In unseren an politischen Absurditäten wahrlich nicht armen Zeiten steht tatsächlich immer noch jeden Tag ein neuer Politiker auf, der nach nächtelangem Herumwälzen, was dem Bürger wohl auf dem Herzen liegen könnte, eine neue Pointe gebiert.
Erneut hat es die an „originellen“ Charakteren gewiss nicht armen Grünen erwischt. Nachdem Frau Beate Müller-Gemmeke gerne den Kalender arbeitnehmerfreundlicher korrigiert hätte (wir erinnern uns, als wäre es erst am Dienstag gewesen), macht aktuell Tareq Alaows einen – darf ich es sagen? – regelrecht bahnradebrechenden Vorschlag. Aber gemach. „Tareq wer?“, fragen Sie jetzt vielleicht zu unrecht, daher ein kurzer Exkurs: Tareq Alaows kam mit dem großen syrischen Flüchtlingstreck von 2015 in Deutschland an und fand sich plötzlich in einer Turnhalle in Bochum wieder. Noch einmal: in einer Turnhalle. In Bochum. Das war sehr enttäuschend und traumatisch für den damals 25-Jährigen. Ich als Nichtsportler kann das aus dem Schulsport nachvollziehen. Turnhallen riechen eklig. Bochum auch.
Weil aber Tareq Alaows pfiffig ist und ziemlich schnell mitbekommen hat, wie der politische Hase in Deutschland läuft, hat er, kaum war der Rucksack ausgepackt, aus Dankbarkeit und Freude die Gruppe „Refugee Strike Bochum“ (keine Band oder Baseballmannschaft, sondern ein politischer Verein) mitbegründet und durfte ab 2018 die ersten Seebrücke-Demos mitorganisieren. Tareq Alaows hat in Syrien Jura studiert (also, syrisches Jura, kein deutsches, was man eben so unter „Jura“ in einem diktatorischen Staat versteht) und er hat, laut eigenen Aussagen, dort humanitäre Nothilfe geleistet und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Irgendwo.
Aus diesem Grunde hat Tareq Alaows auch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die er, laut Eigenzitat, „aufgrund besonderer Integrationsleistung“ erhielt. Den Grünen in Oberhausen und Dinslaken (keine Ahnung, ob es da Turnhallen gibt) hat das so gut gefallen, dass sie Tareq Alaows als Direktkandidaten für die Bundestagswahl nominiert haben. Und bevor jemand fragt: Nein, Tareq Alaows ist noch kein deutscher Staatsbürger, das will er zwar noch werden, aber nicht unbedingt bleiben. Wenigstens aber am Wahltag will er die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Sagt er. Sollte er auch. Sonst kann er nämlich seinen Plan nicht gegen ein unbarmherziges, Nichtdeutsche diskriminierendes Wahlrecht durchsetzen. Sobald Tareq Alaows aber für die Grünen im Bundestag maunzt, möchte er „die Stimme derer sein, die hier in Deutschland als Geflüchtete leben“. Es gehe ihm um „Partizipation und um einen neuen Blick im Parlament. Die Leute, die bisher über die Migrations- und Flüchtlingspolitik entschieden haben, wissen nicht, wie man sich fühlt, wenn man fliehen muss“, und „diese Perspektive“ will er in den Bundestag bringen. Als ob er das besser als die grüne Bundesheulboje mit der Angela-Merkel-Gedächtnisfrisur könnte. Die hat ja auch Fluchterfahrung vor der eigenen Bevölkerung. Zu recht.
Neue Inschrift: „Allen, die nun mal da sind“
„Und wie will er das machen, der Tareq?“, fragen Sie jetzt sicher. Da hat sich Tareq Alaows, der weiß, wie man sich Freunde und Wähler macht, etwas besonders Originelles einfallen lassen: Die Inschrift „Dem deutschen Volke“ am Reichstag (die die im Reichstag Sitzenden sowieso nur noch einen feuchten Kehricht schert) will Tareq Alaows in „für alle Menschen, die in Deutschland leben“ umwandeln. Was wahrscheinlich technisch sogar machbar ist, wenn man entweder den Giebel verbreitert oder eine kleinere Schrift wählt. Oder in „Allen, die nun mal da sind“ umformuliert.
[Hinweis der Redaktion: Der Artikel, auf den sich der Autor bezieht, wurde später korrigiert, weil eine Sprecherin gegenüber der WELT angemerkt habe , dass sich die Interview-Aussage von Alaows „Es soll dort [im Bundestag] nicht mehr heißen ‚Dem Deutschen Volke‘ – sondern ‘Für alle Menschen, die in Deutschland leben‘.“ nicht auf die Inschrift bezogen hätte.]
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ein Politiker muss immer irgendwo „ein Bäumchen anzünden“, wenn er bekannt werden möchte. Ein paar Erwähnungen hier und da bringen dann nicht nur in Dinslakener Turnhallen Stimmen und Stimmung. Tareq, der Bis-zur-Wahl-Deutsche, hat das schon richtig erkannt. Und – beinharte Achse-Leser müssen jetzt sehr stark sein – er hat damit sogar recht. Der Bundestag – bis auf die braunen Teufel der AfD – versteht sich schon lange nicht mehr als Vertreter des deutschen Volkes, sondern als eine Art Vorstufe und Wegbereiter einer europäischen oder sogar Weltregierung. Das „deutsche Volk“, das bekanntlich auch keine eigene Kultur hat, wird hier nur noch als eine Ansammlung von lustigen Umpa-Lumpas verstanden, die den weltweiblichen Zinnober über ihre Steuergelder finanzieren – wenn man sie denn überhaupt arbeiten lässt. Dann legen sie los, die 60 Millionen Zwerge (ungefähr 20 Millionen entfallen auf „Sonstige“ mit ganz eigenen Befindlichkeiten).
Und mal ganz im Ernst und unter uns Pastorinnentöchtern: Müssen wir uns wirklich noch Deutschland nennen? Ist das noch zeitgemäß? Es leben hier so viele Nationalitäten und Nationalisten auf engstem Raum zusammen, hat das noch etwas mit Deutschland zu tun? Oder mit deutscher Kultur? Wäre es tatsächlich nicht konsequent, die Bundesrepublik Deutschland benennt sich in „Internationale Ruhe- und Wohlfühloase“ oder, nur für Tareq Alaows, „Syrien 2.0“ oder, noch konsequenter, in „Niemandsland“ um? Dann könnten wir tatsächlich auch den Spruch auf dem Reichstag anpassen: „Allen und Keinem“. Oder „Hinz und Kunz“. Oder „Krethi und Plethi“. Damit wäre es dann klar. Alternativ könnten wir den Graben um den Reichstag, den wir in „Alaowsschanze“ umbenennen, auch etwas tiefer als den durch die Gesellschaft machen – und dann kommt keiner der Abgeordneten mehr heraus.
Von daher, Tareq, viel Erfolg! Du schaffst das schon, dass es hier so schön wie in Syrien wird und jeder seine individuelle Fluchterfahrung bekommt! Ich drücke beide Daumen. Vorzugsweise aus irgendeiner Turnhalle im Ausland. Muss ja nicht gleich Donezk sein.
(Weitere Flucht-Erfahrungen des Autors unter www.politticker.de)
Korrektur 13.02.2021
Dieser Beitrag bezieht sich auf einen Welt-Artikel, der die Aussage des syrischen Grünen-Kandidaten zur Reichstags-Inschrift offenbar falsch wiedergegeben hat. Die Welt hat sich haben sich mittlerweile jedoch selbst korrigiert:
Hinweis: In einer früheren Version hieß es, Tareq Alaows wolle die Inschrift auf dem Bundestag ändern. WELT gegenüber sagte eine Sprecherin, dass die Interview-Aussage von Alaows „Es soll dort [im Bundestag] nicht mehr heißen ‚Dem Deutschen Volke‘ – sondern ‘Für alle Menschen, die in Deutschland leben‘,“ sich nicht auf die Inschrift bezieht.
Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.