Der Kulturkompass: Die Avantgarde der Angst

Es ist immer wieder eine Freude, wenn ein neuer Bolz herauskommt. Der Leser bekommt, was er erwartet: klare und scharfe Analysen, gepaart mit pointierten und stichhaltigen Feststellungen. So enttäuscht Norbert Bolz mit seinem neuesten Essay „Die Avantgarde der Angst“ in keiner Weise seinen Leser.

Vielmehr lässt er diesen in 16 kleinen Kapitelchen an einem kleinen intellektuellen Feuerwerk zum Phänomen „Angst“ teilhaben. So überrascht es nicht, wenn bedeutende Namen wie Hans Blumenberg, Johann Huizinga oder Odo Marquard auftauchen. Ebenso wenig, wenn Bolz vom „Peter-Pan-Syndrom“ (Dan Kiley), vom „Nanny State“ (Ian MacLeod) oder vom „Prinzessin-auf-der-Erbse-Syndrom“ (Odo Marquard) spricht.

Dieser fächerübergreifende Überblick und das Verlassen seiner egozentrischen Perspektive, die sich nur um eigene Gedanken und Betrachtungen dreht, erfreut den intellektuell anspruchsvollen Leser ungemein. Dieser kann sich gewiss sein: Da ist jemand, der übergreifende Zusammenhänge erkennen und bewerten kann. Heutzutage eine Fähigkeit, die mehr und mehr verloren geht.

„Es geht nicht um politische, sondern um psychische Probleme“

Somit bewegt sich Bolz meilenweit von einer plumpen German-Angst-Analyse entfernt. Vielmehr untersucht er, warum Angst gegenwärtig eine so dominante Rolle im Leben spielt. Hierbei geht er auf gesellschaftliche, psychologische und philosophische Gegebenheiten ein. Er zeigt, inwiefern Angst in der deutschen Gesellschaft verankert sei, im Sinne von: „Wenn etwas möglicherweise gefährlich ist, ist das schon ein Grund zur Sorge und Vorsorge“.

Das verwebt er mit der Feststellung, dass unsere Gesellschaft eine infantilisierte sei, er übernimmt den Begriff Rileys: „Peter-Pan-Gesellschaft.“ Diese Unreife spiegele sich insbesondere in der „Generation Greta“ mit ihrem ökologischen Menschenhass wider. Einen Ausgang aus dieser selbstverschuldeten Infantilität sieht Bolz, „(…) wenn es zu einer Umwertung der in der postmodernen Kultur am meisten denunzierten Qualitäten käme: Bürgerlichkeit und Männlichkeit“.

Und just bewegt sich Bolz in psychologischen Gefilden. „Die Forderung nach Panik macht deutlich, dass es sich bei Bewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion und MeToo eigentlich um therapeutische Proteste handelt. Es geht nicht um politische, sondern um psychische Probleme.“ Pointierter und klarer hätte man das nicht ausformulieren können: Fridays for Future, Extinction Rebellion und MeToo sind moderne Formen von Selbsthilfegruppen.

Das sind harte Aussagen. Denn Bolz spricht aus, was viele sich nicht trauen zu benennen. Aber dieser Klarheit bedarf es, um (gesellschaftliche) Phänomene zu verstehen und Probleme zu lösen. In unruhigen Zeiten umso mehr. Deutlichkeit ist Bolz‘ Passion. Eine Passion, die sich nicht von Gefühlen, sondern vom Verstand leiten lässt.

Daher ist es wie immer ein Muss für den intellektuell interessierten Leser, einen Bolz zu lesen. So kann man auch mit „Die Avantgarde der Angst“ nichts falsch machen. Denn vor, während und nach der Lektüre steht fest: Da kommt Freude auf!

„Die Avantgarde der Angst“ von Norbert Bolz, 2020, Berlin, Matthes & Seitz. Hier bestellbar.

Foto: Stefan Klinkigt

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Dr Stefan Lehnhoff / 14.04.2021

Ich bin sicher, dass es wieder ein tolles Buch ist. Dringender bräuchte ich allerdings einen Ratgeber zum richtigen Fluchtland…

dr.goetze / 14.04.2021

Verehrte Frau Ryszka, so sehr wie ich Herrn Bolz schätze, so sehr begeistert mich ihre klare und fundierte Rezension! Das macht auch Nichtinsidern Lust, sich ein Buch dieses Autors “anzutun” - anzutun, weil es süchtig macht nach mehr. Nicht immer ganz einfach zu lesen, aber wenn man sich auf die Gedankengänge von Norbert Bolz einlässt, ist man irgendwann rettungslos verloren: siehe oben!

Fred Burig / 14.04.2021

In der DDR - bei den Kommunisten - wurde immer vom “faulenden und absterbenden Kapitalismus” philosophiert. Das hat uns den Eindruck vermittelt, dass dies irgendwie und irgendwann von alleine passieren würde. Das dazu aber eine “Sterbehilfe” benötigt wird, welche uns nun in Gestalt von Merkel begegnet, konnte damals noch keiner ahnen - und dann auch noch durch diese “trojanische Raute” ! Ich will als Ossi den schönen “alten Westen” zurück! MfG

Fred Burig / 14.04.2021

Prof. Bolz geniest nicht ohne Grund hohes Ansehen im Kollegenkreis und bei anspruchsvollen Lesern oder Zuhörern (absichtlich genderfrei geschrieben). Seine früheren Kommentare u.a. zu “Lügenpresse/ Lückenpresse” eignen sich ausgezeichnet als Verständnisgrundlage für den Verfall der MSM und der Politik als solche. MfG

Gabriele H. Schulze / 14.04.2021

Der SPD-Fraktionschef in Düsseldorf, Kutschaty, reibt sich schon die Hände und freut sich darauf, Menschen bei der Ausgangssperre draußen zu “erwischen” (welt online heute). Fehlt nur noch die Drohung mit dem Teppichklopfer. Die Kommentare sind allesamt verächtlich bis zornig. Immerhin. Den Bolz bestelle ich mir bei Bücher Bosch in Jodesbersch, click and collect.

Marcel Seiler / 14.04.2021

Das denke ich auch: Politik ist in allzu vielen Bereichen zur Psychotherapie verkommen – wenn nicht zur Religion. Sie soll nicht mehr das Gemeinwesen am Laufen halten, sondern die Seele heilen.

Friedrich - Wilhelm / 14.04.2021

.....wie soll man sich heutzutage noch an irgendetwas freuen können, das von deutschland kommt?! tut man es, dann wird einem solche freude sofort wieder vergällt! also nimmt man nur noch mit trauer und empörung wahr, was einen von dort trifft! all the best von den inseln unter dem wind!

Volker Kleinophorst / 14.04.2021

“Angst in ein schlechter Ratgeber.” Angela Merkel zur Masseninvasion.

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