Fühlen Sie sich frei, wenn Sie im Garten hacken und jäten und morden und sengen! Blattläuse könnten verkappte Nazis sein und Schnecken ihre Schlägerbanden. Schluss mit dem schlechten Gewissen.
Il faut cultiver le jardin, lässt Voltaire seinen Candide sagen – ein armer Tor, der allen Katastrophen der damaligen Welt ausgesetzt war, vom Erdbeben in Lissabon bis Schiffbruch, irrend zwischen Krieg und Syphilis. Am Ende wird alles gut. Man muss, und das ist Candides Schlussseufzer, seinen Garten bestellen. Arbeiten, ohne zu philosophieren, ist das einzige, was hilft, das Leben erträglich zu machen. Nichts könnte doch heute aktueller sein, oder? Lasset uns die private Idylle pflegen, unter Bienen und Vögeln, in Sonne und Regen, in tiefstem Frieden, trotz Krieg und Wärmepumpe!
Doch halt: Voltaire hatte keine Ahnung von Gartenarbeit. Idylle? Nichts davon ist wahr. Es ist schließlich kein Zufall, dass der Mörder immer der Gärtner ist, wie Reinhard Mey einst das Krimiklischee benannte, auch wenn sich der Mörder schlussendlich als der Butler entpuppte. Gut, mir persönlich ist kein Krimi bekannt, in dem der gutwillige Rasen- und Heckenbezwinger den üblen Lord Molesworth-Houghton seiner gerechten Strafe zuführt. Doch die Mittel dazu hätte er allemal in der Hand.
In Wirklichkeit ist Gärtnern alles andere als eine friedliche Tätigkeit, der Garten ist vielmehr der perfekte Platz für die täglich drängender werdende Triebabfuhr. Man darf hier fast alles, was in einer städtischen Fußgängerzone womöglich stören könnte: Schneiden und hacken. Vergiften und vernichten. Hämmern und sicheln. Brandroden und abfackeln. Und Krach machen, mit dem Rasenmäher oder der Motorsäge. Und, ganz ehrlich: Hier kann man ausrotten, was man als schädlich empfindet, egal, was die Ökobiobibel sagt.
Ein wahres Mörderarsenal!
Das woke Ökobio funktioniert nämlich nur selten. Wer anstelle des verfemten Glyphosat auf „Bio“-Pflanzenschutz setzt, weiß nicht, wie sich Pflanzen völlig naturgemäß gegen Fressfeinde wehren: mit überaus wirkungsvollem Gift. Überhaupt: „Naturbelassen“ kann man so einen Garten bald vergessen, das halten Tomaten und Gurken nicht aus. Aber wer weiß das schon, der sein Biogemüse im Bioladen kauft, der selbiges aus China importiert, wo gar nicht immer bio ist, was sich bio nennt.
Und doch: Gärtnern tut gut. Es befriedigt archaische Triebe, die der Mensch nun einmal in sich trägt, egal, wie fromm er sich fühlt. Er möchte Ordnung und Übersicht, Freiheit von der Konkurrenz um Nahrung, zäunt sein Terrain gegen den Mundräuber ab und verfolgt hemmungslos die tierischen Fresser, auch wenn das harmlos als „Vergrämen“ daherkommt.
Leimruten auslegen geht ja noch, oder Vogelscheuchen, die tun, was der Name sagt. Doch der Krieg gegen die ungezähmte Natur geht auch robuster. Wer gegen Ameisen, Blatt- und Schildläuse oder Pilzbefall kein Gift einsetzt, hat eh verloren. In den Weinbergen marschierte früher der Feldschutz umher und schoss mit Böllern auf nach Trauben gierende Stare. Heute erledigen das Selbstschussanlagen. Überhaupt: Im Gartenmarkt gibt es die raffiniertesten Maschinen, mit denen das umzäunte Terrain sauber gehalten werden soll. Gegen Wühlmäuse und Maulwürfe werden neben Gift auch Schlagfallen, Lärmerzeuger, Erdbebensimulationen und Apparate für Stromstöße angeboten. Ein wahres Mörderarsenal!
So bitter es ist: Aus eigener Erfahrung als Tierromantiker kann ich bezeugen, dass Lebendfallen bei Mäusen überhaupt nichts nützen. Es hilft nur – genau: das Totschlagargument.
Der Gärtner ist also der Mörder. Oder gar ein Nazi, der es mit Blut und Boden hat? Ach was. Nicht erst seit dem Urteil gegen die Leipziger Hammerbande um Lina Engel wissen wir es besser: Wer seine Wut im Garten auslebt, übt womöglich nur den prinzipiell achtenswerten Kampf gegen rechts. Nazis seien zwar nicht vogelfrei, meinte der für das eher milde Urteil zuständige Richter. Doch man müsse der Schlägertruppe ein „achtenswertes Motiv“ unterstellen.
Fühlen Sie sich also frei, wenn Sie hacken und jäten und morden und sengen! Blattläuse könnten verkappte Nazis sein und Schnecken ihre Schlägerbanden. Schluss mit dem schlechten Gewissen.
Wie hieß es einst: Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin, wohnt im hessischen Vogelsberg und in Südfrankreich. Ihr bislang letztes Sachbuch heißt „Lob des Normalen“ (2021). Aktuell ist von ihr der Roman „Über alle Gräben hinweg“ erschienen.