Michael Shellenberger, Gastautor / 24.12.2018 / 11:00 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Die Andersgrünen: Energiemythen (3)

Von Michael Shellenberger.

Schauen wir uns den Unfall von Tschernobyl an, den sogenannten „Super-GAU“. Er machte mich damals zum Atomkraftgegner und letztlich zum Anti-Atom-Aktivisten.

Die Vereinten Nationen haben große Forschungsbemühungen angeleitet, an denen insgesamt hunderte Wissenschaftler auf der ganzen Welt beteiligt waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Daten manipuliert oder etwas vertuscht, ist in diesem Umfeld ziemlich gering, denn viele glaubwürdige Wissenschaftler an verschiedenen Universitäten waren an der Arbeit beteiligt.

Für mich war Tschernobyl ein Wendepunkt. Tschernobyl war der schlimmste Atomunfall, den wir je hatten. Manche sagen, dass es der schlimmste Unfall ist, den wir jemals haben werden. So eine starke Behauptung muss ich gar nicht aufstellen. Aber da war buchstäblich ein Reaktor ohne Reaktorhülle, und er stand in Flammen. Strahlung regnete auf alle herunter. Es war ein grauenhafter Unfall.

28 Todesfälle durch Strahlenkrankheit und 15 durch Schilddrüsenkrebs

Aber wenn man anfängt, die Toten zu zählen, kommt man auf 28 Todesfälle durch Strahlenkrankheit und 15 Todesfälle durch Schilddrüsenkrebs in den letzten 25 Jahren. So zynisch es klingt, Schilddrüsenkrebs ist tatsächlich eine der „günstigeren“ Krebsarten, die man haben kann, denn kaum jemand stirbt daran. Er lässt sich sehr gut behandeln. Die Schilddrüse kann operativ entfernt werden, und man nimmt dann Thyroxin, ein synthetisches Substitut. Tatsächlich hielten sich die meisten Leute, die starben, in abgelegenen ländlichen Gegenden auf, wo sie die Behandlung, die sie brauchten, nicht bekommen konnten.

Man schätzt, dass von den 16.000 Menschen, die durch Tschernobyl Schilddrüsenkrebs bekamen, letztlich 160 daran sterben werden. Es ist übrigens nicht so, dass sie sofort daran sterben. Sie sterben daran, wenn sie in hohem Alter sind. Ich möchte nichts relativieren, aber dieser Kontext ist wichtig. Und es gibt keine Hinweise auf irgendeinen Anstieg von Schilddrüsenkrebs außerhalb der drei am meisten betroffenen Länder: Russland, Ukraine und Weißrussland. Es gibt keine Hinweise auf Auswirkungen des Reaktorunglücks auf Fruchtbarkeit, Missbildungen bei der Geburt oder Säuglingssterblichkeit; auch nicht für einen Anstieg an unglücklichen Schwangerschaftsverläufen oder Totgeburten, auch nicht für genetische Auswirkungen.

Ein weiterer Punkt ist meines Erachtens der bemerkenswerteste: Abgesehen vom Schilddrüsenkrebs gibt es keinerlei Hinweis auf irgendeinen Anstieg von Krebs unter den Arbeitern, die das Tschernobyl-Feuer gelöscht und nachher den Unglücksort aufgeräumt haben. Ich wundere mich noch immer über diesen Befund, und kann Ihre Skepsis nachvollziehen. Daher hier der Link zur Studie.

Was ist mit Fukushima?

Meine intensive Lektüre zum Thema Tschernobyl war maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich meine Haltung zur Atomkraft überdachte. Was ist mit Fukushima? Das war der zweitschlimmste Atomunfall der Geschichte und bei weitem kleiner als Tschernobyl. Es gab keine Todesfälle durch Strahlungseinwirkung, was ziemlich verblüffend ist. Dafür sind 1.500 Menschen gestorben, weil sie aus Pflegeheimen und Krankenhäusern gezerrt wurden – es war der Wahnsinn, die reinste Panik. Die japanische Regierung hätte das nicht tun sollen, es widersprach jeglichen Standards des Katastrophenmanagements. Man muss Zuflucht vor Ort bieten. Indem die Menschen aus ihren Häusern gezerrt und draußen herummanövriert wurden, hat man letztlich mehr Menschen mehr Strahlung ausgesetzt.

Und das muss man nun vergleichen mit den anderen Dingen, die da vor sich gingen, etwa den 15.000 bis 20.000, die als Folge des Tsunami sofort ertranken – unter Wasser gedrückt übrigens durch eine Vielzahl verschiedener Technologien. Während es also keinen Anstieg an Schilddrüsenkrebs gab, gab es Stress und Angst, weil die Leute glaubten, sie seien verseucht, trotz aller Evidenz, dass das überhaupt nicht der Fall war.

Ein paar Wissenschaftler machten eine interessante Untersuchung. Sie nahmen eine Gruppe Schulkinder aus Frankreich nach Fukushima mit und ließen sie Dosimeter tragen, wie wir Geigerzähler heute nennen. Die Strahlenbelastung war dramatisch erhöht, als die Kinder durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen gingen. Auch während des Fluges von Paris nach Tokio war die Strahlenbelastung dramatisch erhöht. Die Kinder sind durch das Sicherheitssystem der französischen Botschaft gegangen, und wieder war die Strahlenbelastung dramatisch erhöht. Als sie dann in die Stadt Tomioka gingen, die eine Menge Strahlung durch den Unfall abbekommen hatte, gab es nur einen winzigen Anstieg, verglichen mit den Sicherheitskontrollen.

Lesen Sie morgen in der letzten Folge: Atomenergie als Lebensretter?

Michael Shellenberger ist US-amerikanischer Umweltaktivist und Leiter des Breakthrough Institutes. Bei dieser Serie handelt es sich um die Übersetzung eines Vortrages, den Michael Shellenberger im November 2017 in Berlin gehalten hat.

 

Teil 1

Teil 2

Teil 4

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Dr. Kai Schöneboom / 24.12.2018

Mag sein, dass Horrorzahlen übertrieben waren. Aber es gab 9 Monate nach Tschernobyl signifikant mehr Geburten mit Missbildungen im Fallout-Areal, so auch in Berlin, und insbesondere auch einen Anstieg an Schilddrüsenkrebserkrankungen (im Krebsregister der DDR genau erfasst). Bitte immer schön bei der Wahrheit bleiben, Herr Shellenberger.

Rudi Knoth / 24.12.2018

Zitat:“Sie nahmen eine Gruppe Schulkinder aus Frankreich nach Fukushima mit und ließen sie Dosimeter tragen, wie wir Geigerzähler heute nennen.” Das stimmt so nicht. Dosimeter sind Röhren, in denen die Entladung durch die Strahlung mit der Zeit gemessen werden. Was Sie als Geigerzähler bezeichnen ist ein spezielles Zählrohr, das unter Hochspannung steht und in dem bei Eintreffen von Strahlungsteilchen (alpha, beta gamma) Impulse registriert werden.

Andreas Mertens / 24.12.2018

Ach ja ... in dem Zusammenhang sehr lesenswert die Studie über die mit Cobalt kontaminierten Gebäude in Taiwan.  Dort war Cobalt 60, einer der übelsten Strahler überhaupt, in Stahlträgern verschmolzen und dann in Wohn- und Bürogebäuden verbaut worden. Die Strahlenbelastung war teils abnorm hoch. Einfach mal =>  “US National Library of Medicine National Institutes of Health + Effects of Cobalt-60 Exposure on Health of Taiwan Residents Suggest New Approach Needed in Radiation Protection” googeln.

Andreas Mertens / 24.12.2018

Meinen Dank für den Link zur Studie. So etwas suche ich seit .. nun .. seit Jahrzehnten. Kannte bisher nur einige WHO Zahlen, welche vermuten das bis zu 4000Ppersonen direkt oder indirekt durch das Tschernobyl-Desaster zu Tode kamen. (einfach WHO +  Chernobyl: the true scale of the accident googln) Aber im Endeffekt auch wieder völlig umsonst. Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen posaunen seit Ewigkeiten die Zahl von über 100.000 Toten durch ihre Öko-Bio-Anti-Atom/Gentech-Panik-Blase. Ihnen hört keiner zu. Es ist wie mit Agent Fox Mulder aus der Serie Akte X. Die haben alle das Poster überm Kopf: I want to believe!

Thomas Weidner / 24.12.2018

Na ja, Fukushima: Das “Antenne Bayern”-Radio verbreitet bis heute in schöner Regelmäßigkeit, dass das dortige Reaktorunglück 16.000 Tote verursacht habe. Ich habe das wenigstens 4… 5 x über die letzten Jahre mit eigenen Ohren gehört - und ich höre wirklich selten Radio. Zuletzt habe ich diese Volksverdummung dieses Jahr, also 2018, gehört. “Antenne Bayern”-Radio gehört:

Lef Kalender / 24.12.2018

Es klingt wirklich unglaublich. Zu groß ist die Spanne zwischen “Millionen von Folgetoden”, die nach dem GAU Tschernobyl prophezeit wurden, den “4000”, die die WHO verkündet (und z.B. bei Wikipedia nur mit Mühe und heftiger Gegenwehr stehenbleiben durften) und der kaum zweistelligen Zahl im Artikel. Die Strahlenexposition der etliche tausend Sandschaufler soll danach so harmlos gewesen sein? Ich kann es nicht glauben und leider nicht genug Englisch, um die genannte Studie kritisch (!) lesen zu können. Durch diese Verharmlosung - befürchte ich - wird diese damalige Aktion gerechtfertigt und die Beauftrager werden quasi rehabilitiert. Aber richtig ist bestimmt, dass durch die absichtlich produzierte Angst vor Strahlung aus AKW ohne und mit GAU (in dieser Dimension fast vollständig völlig unberechtigt) weit mehr Menschen frühzeitig gealtert sind,  als tatsächlich durch Strahlung selbst, vielleicht weltweit sogar wirklich an die Million heranreichend. Von Folgen anderer Art (Umweltzerstörung durch Ablehnung von AKW-Neuentwicklung) ganz zu schweigen.

Engelbert Gartner / 24.12.2018

Das Gleiche habe ich bereits im Teil 2 geschrieben.: Tschernobyl war ein Reaktor, der u.a. auch genutzt wurde, um Plutonium für die Kernwaffenproduktion zu gewinnen. Daher war er ein Reaktortyp, der Grafit ( Kohlenstoff ) als Moderator verwendet. Man kann bei diesem Reaktortyp nach ca. 25 Tagen eingesetzte Brennelemente wechseln, ohne den Reaktor abzuschalten zu müssen. Weiterhin wurde im Betrieb ein Versuch durchgeführt, bei dem alle automatisch eingreifenden Sicherheitsvorkehrungen abgeschaltet wurden. Das Ergebnis ist bekannt. In Deutschland wird als Moderator Wasser eingesetzt. Das, was in Tschernobyl geschah, ist in deutschen KKW´s überhaupt nicht möglich.  PS:  Brennendes Grafit kann man nicht löschen !!!  / Ein Moderator hat die Aufgabe, Neutronen auf die Geschwindigkeit abzubremsen, damit die Kettenreaktion überhaupt am laufen bleiben kann.    Zum Teil 3) Die Zahlen, welche Sie verwenden, decken sich recht gut mit den Zahlen, welche ich aus seriösen Wissenschaftsmagazinen habe. Durch die jahrzehntelange Indoktrinierung der Bevölkerung durch Medien und Umweltparteien will dies nur keiner glauben.

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