Thomas Rietzschel / 01.10.2020 / 15:00 / Foto: Government of UK / 36 / Seite ausdrucken

Die Journaille gibt nie auf

Vor zwei Wochen noch waren die Erwartungen der deutschen „Journaille“ – der Begriff, abgeleitet vom französischen „Kanaille“, geht auf Karl Kraus zurück – hoch gesteckt. Kaum eine Redaktion, die sich nicht bemühte, den politischen Dienstherren in Berlin und Brüssel Mut zu machen. Nachdem das britische Unterhaus Boris Johnsons „Binnenmarktgesetz“ zur Wahrung der „Integrität Großbritanniens“ in erster Lesung mit großer Mehrheit angenommen hatte, hieß es unisono, dass darauf wenig zu geben wäre.

Wichtiger sei vielmehr die nächste „entscheidende Abstimmung“. Und dann, ja dann werde mit Sicherheit abgerechnet, Johnson abgrundtief unterliegen. Unterdessen kennen wir das Ergebnis dieser zweiten Entscheidung. Am vergangenen Dienstag votierten die Abgeordneten 340 zu 256 – für die Gesetzesvorlage des Premierministers. Seine Mehrheit hat sich von 77 auf 84 Stimmen erhöht. 

Von der dpa abgesehen, wollten die Wenigen, die es hierzulande über sich brachten, zu melden, was ihrer Vorhersage nach ausgeschlossen war, von dem Zugewinn kein Aufhebens machen. Die Zahlen fielen unter den Tisch. Stattdessen versprach uns ZEIT ONLINE unverdrossen: „Die finale Entscheidung steht jedoch weiter aus.“ Schließlich müsste der Entwurf auch vom Oberhaus abgesegnet werden. Will sagen, dass es nun an den Lords ist, den roten, grünen und schwarzen Kostgängern der EU aus der Patsche zu helfen.

Sollte daraus wieder nichts werden, bleibt den Verbohrten immerhin noch der Weg in den Kensington Palace, die Hoffnung auf ein Machtwort der machtlosen Queen: Absurdes Theater auf der Bühne deutscher Medien. Mehr dazu nach der nächsten Aufführung anlässlich der Beratungen im House of Lords.  

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Leserpost

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Uwe Schäfer / 01.10.2020

Komischerweise denken diese Herrschaften anscheinend immer noch, dass ihr nur noch als ekelhaft titulierbares Tun, gut und richtig ist. Kein Thema mehr ohne es zu verbiegen bis das Gegenteil der Wahrheit heraus kommt. Es ist genauso wie bei den damaligen verbohrten Hofberichterstatterb, der beiden früheren deutschen Diktaturen. Daumen hoch für diese guten Menschen! (Sarkasmus aus.)

Gabriele Schäfer / 01.10.2020

Boris go, go go…. We love you!

Karl Eduard / 01.10.2020

“Manchmal, wenn man sich etwas ganz dolle wünscht, geht es in Erfüllung.” Aber nur manchmal.

Harald Unger / 01.10.2020

Die deutsche MSM Landschaft ist irreparabel zerstört. Wäre Achgut z.B. wie The Federalist aufgestellt, kämen Analysen darüber, woher das kommt und wohin das geht. So aber dreht man sich und uns im Hamsterrad der täglichen Oberflächen Empörung, ohne jemals auf die Idee zu kommen, den Dingen auf den Grund zu gehen. - - - Achgut ist in D. gleichsam der Einäugige unter den Blinden. Immerhin. Mehr ist aber nicht drin. - - - Der Polit-Mediale-Komplex hat ganze Arbeit geleistet, in der hermetisch flächendeckenden Konditionierung, daß jeder Gedanke außerhalb von Oberflächen Beschreibungen, eine VT, Hassrede, Rassismus und rechts sei.

Thomas Gruber / 01.10.2020

Die Journalistik ist die Kunst, das Volk glauben zu machen, was die Regierung für gut findet. (Heinrich von Kleist, 1777 - 1811)

Andreas Rühl / 01.10.2020

Was ebenfalls bezeichnend ist: Gerade im Auto BR5 gehört, da ging es um das Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission gegen GB einleitet. DASS es einen Vertragsverstoß gibt - und damit DASS die Auslegung des Vertrages durch die britische Regierung “falsch” ist, steht für den deutschen Radiojournalisten offenbar gar nicht in Frage. Die Position der britischen Regierung (es handle sich nicht um eine Vertragsverletzung, sondern bereite nur den Fall vor, dass kein Abkommen zustandekommt) wird nicht einmal mehr für erwähnenswert gehalten. Die Position “der EU” ist die einzig richtige. So als würde auch nur EINER dieser Journalisten den Vertrag kennen, ihn gelesen, ihn gar verstanden haben, einen Vertrag, der gerade in den Regelungen zwischen Irland und Nord-Irland, soweit ich das beurteilen kann, hoch komplex ist (wenn nicht sogar widersprüchlich). Nur die Komplexität (oder Widersprüchlichkeit) war ja der Grund dafür, dass letztlich alle zustimmen konnten, es war ein typisch “europäischer” Kompromiss, der es beiden Seiten erlaubte, in den Vertrag genau das hinein zu lesen, was er brauchte, um es seinem Wahlvolk (oder dem Parlament) als “good deal” verkaufen zu können. Jetzt so zu tun, als sei der Vertrag in seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit “eindeutig” ist nicht nur blanke Heuchelei, sondern heisst, die Menschen für dumm zu verkaufen. Journalismus, der etwas auf sich hält, fällt auf solche durchsichtigen Tricks nicht herein und macht das auch deutlich. Ansonsten ist er nur willfähriger Helfer der Propaganda. Und gar sich vorzustellen, dass GB nach dem Brexit einen Euro “Strafzahlungen” an die EU leistet, bedarf auch schon einer gewissen “Phantasie” oder besser: eines Intelligenzquotienten sub 60.

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