Julian Marius Plutz, Gastautor / 01.07.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

Der Arbeitsmarkt im Juni: Warten auf Andrea Nahles

Die Arbeitslosigkeit hat im Juni kräftig zugenommen. Die ukrainischen Flüchtlinge werden nun in den Jobcentern erfasst und dadurch in der Arbeitsmarktstatistik sichtbar. Im August wird Andrea Nahles Chefin der Arbeitsagentur. Sie wird viel zu tun haben.

Deutschland, das Land der Gewissheiten. Die Tagesschau läuft um 20.00 Uhr und endet um 20:15 Uhr mit dem Wetter. Beim Eurovision Song Contest wird vom Good old Germany die Tabelle zuverlässig von hinten angeführt, während der FC aus München beim Fußball seit zehn Jahren die Liga dominiert. Was ebenfalls eine traurige Gewissheit ist: dass mit einer bedrückenden Zuverlässigkeit denunziert wird, bis der sprichwörtliche Doktor kommt. Das hat diese Plattform in diesen Tagen schmerzhaft erfahren müssen.

Gewiss sind auch die falschen Zahlen aus Nürnberg: Monat für Monat, zuverlässig wie überfüllte Regionalbahnen, produziert die Bundesagentur für Arbeit (BA) Fake News. Die Rede ist von den Arbeitslosenzahlen, die Medien zwölfmal im Jahr verbreiten, was der eigentliche Skandal ist. 

Vermutlich mehr als 10 Prozent Arbeitslose

Immerhin: Trotz monatelanger, scheinheiliger Erfolgsverkündungen seitens der Agentur werden für den Juni zum ersten Mal ernste Töne angeschlagen. „Der Arbeitsmarkt insgesamt ist weiterhin stabil. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben zwar im Juni kräftig zugenommen. Diese Anstiege gehen aber darauf zurück, dass die ukrainischen Geflüchteten nun in den Jobcentern erfasst und dadurch in der Arbeitsmarktstatistik sichtbar werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der BA, Detlef Scheele. So präsentierte er 2.363.000 Arbeitslose, was einer Quote von 5,2% entspricht. 

Die Zahl dürfte jedoch, wenig überraschend, wesentlich höher sein. Diese Aussage ist völlig falsch, in den rund 2,4 Millionen sind lediglich die Arbeitslosen abgebildet, die im Sinne SGB II („Hartz IV-Empfänger“) und SGB III (Personen in Fördermaßnahmen, Behinderte etc.) nicht erwerbstätig sind. Arbeitslose, die über 58 Jahre alt sind, werden in der Arbeitslosenzahl gar nicht berücksichtigt – immerhin rund 122.000 Personen. Diese sowie Teilnehmer an Programmen zur Integration in den Arbeitsmarkt und Arbeitsunfähige sind laut den Statistikern der Agentur für Arbeit unterbeschäftigt. 

Vermutlich sind mehr als 10 Prozent im Juni ohne Job. Sie sind arbeitslos, werden aber anders genannt. Im engeren Sinne unterbeschäftigt sind rund 3,1 Millionen Menschen, also rund 800.000 Arbeitslose mehr als in der Zahl, die Tagesschau und Co. präsentieren. Das sind mehr als 20 Prozent und durchaus üblich. Nach meiner Erfahrung bewegt sich die Differenz der sogenannten Arbeitslosen und der Unterbeschäftigten zwischen 20 und 30 Prozent. Weitere Details meiner Schätzung finden Sie hier

Arbeitslosigkeit, während Stellen unbesetzt bleiben 

In einer Reportage für ein anderes Medium sprach ich mit Flüchtlingen aus der Ukraine. Das einhellige Echo war, und das berichten auch viele Helfer vor Ort, dass die Flüchtlinge – sobald der Krieg beendet ist – wieder in ihr Land zurückkehren wollen. Doch das hehre Ziel scheint in weiter Ferne zu liegen, und bis zum Tag der Rückkehr müssen die Ukrainer am Arbeitsmarkt teilnehmen. Da die zweithäufigste Fremdsprache nach Englisch Deutsch ist und das Bildungssystem in vielen Punkten durchaus mit dem deutschen vergleichbar ist, sehe ich auch gute Chancen für eine Integration in den Arbeitsmarkt. 

Auf der anderen Seite sind „so viele freie Stellen auf allen Ebenen gemeldet wie seit vielen Jahren nicht mehr, vom Helfer- bis zum Fachkräfteniveau“, erklärte Heidrun Schulz, Chefin der Regionaldirektion in Rheinland-Pfalz. So wurden im Juni allein in RLP 46.900 offene Arbeitsstellen registriert, 200 (oder 0,5 Prozent) mehr als im Vormonat. Im Vergleich zum Vorjahresmonat bedeutet das ein Plus von 10.000 Stellen bzw. 27,8 Prozent. 

„Traumduo“ Hubertus Heil und Andrea Nahles ab August 

Während offene Stellen im Fachkräftebereich ein Resultat verfehlter Bildungs-, aber auch Einwanderungspolitik ist, können freie Jobs im Bereich der Lager, - und Produktionshelfer nur durch ein verfehltes Anreizsystem erklärt werden. Oder anders gesagt: Offenkundig ist Arbeitslosengeld attraktiver, als in der Lebensmittelproduktion oder im Lager zu arbeiten. Dieses Problem wird sich nicht zuletzt dank das Wegfallens vieler Sanktionsmöglichkeiten verstärken.

Der Juli wird der letzte Monat für den Chef der Bundesagentur Scheele sein. Ab August übernimmt die ehemalige Arbeitsministerin und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles den Posten. Ob es dann „auf die Fresse gibt“, eine beliebte Formulierung der ehemaligen Juso-Chefin, ist nicht bekannt. Was jedoch klar ist: Die BA wird mit dieser Personalie endgültig zum sozialdemokratischen Beiboot, nachdem Arbeitsminister (besser: Arbeitsverhinderungsminister) Hubertus Heil mit Verve und Ahnungslosigkeit ganze Branchen ruiniert. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ukrainische Flüchtlinge in der Arbeitslosigkeit angekommen sind. Wie lange sie dort bleiben, hängt neben der Infrastruktur vor Ort und der Dauer des Krieges vor allem von den Ukrainern selbst ab. In der nächsten Ausgabe werde ich mich mit dem Mindestlohn von 12 Euro befassen, der ab 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Ist dieser wirklich ein Segen in Zeiten der Inflation? Oder haben die Kritiker recht, die sagen, er erzeuge Arbeitslosigkeit? 

 

Julian Marius Plutz ist 1987 geboren und betreibt seinen eigenen Blog neomarius. Hauptberuflich arbeitet er im Personalbereich. Einmal monatlich kommentiert er die neuesten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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W. Renner / 01.07.2022

Die Frequenz mit der in diesem Land inzwischen BöckInnen zu GärtnerInnen gemacht werden, ist schon atemberaubend.

Horst Jungsbluth / 01.07.2022

Unser “Sozialstaat” leistet sich den Luxus ca. 6 Millionen!!! arbeitsfähige Bürger als pure Leistungsempfänger zu alimentieren, -also ungefähr so viele, wie Dänemark Einwohner hat- aber die Unternehmen finden keine Arbeitnehmer und man sucht und sucht im Nahen und Fernen Osten und sogar in Mexiko nach Handwerkern und Pflegekräften.  Alle finden das ganz normal und die beiden Schwergewichte (leider nur auf der Waage) Heil und Nahles (SPD) werden diesen Wahnsinn noch weiter ausbauen und die Statisken solange frisieren, bis es nicht mehr weiter geht. Der nach seiner eigenen Einschätzung größte Sozialist aller Zeiten E. H. Einverstanden lacht schon jetzt höhnisch aus seinem Grab. “Arbeitsverhinderungsminister “war übrigens auch meine Wortschöpfung für Heil, mir ist nur nicht ganz klar, ob er bewusst handelt oder aus bodenloser Dummheit.

Rolf Mainz / 01.07.2022

“Das einhellige Echo war, und das berichten auch viele Helfer vor Ort, dass die Flüchtlinge – sobald der Krieg beendet ist – wieder in ihr Land zurückkehren wollen.” Haben jene “Helfer vor Ort” denn diesbezüglich auch einmal mit den betreffenden Herrschaften Rücksprache gehalten? Falls ja, in welcher Sprache denn? Gibt es derart viele sprachlich Hochqualifizierte im Land, die sich als solche “Helfer” bereitstellen? Im Ernst: die gleichen Sprüche gab es 2015 ganz genau so. Manche besonders stark seelisch Empfindsame kämpften gar mit ihrem Gewissen, Arabien (und Afrika) die “besten Kräfte” zu entreissen und damit den dortigen “Wiederaufbau” zu unterlaufen. Und das ukrainische Bildungs- und Ausbildungssystem ist dem deutschen ähnlich? Ja, das deutsche System wird dem ukrainischen auf Dauer sicher immer ähnlicher, das mag sein, aber für den heutigen Arbeitsmarkt benötigt ein Industrieland mehr als alleinerziehende Damen mittleren bis vorgerückten Alters, die permanent ein Handy bedienen können. Pardon für meinen Zynismus, aber lernt dieses Land denn nicht dazu? Was eilten den Kasachen seinerzeit nicht für Vorschusslorbeeren voraus: hervorragende Handwerker, etc etc. Wer kam tatsächlich? Rentner sowie Melker, Traktoristen, Schrankenwärter & Co. Und niemand kehrt freiwillig in ein Land (zumal wie die Ukraine…) zurück, in dem man/frau weniger Arbeitseinkommen erzielt als es in Deutschland soziale Unterstützung gibt. Und die Partner - sofern noch aktuell - werden schon noch folgen, garantiert.

S. Wietzke / 01.07.2022

Mit dem ewigen Lamento “das es doch viel mehr Arbeitslose gibt als offiziell dargestellt” holt man doch niemanden hinter dem Offen hervor. Und wenn es 40% sind, wenn interessiert das? Solange das nur das Lumpenproletariat betrifft spielt das politisch nicht die geringste Rolle. Im politisch entscheidenden Mittelstand sieht es doch völlig anders aus. In den letzten 30 Jahren gab es ja durchaus die ein oder andere Wirtschaftskrise. Aber in meinem gesamten Arbeitsleben bin ich niemals auch nur auf eine einzige Person aus dieser Klasse gestoßen die je arbeitslos war. Und “Schiss um den Job” hatte da auch nie einer. Der eine Teil weil er eh beim Staat oder staatsnahen Unternehmen angestellt ist und der Rest weil er im schlimmsten Fall davon ausgeht morgen einen neuen Job zu haben. Ich lebe übrigens in einer Ecke die auch bei TE gerne mal als der neueste Slum von Kalkutta bezeichnet wird. Die kennen Arbeitslose und “arme Rentner” nur aus “geskripteten Dokusoaps” wie “Deutschland ganz unten”. Die wohnen nicht in ihrer Nähe, gehen nicht auf die Schulen der eigenen Kinder und auch sonst gibt es da keine Berührungspunkte. Aktuell drehen sich die Themen maximal um die langen Lieferzeiten für das Drittauto, die Schwierigkeit Handwerker zu kriegen oder die Warteschlangen für die fliegenden Transporter der Sklavenlappenträger.

Thomas Szabo / 01.07.2022

Deutschland hat keinen Fachkräftemangel, sondern einen Fachkräfteüberschuss. Fachkräfte werden in Ländern wie Ruanda bitter benötigt. Wir sollten unsere überschüssigen Fachkräfte an bedürftige Länder verschenken. Dann könnte man auch die Entwicklungshilfe abstellen: statt Geldstückchen schenken wir euch unsere Goldstücken!

Oliver Puchert / 01.07.2022

Politik beschert uns, was es gar nicht gibt: nämlich eine Stagflation des Arbeitsmarktes. Ein Hoch auf den Wohlfahrtsstaat. Halt, nein: “Die ukrainischen Flüchtlinge werden nun in den Jobcentern erfasst und dadurch in der Arbeitsmarktstatistik sichtbar.” - wie diskriminierend, wer hat sowas entschieden? Vermutlich fürchtet man, ukrainische Zuwanderer könnten sich in die hiesige Gesellschaft integrieren, und übergordnete Politikziele unterminieren. Zu guter letzt zu den Arbeitslosenquoten. Würde man die halbwegs zutreffend ermitteln, wie das vielleicht noch in den 1960er Jahren der Fall war, würde sich ein Wert oberhalb 50% zeigen. Und zwar bei allen OECD-Mitgliedern, beim Rest ohnehin. Ein bisschen erinnert das alles an die Schlußszene von Beckett’s “Endspiel”: Politik versinkt im Selbstmitleid, und verabschiedet ihre lästigen, nicht mehr benötigten Bürger. Und doch wird das Ende im wahren Leben ein ganz anderes sein. Ein viel besseres.

Christina Blahusch / 01.07.2022

Es geht wirklich nur noch ums abkassieren und irgendwo oben mitzuschwimmen.

Frank Box / 01.07.2022

@ Gottfried Stutz - Zitat: “Sie wird genau eines tun: NICHTS. Warum? Weil sie keine Ahnung von irgendwas hat, ausser Pipi Langstrumpf. Sie wird die Zahlen genauso manipulieren und schönreden wie ihr Vorgänger.” ♣ Genau! Das ist ein reiner Versorgungsposten für gescheiterte Parteifunktionäre. Normalerweise schiebt man die völlig Unfähigen nach Brüssel ab. Aber Andrea Nahlinks wollte ja ganz raus aus der Politik…

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