Von Stephan Miller.
Auch wenn die Bundeswehr kleiner und schwächer wird, so wächst doch der Apparat, der sie verwaltet, immer weiter.
Neulich las man im Business Insider, einer dieser hilfreichen Quellen für Neugierige und Unterhaltungsbedürftige, das Verteidigungsministerium nähere sich dem Personalstand von 3.000 Beschäftigten. Im letzten Jahr alleine seien derer 137 dazu gekommen. Das gibt dem Beobachter zu allerlei Überlegungen Anlass – klar, das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) ist groß und unübersichtlich und somit schlecht führbar, so liest man es in den Zeitungen, besonders wenn einmal wieder ein Minister, egal welchen Geschlechtes, scheitert. Aber wird ein großes und unübersichtliches Ministerium durch Hinzufügung weiterer Dienstposten wirklich übersichtlicher und führbarer?
Rückblick in ferne und nahe Vergangenheit
Man könnte in die Zeiten zurückblicken, in denen es zwar noch keine Parlamentsarmee, aber eine weitaus wirksamere parlamentarische Kontrolle des Ministeriums gab. 1913 umfasste das preußische Kriegsministerium keine 200 Personen, zugegeben gab es noch ein bayrisches, ein sächsisches und ein württembergisches Kriegsministerium, letzteres stolze 29 Dienstposten stark. Mit diesen vier Ministerien, die alle zusammen sicher unter 1.000 Dienstposten umfassten, wurde eine Armee von über 700.000 Soldaten – Friedensstärke wohlgemerkt – ausgerüstet, beherbergt, bekleidet, bewaffnet und verwaltet – kurzum, es wurden die Aufgaben wahrgenommen, die das BMVg auch heute noch hat. Sicher, das ist lange her, wird man sagen, andere Zeiten, schlimmster Militarismus zudem. Aber vielleicht doch erwähnenswert, dass ein preußischer Kriegsminister, Generalleutnant Paul Bronsart von Schellendorf (1832–1891), einmal folgende Weisheit niederschrieb, die man dem neuen Minister dringend nahebringen sollte, ehe halb Hannover im BMVg untergebracht wird:
„Es kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß die Hinzufügung eines in einem Stab nicht absolut notwendigen Individuums in sich selbst ein Übel ist“.
Zugegeben, das waren andere Zeiten, und ehe der Autor noch unter Reichsbürgerverdacht gestellt wird, wendet er sich umgehend politisch korrekten Vergleichen zu.
Dem Ministerium von 1990 nämlich, das übrigens schon drei Staatssekretäre mehr hatte als in der Aufbauzeit 1956–1966, in der ein Staatssekretär genügte, obwohl mehr oder weniger aus dem Nichts eine Armee von 500.000 Soldaten mit Heer, Marine und Luftwaffe aufgestellt, ausgerüstet, untergebracht, bewaffnet und geführt werden musste. Letzteres ein Aufgabenzuwachs gegenüber vordemokratischer Zeit, in der penibel darauf geachtet wurde, dass Fragen der Kommandogewalt der parlamentarischen Kontrolle entzogen blieben. Ebenso übrigens wie die Personalführung, die im zehn Dienstposten starken Militärkabinett des Kaisers erfolgte. Gut, das Ministerium – unter Minister Stoltenberg übrigens – verfügte 1990 über 5.000 Mitarbeiter, die Inspekteure der Teilstreitkräfte und der Sanität waren ministerielle Abteilungsleiter und zugleich Oberbefehlshaber von Heer, Marine, Luftwaffe und Sanität. Hierzu verfügten sie über umfangreiche Führungsstäbe, die beides waren – Abteilungen des Ministeriums und wenn man so will, Oberkommandos der jeweiligen Teilstreitkraft.
Zudem war die Personalführung aller Offiziere im Ministerium verankert, und es gab noch allerlei hilfreiche Geister wie Übersetzer und große Schreibbüros, es war ja noch die alte Zeit ohne PC und Internet.
Minister Rühe passte dann in den frühen neunziger Jahren die Größe des Ministeriums der verkleinerten Bundeswehr an. 3.500 Dienstposten im Ministerium für 350.000 Soldaten, die es zunächst noch sein sollten. Dies geschah allerdings mit einem Buchhaltertrick, es wurden nämlich Aufgaben und Personal an nachgeordnete Stellen abgegeben. Die Personalführung der Offiziere unterhalb des Dienstgrades Oberst z.B. an das Personalamt – das jetzt sicher irgendeinen langen Namen trägt, in dem das Wort Management vorkommt – die Übersetzer an das Bundessprachenamt und so fort. Das Ministerium wurde also im Verhältnis zu Truppe und Aufgaben größer und nicht kleiner.
Und die Gegenwart?
Auf diesem Weg schreitet es seitdem unbeirrt fort, egal welcher Partei die Minister angehören. Geradezu erheiternd ist die Dienstpostendichte im sogenannten Leitungsbereich. Kriegsminister von Falkenhayn kam 1913 noch mit zwei Majoren als Adjutanten aus. Verteidigungsminister Stoltenberg hatte einen Oberst und zwei Oberstleutnante und einen Ordonnanzoffizier im persönlichen Umfeld, dazu einen Büroleiter, besagte vier Staatssekretäre, den Planungsstab sowie den Presse- und Informationsstab und weitere Büros. Heutzutage ist das Ministerium so unübersichtlich, dass der Minister zur Leitung einen Leitungsstab braucht, der vom „Leiter Leitungsstab“ geleitet wird, eine geradezu Wagnersche Alliteration.
Dabei hat das Ministerium inzwischen weitere Aufgaben abgegeben – die Inspekteure und ihre Führungsstäbe sind seit einiger Zeit nicht mehr Bestandteile des Ministeriums. Aber das wird – siehe Eingangsbemerkung – nicht kleiner, sondern größer.
3.000 Dienstposten jetzt – wofür eigentlich? Nicht für die ca. 185.000 Soldaten jedenfalls, denn die werden nunmehr ja von den Kommandos der Teilstreitkräfte geführt. Was sagt das Parlament dazu? Natürlich nichts, weil das Gerede von der Parlamentsarmee leer ist, sobald die Interessen der Regierungsparteien berührt werden.
Was wird nur werden?
Mit Blick in die Zukunft liegt folgende Rechnung nahe:
1913 kamen 0,001 Ministeriumsangehörige auf einen Soldaten, nun, gute 100 Jahre später sind es 0,016 bei etwa gleicher Aufgabenstellung, also das Sechzehnfache. Bleibt es bei diesem Wachstum, werden in weiteren hundert Jahren vier Soldaten einen Ministeriumsangehörigen begründen. Bei 185.000 Soldaten würde das Ministerium dann ca. 46 000 Dienstposten umfassen. Nicht auszudenken, wie viele zusätzliche Dienstposten erforderlich wären, um ein solches Ministerium zu führen. Wahrscheinlich wird bald ein Minister ein Ministerium zur Führung des Ministeriums fordern. Oder Boris Pistorius wird von einem gebildeten Mitarbeiter, so etwas soll es ja auch geben, an Bronsart von Schellendorf erinnert. Man darf gespannt sein.
Stephan Miller, Jahrgang 1957, ist pensionierter Offizier und lebt in Brüssel. Seine unspektakuläre Laufbahn brachte ihm ein Studium der Wirtschaftswissenschaften, eine schöne und lange Zeit in der Infanterie, allerlei Stabsverwendungen sowie interessante Einsichten in das Ministerium, die EU und die NATO.