen verteidigen, wäre der Krieg schneller vorbei, als Putin „Ergebt euch, ihr Nazischweine!“ rufen könnte. Obwohl, genau genommen, auch Pfeil und Bogen zu den Angriffswaffen gehören. Derselben Logik folgend, müsste jemand, der sich eine „Deeskalation“ wünscht, damit es schnellstmöglich zu einem Waffenstillstand kommt, dafür plädieren, dass der Westen Waffen an Russland liefert – je besser Putins Truppen aufgestellt sind, umso schneller können sie die Ukrainer besiegen und die „Sonderoperation“ für beendet erklären.
Frau Käßmann kommt nicht auf diesen Gedanken. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Frage: „Müssen wir immer weiter aufrüsten oder finden wir Wege, hier endlich einen Waffenstillstand auszuhandeln.“ Da könnte es zum Beispiel „massive gesamteuropäische Initiativen geben, da könnten kreative Möglichkeiten gefunden werden, zum Waffenstillstand zu kommen“. Man müsse „diplomatisch andere Wege finden“.
Frau Käßmann muss während der letzten 12 Monate dermaßen in Gebete vertieft gewesen sein, dass sie nicht mitbekommen hat, wer alles bei Putin auf der Suche nach einer diplomatischen Lösung vorgesprochen hat. Sie allerdings war nicht dabei. So blieb eine ausgesprochen kreative Möglichkeit ungenutzt, Putin umzustimmen. Frau Käßmann hätte ihm anbieten können, den nächsten Evangelischen Kirchentag in Moskau abzuhalten, einschließlich eines Workshops zum Thema „Vulven malen“. So ein Angebot aus dem Bereich der psychologischen Kriegsführung hätte umgehend zu einem Waffenstillstand geführt, an allen Fronten.
Es geht noch tiefer
Sie sei, sagte Frau Käßmann in dem DLF-Interview, weder eine Putinkennerin noch eine Putinversteherin. Sie wisse aber, dass es in Russland „eine Zivilgesellschaft“ gibt, und da gebe es „auch Leute, mit denen wir reden können“. Sie sei dafür, „zu versuchen, die russische Zivilgesellschaft dazu zu bringen, dass da eine Veränderung stattfindet in Russland, und wir wissen, dass die Empörung inzwischen groß ist…“
Ja, die berühmte russische Zivilgesellschaft, deren prominentester Vertreter nach seiner Rückkehr aus dem Exil festgenommen, vor ein Scheingericht gestellt und zu einem längeren Aufenthalt in wechselnden Straflagern verurteilt wurde. Diese Zivilgesellschaft wird es schaffen, Putin zu zähmen und den Krieg in der Ukraine zu beenden, schnellstmöglich.
Frau Käßmann hat sich in einer Krisensituation mit einem Satz aus dem Lied Nr. 533 des Evangelischen Gesangbuches Trost zugesprochen: „Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“
Da irrt die Bischöfin. Es geht noch tiefer. In eine Senkgrube aus verlogenem Pazifismus, intellektueller Unbedarftheit und emotionaler Abstumpfung. Willkommen im Biotop der alldeutschen Friedensbewegung.
PS1: In einem Interview mit dem SPIEGEL aus dem Jahre 2014 wurde Frau Käßmann gefragt, ob es ein „gerechter Krieg“ war, „als die Alliierten Deutschland von der Herrschaft der Nationalsozialisten befreiten“. Sie antwortete: „Es war sicherlich ein Krieg mit einer guten Intention und am Ende die Befreiung vom Naziterror. Aber mir fällt es schwer, Kriege zu rechtfertigen. Es gibt nur einen gerechten Frieden.“
PS2: Tino Chrupalla, Bundessprecher und Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag, gibt auf seinem Twitter-Kanal bekannt, er habe „diese Petition für den Frieden unterzeichnet“, denn: „Im Einsatz für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein.“ Dagegen kann man nichts sagen, die Frage ist nur, ob Frau Käßmann, Frau Schwarzer und Frau Wagenknecht ihre Unterschriften jetzt zurückziehen werden. Die geltenden Kontaktschuld-Regeln würde so einen Schritt nahelegen.