Die öffentlich-rechtliche Täterlobby – sofern es sich nicht um stigmatisierte „Rechtspopulisten“ handelt – hat sich in Bezug auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Überschrift „Auch Gewalttätige sind schutzwürdig“ ausgedacht. Es geht um einen afghanischen Staatsangehörigen, der als unbegleiteter Minderjähriger nach Belgien einreiste und sich dort im Unterbringungszentrum an einer Schlägerei „beteiligte“, wie es bei der Tagesschau unaufgeregt klingt. Der Leiter des Unterbringungszentrums schloss ihn daraufhin für die Dauer von 15 Tagen vom Anspruch auf materielle Hilfe in der Aufnahmestruktur aus. Der Mitteilungsdienst des Europäischen Gerichtshofs „Curia" berichtet konkreter: „In dieser Zeit verbrachte Herr Haqbin die Nächte nach eigenen Angaben in einem Brüsseler Park bzw. bei Freunden“ – trotz einer ihm ausgehändigten Liste mit Obdachlosenheimen.
Hilfsbereite Anwälte waren augenblicklich zur Stelle. Beim EuGH angelangt, stellte dieser fest: Sanktionen dürfen die Befriedigung elementarster Bedürfnisse nicht einschränken und müssen in jedem Fall einen würdigen Lebensstandard dauerhaft belassen. Das entspricht selbstredend den menschenrechtlichen Anforderungen. Nicht zwingend logisch und daher fragwürdig ist folgende Entscheidungsbegründung:
„Die für die Aufnahme von internationalen Schutz beantragenden Personen zuständigen Behörden müssen in geordneter Weise und eigener Verantwortlichkeit einen zur Gewährleistung eines solchen Lebensstandards geeigneten Zugang zu den im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen anbieten. Sie dürfen sich also nicht, wie es die zuständigen belgischen Behörden in Betracht gezogen haben, damit begnügen, dem ausgeschlossenen Antragsteller eine Liste privater Obdachlosenheime auszuhändigen, die ihn aufnehmen könnten.“
Was ist ungeordnet und verantwortungslos daran, dem Unruhestifter eine Liste alternativer Unterbringungsmöglichkeiten zu überreichen, und warum berücksichtigt der EuGH nicht dessen Eigenverantwortung, die Angebote wahrzunehmen? Oder geht der Gerichtshof etwa davon aus, dass Obdachlosenheime keinen würdigen Lebensstandard gewährleisten? Wo bleiben in diesem Fall die Anwälte, die sich eines Mandats für die in Obdachlosenheimen untergebrachten Menschen annehmen und diese dabei unterstützen, sich bis zum EuGH hoch zu klagen? Oder gilt die Gewährleistung eines würdigen Lebensstandards vorzugsweise für „internationalen Schutz beantragende Personen“?
Und was ist mit den schutzwürdigen Interessen der anpassungsbereiten Bewohner, die regelkonform in der Einrichtung leben? Was wohl lernen die neu Zugezogenen aus den europäischen Richtersprüchen? Ein Leserkommentar zur Sache: „Auch Gewalttätige sind schutzwürdig … Eine eigenartige Präferenz.“ Was die Tagesschau übrigens wegließ: Der Täter war am 18. April 2016 in einen Kampf zwischen Bewohnern verschiedener ethnischer Herkunft verwickelt. Die Polizei musste eingreifen, um diesen zu stoppen und verhaftete Herrn Haqbin mit der Begründung, dass er einer der Anstifter dieser Schlägerei war – nachzulesen in der ausführlichen französischsprachigen Version bei Curia (Übersetzungshilfe: deepl.com).
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks „Luftwurzel".