Bericht zur Coronalage 15.03.2020
Liebe Achse-Leser und Leserinnen,
Hier finden Sie einen sehr wichtigen Link zu einem langen, beeindruckenden und ausführlichen Analysetext mit hervorragenden Grafiken, er wendet sich vor allem an Entscheider. Der Text wird derzeit in meiner Fachgesellschaft diskutiert. Hier der Text auf Deutsch.
Der Autor heißt Tomas Pueyo. Das habe ich in aller Kürze bezüglich seiner beruflichen Qualifikation gefunden: Zwei Master of Science (MSc) in Engineering, Stanford Master of Business Adfministration (MBA). Creator of viral applications mit >20 Millionen Usern. Er beantwortet viele Fragen, die auch in den Kommentaren gestellt wurden. Dieser Text zeigt, wie wichtig zurzeit die noch konsequentere Eindämmung von sozialen Kontakten ist.
Meine persönliche Anmerkung:
Mir fehlt in der derzeitigen Diskussion ein wichtiger Aspekt. Ich bitte um Nachsicht, wenn ein Allgemeinmediziner dies äußert. Aber schon die Gespräche mit Patienten und Bekannten nach drei Tagen, in denen noch gar nicht konsequent isoliert wurde, deuten für mich an, dass wir aufpassen müssen, dass aus einer ernsten Gesundheitskrise keine in ihrer Konsequenz noch viel schlimmere Gesellschaftskrise wird. Folgende Überlegung ist keine Kritik an den aktuellen Maßnahmen, ganz im Gegenteil. Erst recht keine Schuldzuweisung, die auch jetzt gar nichts bringen würde. Lediglich der Versuch, einen Schritt weiter zu denken.
Der Unterschied zur Spanischen Grippe liegt doch darin, dass es eine spezifische Gefährdungsgruppe gibt, die vor allen anderen krankenhauspflichtig werden: Alte und Schwererkrankte. Alle anderen haben überwiegend einen milden Verlauf. Die wirtschaftlichen Folgen der umfassenden und derzeit alternativlosen Eindämmung sozialer Kontakte beginnen sich abzuzeichnen. Viele meiner Patienten und Bekannten beginnen zu verzweifeln ob der wirtschaftlichen Folgen: massiver Einbruch der Aufträge und der Lieferketten, Mitarbeiter in Quarantäne oder bei der Kinderbetreuung.
Nachfrage auf den Ämtern bezüglich der zugesagten Kredite erzeugen lediglich Achselzucken. Schon jetzt beginnen Kündigungen. Die Leute in Deutschland sind meist verschuldet und halten das nicht lange aus. Dann drohen Immobilienkrisen, Bankenkrisen, Zusammenbrüche von Lieferketten und dergleichen; das beträfe dann auch Krankenhäuser. Die Logistik ist die Lebensader unserer Gesellschaft. Wenn die zusammenbricht, muss man das Militär auf die Straßen schicken, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich denke, ein solches Szenario muss erwogen werden, es kann auch schnell gehen. Dass eine solche Situation ebenfalls viele Todesopfer verursachen würde ist klar.
Deshalb muss die Zeit der sozialen Kontakteindämmung vor allen Dingen darauf fokussieren, Folgendes durchzuführen: konsequenter Ansteckungsschutz der gefährdeten Population durch komplettes Isolieren von Einwohnern von Alterswohnsitzen und Pflegeheimen. Alle bleiben auf ihren Zimmern und Fluren. Das Personal trägt konsequent funktionierende Atemschutzmasken und Handschuhe bei konsequenter Oberflächendesinfektion. Fantasie ist gefragt, wie diese Isolierung human gestaltet werden kann. Dito in den Krankenhäusern. Schwerkranke und Immungeschwächte, wie Dialysepatienten oder Patienten unter Chemotherapien, sind zu isolieren in Hotelzimmern, die staatlich bezahlt werden (das obige Szenario wird ungleich teurer), und das Personal trägt wie oben konsequent Schutzkleidung. Das alles wird überwacht und durchgesetzt.
Dies schnell und flächendeckend durchzuführen, ist eine Frage der politischen Durchsetzungskraft. Danach sofortige Aufhebung der sozialen Kontakteindämmung für die Unternehmen, die Versorgung und Logistik sichern. Danach zügige Aufhebung für Nichtalte und Nichtkranke. Und dann langsam die kontrollierte und sukzessive Aufhebung der Quarantäne für Gefährdete, wie in Pflegeheimen, um zu sehen, wie sich die Rate von Schwererkrankten kontrolliert entwickelt. Naiv? Ich glaube, wenn man es konsequent macht, nein.
Dr. med. Gunter Frank, geb. 1963 in Buchen im Odenwald, ist niedergelassener Allgemeinarzt in Heidelberg und Dozent an der Business School St. Gallen.