Das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ der Großen Koalition, das ab 1. März 2020 in Kraft trat, fasst unter „Fachkräfte“ auch den Krankenpfleger oder den Handwerker. Die Wirtschaftsjournalistin Heike Göbel stellte das Problem schon bei der Entstehung des Gesetzes dar:
„Mit diesem [dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz] wird ein auf Dauer angelegtes marktorientiertes Regelwerk geschaffen, das erstmals nicht nur Akademiker aus Drittstaaten wirbt, sondern den Qualifikationsbegriff sehr breit fasst. Zum Arbeiten oder zur sechsmonatigen Suche nach Arbeit dürfen künftig grundsätzlich alle kommen, die einen anerkannten Berufsabschluss haben, etwa Pflegekräfte oder Handwerker. IT-Spezialisten dürfen sogar ohne formalen Abschluss ins Land. Verlangt werden in jedem Fall (einfache) deutsche Sprachkenntnisse. [...] Ermöglicht wird die Einwanderung – unter engeren Voraussetzungen und zunächst auf fünf Jahre – überdies zur Ausbildung.“ (FAZ 20.12.2018, S. 15)
Zwar verlangt das Gesetz von Pflegekräften oder Handwerkern einen anerkannten Berufsabschluss. Aber was ist zum Beispiel mit „Krankenpflegern“ oder „Handwerkern“, denen irgendwelche Instanzen in fernen Ländern einen „Berufsabschluss“ bescheinigen, selbst wenn sie in diesen Berufsfeldern nur mal gejobbt haben? Werden damit nicht die Niedriglohnarbeiter nach Deutschland eingeladen, die die deutsche Industrie gern hätte? (Weil angeblich kein deutscher Arbeitsloser diese Jobs übernehmen will?)
„Ausbildungsduldung“ dank „Spurenwechsel“
Außerdem: Beim Selbstlob über dieses „Einwanderungsgesetz“ erwähnen die Politiker nicht, dass es ihnen auch um eine spezielle Regelung für abgelehnte Asylbewerber geht, „Spurenwechsel“ genannt. Sie wurde nicht in das ab 1.3.2020 geltende Gesetz aufgenommen. Sie gilt bereits ab dem 1.1.2020 als Ergänzung des Aufenthaltsgesetzes (als neuer § 60 d): als „Beschäftigungsduldung“ für abgelehnte Asylbewerber. Das sieht so aus: Jeder abgelehnte Asylbewerber, der eine „Duldung“ (eine Aufschiebung der Rückreise) bekam und einen gesicherten Lebensunterhalt hat, erhält mit dieser Ergänzung des Aufenthaltsgesetzes in Deutschland einen Aufenthaltstitel und wird damit zum „Erwerbsmigranten“.
Mit diesem „Spurenwechsel“ – mit beschönigenden Begriffen spart man nicht – erhält dieser abgelehnte Asylbewerber eine „Beschäftigungsduldung“. Der „Erwerbsmigrant“ kann dann auch nach zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis, eine „Ausbildungsduldung“ erhalten. Das ist sicherlich sinnvoll, wenn ein abgelehnter Asylbewerber während der Zeit seiner Asylbewerbung eine Arbeit gefunden hat, an deren Fortsetzung auch der Betrieb, in dem er arbeitet, ein Interesse hat. Sinnvoll allerdings nur, falls er dort nicht als Niedriglohnarbeiter ausgebeutet wird.
Das aber ist das Problem: Sowohl beim „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ als auch bei der Ergänzung des Aufenthaltsgesetzes gibt es keine Garantie, dass das Ganze nicht zwecks Ausbeutung von Niedriglohnarbeit missbraucht wird. Man braucht nur zu relativieren, was „Fachkraft“ und „Qualifikation“ bedeutet. Schließlich nennt man ja heutzutage auch eine Großmarkthalle „Frischezentrum“, und sicherlich gibt es naive Leute, die glauben, im „Frischezentrum“ werde allen Kunden immer und überall nur frische Ware angeboten.
Allerdings wird gerade heute niemand so naiv sein, die Frage aufzuwerfen, warum denn Nahrungsmittel immer frisch angeboten werden müssen. Aber im Dritten Programm der ARD stellte doch tatsächlich zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine junge Journalistin einer Landesministerin die Frage: „Warum können Handwerker nicht auch ohne Abschluss ins Land einreisen? Es ist doch egal, ob sie eine Prüfung gemacht haben oder nicht.“ Da stellt sich die Frage: Ist diese Journalistin eine Fachkraft?