Die Andersgrünen: Energiemythen (2)

Von Michael Shellenberger.

Die meisten Leute sind sich darüber im Klaren, dass Deutschland einen Aufpreis bezahlt, um den Umstieg auf Erneuerbare zu schaffen. Die deutschen Strompreise sind während der letzten zehn Jahre um circa 50 Prozent gestiegen. Heute ist Strom in Deutschland ungefähr doppelt so teuer wie in Frankreich. Sie denken vielleicht, dass das ein kleiner Preis ist, um das Klima zu schützen. Dem würde ich zustimmen. Es ist einfach nur anständig, wenn die Menschen – zumindest in den reichen Ländern der Welt – etwas mehr für Energie bezahlen, um das Risiko eines katastrophalen globalen Temperaturanstiegs zu verringern.

Aber wenn man französischen und deutschen Strom vergleicht, bezieht Frankreich 93 Prozent seines Stroms aus sauberen Quellen, vor allem Wasserkraft und Atomenergie, während Deutschland gerade einmal 46 Prozent, also ungefähr halb so viel, aus sauberer Energie bezieht. Das Schockierende ist: Deutschlands Kohlenstoffausstoß ist seit 2009 angestiegen. Zwar sind die deutschen Emissionen seit den 90er Jahren insgesamt gesunken, aber das ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass nach der Wiedervereinigung ineffiziente Kohlekraftwerke in Ostdeutschland abgeschaltet wurden.

Schauen wir uns das vergangene Jahr an: Eine Möglichkeit, um Emissionen schnell zu senken, besteht darin, von Kohle auf Erdgas umzusteigen, das ungefähr halb so viele Emissionen verursacht. Der Umstieg von Kohle auf Erdgas hätte tatsächlich weniger Emissionen bewirkt, wenn Deutschland nicht zugleich Atomkraftwerke abgeschaltet hätte. Als Deutschland das tat, stiegen die Emissionen wieder an.

Im Hinblick auf die Zukunft können wir aber natürlich noch immer fragen: Wird nicht alles gut, wenn wir einfach im großen Stil auf Solar- und Windenergie setzen?

Auf eine der größten Schwierigkeiten für Solar- und Windenergie hat jemand aus Deutschland aufmerksam gemacht, der nicht im geringsten Atomkraftbefürworter ist. Er ist Energieanalyst und Ökonom, sein Name ist Lion Hirth. Er hat herausgefunden, dass das Problem, das ich vorhin beschrieben habe – dass es manchmal zu viel Solar- und Windenergie gibt und man dann nicht weiß, wohin damit – den wirtschaftlichen Wert der Erneuerbaren senkt. Hirth hat herausgefunden, dass der Wert von Windenergie um 40 Prozent fällt, sobald sie 30 Prozent der Elektrizität ausmacht, und der Wert von Solarenergie um die Hälfte, wenn sie gerade einmal 15 Prozent ausmacht.

„Die Anti-Atom-Bewegung hat die Welt getäuscht“

Man hört, dass ein Solardach schnell gemacht ist – ein Tag genügt, um es aufzusetzen –, wohingegen es fünf oder zehn Jahre dauert, ein Atomkraftwerk zu bauen. Deshalb denken viele Leute, dass wir viel schneller sein können, wenn wir auf Solar- und Windenergie setzen. Aber das Tempo des Ausbaus war Thema eines wichtigen Artikels, der 2016 in der Fachzeitschrift Science erschienen ist. Einer der Autoren war der berühmte Klimawissenschaftler James Hansen. Die Forscher haben herausgefunden, dass wir selbst durch das Kombinieren von Solar- und Windenergie deutlich weniger Energie herausbekommen, als wenn wir Atomenergie nähmen. Das gilt für Deutschland wie für die USA. Die Autoren verglichen einfach zehn Einsatzjahre für beide Technologien. Der Unterschied ist beeindruckend.

Nun spielen Sie vielleicht mit dem Gedanken, ihre Ansichten über Atomkraft zu überdenken, so wie ich es getan habe. Aber was ist mit Tschernobyl? Was mit Fukushima? Was ist mit all dem Atommüll? Das sind berechtigte Fragen.

Als ich begann, sie zu stellen, gab es noch andere Leute, die begannen, ihre Meinung zu ändern. Einer, der mich besonders beeindruckte und der besonders einflussreich war, war George Monbiot. Der britische Umweltaktivist und Journalist schrieb kurz nach Fukushima eine Kolumne, in der er die wissenschaftliche Forschung über Strahlung durchging und zu dem Schluss kam: „Die Anti-Atom-Bewegung, der ich einst angehörte, hat die Welt über die Auswirkungen von Strahlung auf die menschliche Gesundheit getäuscht.“ Ich schreibe manchmal selbst ziemlich vernichtende Dinge, aber diese Kolumne hatte es wirklich in sich. Er hatte mit vielen Wissenschaftlern gesprochen, die Strahlung erforschen.

Eine britische Top-Wissenschaftlerin, die Strahlung erforscht, ist Gerry Thomas. Sie gründete die sogenannte Chernobyl Tissue Bank (Tschernobyl Gewebebank), weil sie so besorgt über das Unglück war. Sie ist eine komplett unabhängige Professorin für Pathologie am Imperial College London. Ich rief sie an. Das Erste, worauf sie hinweist, ist, dass die am stärksten ionisierende Strahlung – das ist die Strahlung, die Schaden anrichten kann und bei Atomunfällen entsteht – natürlichen Ursprungs ist. Meine Reaktion war: „Das klingt okay. Ich mag natürliches Essen. Natürliche Strahlung aus heißen Quellen.“ Gerry sagte: „Nein, tatsächlich ist natürliche Strahlung genauso schädlich wie künstliche Strahlung.“

Es ist beeindruckend, dass die ionisierende radioaktive Strahlung, der wir durch Tschernobyl, Fukushima und all die Atombombentests der 60er und 70er Jahre ausgesetzt sind, bloß 0,3 Prozent der Gesamtmenge ausmacht. Der Großteil der Strahlung, der wir ausgesetzt sind, kommt aus der Erde, der Atmosphäre und den Gebäuden um uns herum.

Lesen Sie morgen: Tschernobyl und Schilddrüsenkrebs

Michael Shellenberger ist US-amerikanischer Umweltaktivist und Leiter des Breakthrough Institutes. Bei dieser Serie handelt es sich um die Übersetzung eines Vortrages, den Michael Shellenberger im November 2017 in Berlin gehalten hat.

 

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Leserpost

netiquette:

Richard Rosenhain / 23.12.2018

@Lef Kalender: mit Geld kann man lügen und manipulieren, mit Thermodynamik nicht. Ansonsten Zustimmung.

Albert Pflüger / 23.12.2018

Bitte, nicht immer das Klimaschutzmärchen im Zusammenhang mit CO2 auftischen. Selbstverständlich ist die angeblich “kostenlose” Energie aus Sonne und Windkraft nicht nur sehr teuer, sie hilft auch der Umwelt und dem Klima nicht.  Der Umwelt schadet sie, indem die Windräder die Zahl der Greifvögel auf ein Drittel (!!) reduzieren, was tiefgreifende Veränderungen in der Beutepopulation zur Folge hat, und darüberhinaus äußerst nachteilig für das Landschaftsbild ist. Die Energie, die aufgewendet werden muß, um die zigtausend Masten und Flügel herzustellen, verschlechtert die Umweltbilanz erheblich, ganz zu schweigen von den irrsinnigen Überlandleitungen, die erforderlich sind, um die Energie quer durch das ganze Land zu transportieren. Der entscheidende Punkt jedoch, die mangelnde Verfügbarkeit durch zufallsabhängigen Elektrizitätsanfall, ist der Grund, weshalb zusätzlich Kraftwerke anderer Art vorgehalten (und energie- und kapitalintensiv gebaut!) werden müssen. Wer rechnen kann und will, erkennt, daß es völlig falsch ist, solche Methoden der Elektrizitätserzeugung anders als als Nischenanwendung ( irgendwo in der Pampa, in einer Berghütte, auf einer Hallig, auf Segelbooten, in einer Wüstenoase, oder, als Solarenergie, auf Weltraumstationen ) zu nutzen. Die Energieversorgung einer Industrienation läßt sich so nicht sicherstellen. Allerdings kommt es mir so vor, als würden wir einen Weg beschreiten, der unsere diesbezügliche Zukunft arg düster aussehen läßt. Wenn wesentliche Industriezweige sehenden Auges aufgegeben werden, wie es derzeit offensichtlich der Autoindustrie droht, sind wir bald die Energiesorgen los. Wir haben dann andere.

Lef Kalender / 23.12.2018

@Richard Rosenhain: Man kann es auch noch einfacher sagen - der Erntefaktor ist immer noch nicht klar genug zu begreifen: These 1: Was mehr kostet, hat mehr Energie verbraucht (von Ausnahmen abgesehen, hauptsächlich einzigartige Produkte wie Kunst, usw.) . Daraus folgt These 2: Wenn Strom (oder sonstige Energie), der/die mit EE erzeugt wurde, teurer ist, als der/die aus “konventioneller Enetrgie, war der Energieaufwand zur Produktion der EE höher. Daraus folgt These 3: Wenn EE mit EE hergestellt wird, ist nicht deren Produkt (Energie) teurer, sondern insgesamt ein noch höherer Energieaufwand nötig. (Man muss dafür nur auch alle beteiligten Faktoren einbeziehen, die zur Produktion nötig sind, also nicht nur das Kapital (Maschinen usw.), sondern auch Arbeit bzw. deren Energieaufwand. Das tut seltsamerweise keine EROI-Betrachtung oder DIN.)

Heiko Stadler / 23.12.2018

Die Leute, die sich freiwillig der höchsten radioaktiven Strahlung aussetzen, sind die Grünen, denn die legen die meisten Flugkilometer zurück und im Flugzeug in großer Höhe herrscht die größte Strahlung.

Engelbert Gartner / 23.12.2018

@Anders Dairie : Tschernobyl war ein Reaktor, der u.a. auch genutzt wurde, um Plutonium für die Kernwaffenproduktion zu gewinnen. Daher war er ein Reaktortyp, der Grafit ( Kohlenstoff ) als Moderator verwendet. Man kann bei diesem Reaktortyp nach ca. 25 Tagen eingesetzte Brennelemente wechseln, ohne den Reaktor abzuschalten zu müssen. Weiterhin wurde im Betrieb ein Versuch durchgeführt, bei dem alle automatisch eingreifenden Sicherheitsvorkehrungen abgeschaltet wurden. Das Ergebnis ist bekannt. In Deutschland wird als Moderator Wasser eingesetzt. Das, was in Tschernobyl geschah, ist in deutschen KKW´s überhaupt nicht möglich.  PS: Brennendes Grafit kann man nicht löschen !!!  / Ein Moderator hat die Aufgabe, Neutronen auf die Geschwindigkeit abzubremsen, damit die Kettenreaktion überhaupt am laufen bleiben kann.

Engelbert Gartner / 23.12.2018

Zum Thema natürliche Strahlung: Das Alter von organischem Material wird über radioaktiven Kohlenstoff ( C14 -Methode) bestimmt. Hat man 1 Gramm Kohlenstoff, so zerfällt rein statistisch nach 36 Sek. ein C14 Atom unter Abgabe von Beta-Strahlung. Wir Menschen bestehen zu 19 % aus Kohlenstoff. Ich rechne nun einfachhalber mit einem Gewicht von 100 Kg. Es läßt sich errechnen, dass der Kohlenstoffanteil dann bei 19 Kg liegt.  ( 19 000Gramm ). Jetzt ist es für jeden recht einfach nachzurechnen, wie viel Beta-Strahlung ein solcher Mensch pro Sekunde abgibt. Es sind 19 000 Zerfälle in 36 Sekunden, oder umgerechnet ca. 500 Zerfälle pro Sekunde. Bei einem Menschen, der nur 50 Kg wiegt, sind es nur noch ca. 250 pro Sek.. Als Grüner wäre es nun zu überlegen, ob Menschen, die über 100 kg wiegen, ihre Umwelt durch einen leichten Bleianzug schützen müssen. ;-)

Richard Rosenhain / 23.12.2018

Die Thermodynamik als einzige solide Grundlage für die Bewertung von Energieumwandlungsprozessen kennt hier jenseits allen Geschwätzes ein knallhartes Kriterium. Das ist der Erntefaktor. Der beschreibt das Verhältnis von erzielter („geernteter“) Exergie im Verhältnis zu investierter Exergie. Wer nicht weiß, was Exergie ist, muss sich kundig machen oder sollte schweigen. Die Erntefaktoren für sogenannte alternative (fälschlich auch erneuerbar genannte) Energien sind in der Regel grottenschlecht. Das heißt, dass Investitionen in solche Energiewandlungsprozesse besonders teure Formen des energetischen Verhungerns darstellen. Mehr braucht man nicht zu wissen.

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