Ein ganzes Jahrzehnt lang wurde die deutsche Energiewende von Journalisten als umweltfreundliche Lösung mit Modellcharakter für die ganze Welt gepriesen. „Dank der Energiewende überlegten nun arme Länder, die Kohlekraftwerke für die Stromversorgung ihrer Bevölkerung einsetzen wollten, ob sie eine fossile Versorgung gleich überspringen und sich für ein sauberes Stromnetz entscheiden sollten“, schrieb ein Reporter der New York Times 2014. Von Deutschlands Energiewende inspiriert, machten die UN und die Weltbank Milliarden locker für den Bau von Wind-, Solar- und Wasserkraftwerken in Entwicklungsländern wie etwa Kenia.
Allerdings musste sich Deutschland vergangenes Jahr eingestehen, dass der geplante Kohleausstieg verschoben werden muss und der für 2020 geplante Zielwert für die Reduktion der Treibhausemissionen nicht eingehalten werden kann. Jetzt sollen ein Wald gerodet und eine denkmalgeschützte Kirche abgerissen werden, um an die Kohle darunter zu kommen.
Während Investoren und Befürworter erneuerbarer Energien (unter anderem Al Gore und Greenpeace) nicht mit Kritik sparten, blieben Journalisten eisern bei der Verteidigung der Energiewende. „Die CO2-Minderungsziele konnten teilweise aus dem Grund nicht erreicht werden, weil sie viel zu ambitioniert waren“, argumentierte eine Journalistin vergangenen Sommer. „Wenn die restliche Welt nur halb so weit wäre wie Deutschland, sähe die Zukunft des Planeten nicht so düster aus“, schrieb sie. „Nicht aufgeben, Deutschland. Und außerdem: Danke.“ Dabei geht es nicht nur um verfehlte Minderungsziele: Die Werte der Treibhausgasemissionen stagnieren seit 2009.
Protest in der deutschen Provinz wächst
Und nun erscheint eine Titelgeschichte im größten Nachrichtenmagazin des Landes, Der Spiegel, mit dem Titel „Murks in Deutschland“. Zerbrochene Windmühlen und Hochspannungsmasten außer Betrieb vor der dunklen Silhouette Berlins schmücken das Titelblatt. „Die Energiewende – das größte politische Projekt seit der Wiedervereinigung – droht zu scheitern“, schreiben die Spiegel-Redakteure Frank Dohmen, Alexander Jung, Stefan Schultz und Gerald Traufetter in ihrem 5.700 Worte starken Beitrag. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat die Energiewende Deutschland 32 Milliarden Euro pro Jahr gekostet.
Der Protest gegen erneuerbare Energien wächst in der deutschen Provinz. „Die Politiker fürchten sich vor dem Widerstand der Bürger“, berichtet Der Spiegel. „Es gibt kaum noch ein unumstrittenes Windenergie-Vorhaben.“ Als Antwort auf den Protest werden geplante Überlandleitungen manches Mal unter der Erde verlegt, obwohl dies viel teurer ist und um Jahre länger dauert. Die Folge von all dem ist, dass sich der Einsatz erneuerbarer Energiequellen mitsamt der notwendigen Übertragungsleitungen sehr verlangsamt hat. Wurden 2017 noch 743 Windturbinen in Betrieb genommen, waren es 2018 nur noch weniger als die Hälfte. Die Länge der neuen Übertragungsleitungen betrug 2017 bloß 30 Kilometer.
Befürworter von Sonnen- und Windenergie behaupten zwar, dass die zukünftige Entwicklung dank preiswerter gewordener Solar- und Windkraftanlagen weniger kostenaufwendig sein wird. Es gibt aber gute Gründe, zu glauben, dass das Gegenteil zutrifft (siehe hier).
„Der Windenergie-Boom ist vorbei“
Wenn Deutschland im Zeitraum 2025-2050 den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von heute 35 Prozent auf 100 Prozent erhöhen will, würden die Kosten dafür 3-4 Billionen Dollar betragen. Laut einer im Spiegel zitierten Schätzung würde eine drei- bis fünffache Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien bis 2050 Kosten von 3,4 Billionen Euro bedeuten – das ist das Siebenfache der Summe für den Zeitraum 2000-2025. Zwischen 2000 und 2019 ist der Stromanteil aus erneuerbaren Quellen von 7 auf 35 Prozent gewachsen. Innerhalb der Erneuerbaren ist der Anteil der Bioenergie gleich groß wie der der Solarenergie – obwohl Ersteres nach Ansicht von Wissenschaftlern umweltschädlich ist.
Nur 8 Prozent der insgesamt benötigten 7.700 km langen neuen Stromleitungen sind erstellt worden – dabei ist Stromspeicherung sowohl teuer als auch ineffizient. „Ein Großteil der Energie geht verloren“, schreiben die Reporter über ein vielgelobtes Projekt mit Wasserstoff als Energieträger, „und die Effizienz ist unter 40 Prozent ... Daraus kann kein lebensfähiges Geschäftsmodell entwickelt werden.“
Hinzu kommt, dass die seit 2000 laufenden und für 20 Jahre gewährten Subventionen ab nächstem Jahr langsam versiegen. „Der Windenergie-Boom ist vorbei,“ resümiert Der Spiegel. Da drängt sich die Frage auf: Wenn es für Deutschland, eines der reichsten und technologisch hochentwickeltsten Länder der Erde, nicht möglich ist, seinen Strombedarf durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen kostenschonend zu decken – wie sollte dann ein Entwicklungsland wie Kenia darauf hoffen, durch die Nutzung erneuerbarer Ressourcen die Energiegewinnung aus fossilen Quellen einfach überspringen zu können?
Die Frage der Technik
Das im 20. Jahrhundert früheste (und sehr anspruchsvolle) Plädoyer für erneuerbare Energiequellen kam vom einflussreichen deutschen Philosophen Martin Heidegger. In seinem 1954 erschienenen Essay „Die Frage der Technik“ vertritt er die Ansicht, dass die Natur keine dem Menschen zur freien Verfügung stehende Ressource ist:
„Das in der modernen Technik waltende Entbergen ist ein Herausfordern, das an die Natur das Ansinnen stellt, Energie zu liefern, die als solche herausgefördert und gespeichert werden kann ... Die Luft wird auf die Abgabe von Stickstoff hin gestellt, der Boden auf Erze, das Erz z.B. auf Uran, dieses auf Atomenergie.“
Eine solche Vorgehensweise, argumentierte Heidegger, liefert die Gesellschaft und die Wirtschaft an unzuverlässige Energiequellen aus. Er verurteilte hydroelektrische Dämme, weil sie die natürliche Umwelt dominieren, lobte hingegen die Windmühle, denn sie „erschließt ... nicht Energien der Luftströmung, um sie zu speichern.“ Es ging ihm nicht bloß um ästhetische Gesichtspunkte. Windmühlen waren schon immer für die Landwirtschaft nützlich, während große Staudämme eher der Industrialisierung armer Agrargesellschaften dienten.
Heideggers Ansichten wurden in den USA von Befürwortern erneuerbarer Energiequellen aufgegriffen. Barry Commoner argumentierte 1969, dass der Übergang zur Nutzung erneuerbarer Energien die moderne Zivilisation „in Einklang mit der Ökosphäre“ bringen wird. Die Nutzung erneuerbarer Energien sei gleichbedeutend mit der Rückentwicklung moderner Industriegesellschaften zu Agrargesellschaften, schrieb Murray Bookchin in seinem 1962 erschienenen Buch „Our Synthetic Environment“. Bookchin meinte, dass die Nutzung erneuerbarer Energien „kulturelle Isolation und gesellschaftliche Stagnation heraufbeschwört, eine Reise zurück zu den Agrargesellschaften des Mittelalters und der Antike.“
Windenergie hält Kenia arm
Etwa ab dem Jahr 2000 bekam der Begriff „erneuerbare Energien“ einen neuen Hightech-Glanz. Regierungen und private Anleger investierten 2 Billionen US-Dollar in Solar- und Windenergie sowie in die damit verbundene Infrastruktur. Es entstand der Eindruck, dass erneuerbare Energie nicht bloß eine subventionsbedürftige, sondern auch eine profitable Angelegenheit ist. Entrepreneurs wie etwa Elon Musk verkündeten, dass eine reiche, energieaufwendige Zivilisation durch billige Solarmodule und Elektroautos versorgt werden könnte. Berichte über den Preisverfall von Solarbatterien überschlugen sich, der Wendepunkt, ab dem das Tätigkeitsfeld der konventionellen Stromversorger obsolet sein wird, schien bereits in greifbarer Nähe.
Aber kein noch so intensives Marketing kann die ungünstigen physikalischen Merkmale der Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen ändern: Sie sind sowohl raum- als auch ressourcenintensiv. Solar- und Windkraftanlagen brauchen 450-mal beziehungsweise 700-mal mehr Landfläche als Nuklearanlagen beziehungsweise natürliche Gasquellen, um die gleiche Menge an Energie zu produzieren.
Noch verheerender erweisen sich Bemühungen, die Energiewende in Entwicklungsländer zu exportieren. Die neue Windkraftanlage in Kenia, von Deutschland sowie weiteren wohlmeinenden westlichen Ländern inspiriert und finanziert, befindet sich mitten in der Flugbahn von Wandervögeln. Wissenschaftler stellen fest, dass die Anlage hunderten von bedrohten Adlern das Leben kosten wird.
“Bezüglich des Potenzials, bedrohte Vogelarten umzubringen, ist es einer der drei übelsten Orte für eine Windkraftanlage, die ich je in Afrika gesehen habe“ erklärte ein Biologe. Als Reaktion darauf taten die Erbauer jener Windkraftanlage genau das, was Europäer in Afrika schon immer getan haben: Sie haben vordergründig für das Wohl der bedrohten Tiere und Gemeinschaften agierende Organisationen eingebunden, damit sie mit dem Windenergie-Projekt kollaborieren, statt es zu bekämpfen. Kenia wird nicht in der Lage sein, durch Windenergie die Nutzung fossiler Energieträger zu überspringen. Ganz im Gegenteil, die Unzuverlässigkeit der Windenergie wird den Strompreis eher in die Höhe treiben und so Kenias langsamen Weg aus der Armut bremsen.
Hauptsache, die Deutschen sind stolz
Heidegger hätte (in Übereinstimmung mit den meisten heutigen Umweltschützern) das, was aus der Energiewende geworden ist, gehasst: Ein Alibi für die Zerstörung von Landschaft und lokalen Gemeinschaften. Der Widerstand gegen erneuerbare Energie kommt von der Landbevölkerung, von Menschen, die Heidegger als authentischer idealisiert hat, die mehr „geerdet“ sind als die urbane kosmopolitische Elite, jene Solardach-Fetischisten mit ihren Teslas als sichtbare Zeichen ihrer Tugend.
Die Deutschen, die ihre erneuerbaren Energiequellen und die verwandte Infrastruktur bis 2025 rund 580 Milliarden Dollar gekostet haben wird, sind stolz auf ihre Energiewende. „Sie ist unser Geschenk an die Welt“, sagte ein Befürworter der New York Times. Tragischerweise scheinen viele Deutsche geglaubt zu haben, dass sich die Ausgabe so vieler Milliarden lohnen würde. „Denn dann könnten Deutsche endlich das Gefühl haben, dass sie, die großen Zerstörer des 20. Jahrhunderts, im 21. Jahrhundert die Retter der Welt sein werden“, meinte ein Reporter.
Es wird oft behauptet (so im Spiegel), dass die Wende, der Übergang zur Nutzung erneuerbarer Energien, bloß „verpfuscht“ wurde, das stimmt aber nicht. Die Energiewende war zum Scheitern verurteilt, weil moderne Menschen in Industriegesellschaften trotz ihrer romantischen Vorstellungen nicht bereit sind, ins vorindustrielle Zeitalter zurückzukehren. Warum können erneuerbare Energien keine moderne Zivilisation umfassend versorgen? Der Grund ist einfach: Es war niemals ihr ursprünglicher Zweck. Umso interessanter ist die Frage, wie überhaupt jemand auf die Idee kam, dass sie es tun könnten.
Dieser Artikel erschien im englischen Original am 6. Mai 2019 bei Forbes.
Deutsche Übersetzung von Anna Fuhrmann.