Dieter Nuhr hat es erwischt. Seit ein paar mehr oder weniger lustigen Witzchen über die Heilige Greta fegt über den armen Mann ein stärkerer Shitstorm hinweg als einem Installateur bei der Rohrreinigung im Keller eines Hochhauses. Und ein und ums andere Mal muss „da Dieta“ erklären, warum Respekt und „miteinander reden“ so immens wichtig in einer Demokratie sind, so, als hätten wir noch eine Gesellschaft, in der ein freier Diskurs angesagt wäre.
Ich beobachte Dieter Nuhr seit Anfang der Nuller, als er noch Witze über seine Turnschuhe oder seine Tapete im Kinderzimmer machte. Ich halte ihn mit seiner leisen und unaufdringlichen Art und der ein oder anderen langsam sickernden Pointe für einen der ganz Großen unter der böhmerbemannten und -beamteten Comedy-Szene in Deutschland. Er ist so ziemlich der einzige Comedian, der noch als konservativ zu bezeichnen ist und der, umso schlimmer, daher auch ständig gezwungen wird, sich gegen den rechten Rand abzugrenzen. Nuhr ist einer der letzten Bundesrepublikaner, und er weiß das. Er macht einen härteren Job als der zwar witzige, aber wohlfeile Volker Pispers oder der teilzeitwitzige Pöbel-Jan mit seiner tourettistischen Grenzgängerei.
Und Nuhr ist einer der letzten Gentlemen. Da, wo ein mit Rundfunk-Gebühren gepimpter Böhmermann öffentlich und rechtlich fordern darf, „dass doch endlich jemand Dieter Nuhr die Fresse poliert“, hat Nuhr keine Waffengleichheit zu erwarten und muss mit einer Hand auf dem Rücken kontern. Wenn er sich überhaupt auf das Bahnhofstraßenniveau von Böhmermann herablassen möchte. Und damit wären wir auch beim eigentlichen Problem: Mit Leuten, die Dir „die Fresse polieren“ wollen, ist kein „miteinander reden“ mehr möglich. Das ist von den Polierern auch weder gewollt noch gewünscht und hat mit „Comedy“ so viel zu tun wie Ralf Stegner mit Hedonismus. Die Böhmermänner wollen sich nur einfach selbst und gerecht darstellen, und da liegt auch der große Denkirrtum von Dieter Nuhr. Es will niemand mit ihm reden. Ich hätte ihm 1995 recht gegeben, 2010 noch wenigstens Hoffnung gehabt, dass das vom Grunde her geht, aber in 2020 ist „miteinander reden“ nicht mehr möglich. Teilweise nicht einmal mehr im Freundes- oder wenigstens Familienkreis. Dafür oder Dagegen – dazwischen gibt es nichts und gibt es nicht mehr. Die Hölle für diejenigen mit leichten Zwischentönen und Ironie. Ich weiß, wovon ich rede. „Die AfD“ ist Nazi und wer das abstreitet, ist auch einer.
Eine regierungszärtliche Kabarettistenszene
Dieter Nuhr muss aufpassen: Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, aber auch eher linke Printmedien gehen Konservativismus nur eine begrenzte Zeit mit, wie der begabte Uwe Steimle jüngst erfahren durfte, den der MDR aufgrund der Aussagen von vor einem Jahr in einem Interview mit der Jungen Freiheit vor die öffentlichen Mitteltore gesetzt hat. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Zumindest, wenn die Fütterung nur durch eine Hand statt durch die zahlreichen Hände von Millionen Demokratieabgabeleistern („Gebührenzahler“ ist so ein hässliches Wort) passiert. Steimle wird den umgekehrten Weg vieler Youtuber gehen – gestern noch auf den großen Fernsehbühnen, heute schon vom heimischen Videoblog inklusive Schrankwand. Wo früher ein Dieter Hildebrandt oder Bruno Jonas tatsächlich noch, von öffentlichen Geldern gesponsert, gegen alles und jeden stänkern durften, hat sich längst eine regierungszärtliche Kabarettistenszene etabliert, die ihrem wohlgesonnenen Publikum die Rückseite des Spiegels zeigt, den sie den Nichtanwesenden vorhält. Und alles klatscht begeistert mit. Trump ist doof, Johnson ist doof, die AfD ist doof. Weiß man ja. Comedy mit hundertprozentiger Zustimmung im Saal ist leichter, als wenn auch nur einer beleidigt den Raum verlässt, weil ein Lehrer-Witz erzählt wurde. Oder ein Doppelnamenjoke.
Die Zeiten sind rau und sie sind es erst recht, wenn man – wie Nuhr – „ein privilegierter alter weißer Mann“ ist, der wegen des Wortes „Klimakatastrophe“ nicht sofort in einen ohnmächtigen Schreikrampf fällt, weil er schon Tschernobyl, das Waldsterben, die Energiekrise, den Kalten Krieg und das Ozonloch überlebt hat. Zuweilen herrscht der Eindruck, die ARD hält sich Nuhr als konservativen Pausenclown, so, wie es der Spiegel einst mit Jan Fleischhauer tat. Damit eben auch mal die andere Seite zu Wort kommt – nur bitte nicht so laut.
Und bitte auch keine Witze über Türken oder Araber. Dafür gibt es die Kaya Yanars und Serdar Somunküsse dieser sensiblen Anteilnahmerepublik. Alles andere wäre ja auch rassistisch und führe direkt auf die Autobahnabfahrt nach Buchenwald. Und wie humorvoll manche Angehörige des Islam auf entsprechende Witze reagieren, hat Nuhr ja auch schon am eigenen, zum Glück bisher nur virtuellen Leib erfahren.
Die Republik hat sich gewandelt. Das Zotige, das Unwitzige, feiert seine Wiederkehr, und wer kabarettistisch auf die falsche Zielscheibe anlegt, findet sich schneller auf der virtuellen oder sogar reellen Schlachtbank, als er „war doch nur ein Scherz und nicht so gemeint“ sagen kann. Früher war eine Satire gut, wenn 90 Prozent der Zuschauer und -hörer lachten und sich 10 Prozent ärgerten. Weil sie erwischt wurden. Heute braucht es Einhundert Prozent Zustimmung. Sonst ist jemand traurig – und das will ja keiner. Also, dass der Falsche traurig ist. Diese Republik hält nichts mehr aus. Und auf. Nuhr ist „last old white man standing“ – und auch das weiß er. Er tut mir leid. Er ist aus der Zeit gefallen. Und es dürfte nur eine Frage von Wochen sein, bis die ARD sich einen Geschmeidigeren sucht. Oder eine Geschmeidigere. Eine Frau würde sich quotenmäßig gut und modern machen. Carolin Kebekus – übernehmen Sie.
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