Noch kommt der Strom zu jeder Zeit aus der Steckdose. Doch es stehen weitere Kraftwerksabschaltungen bevor. Die Vertreter der Energiewende empfehlen, dass die Menschen ihr Leben nach dem Energieangebot ausrichten sollen. Manche beginnen schon damit.
Noch fühlt sich für die meisten Deutschen ja vieles ganz normal an, so wie sie es gewohnt waren. Zwar steigen die Preise in Größenordnung und Tempo, wie sie es aus dem eigenen Land bislang nicht kannten, und es fehlt auch schon mal Öl oder Mehl im Supermarktregal, aber im Prinzip ist alles vorhanden, was man täglich braucht. Auch Energie – egal ob Strom, Gas oder Benzin – ist immer zu bekommen, wenn man sie braucht – nur eben deutlich teurer. Die politischen Verantwortungsträger verweisen auf den Krieg, und ihre Kritiker erinnern daran, dass die allgemeine Teuerung, insbesondere bei der Energie schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Fahrt aufgenommen hatte und zunächst vor allem durch die Politik der sogenannten Energiewende befeuert wurde. Aber natürlich ist unstrittig, dass der Krieg all die Probleme verschärft und zusätzlich neue bringt.
Doch auch ohne Krieg hatten sich deutsche Politiker längst darauf vorbereitet, beispielsweise den durch die Energiewende zwangsläufig eintretenden Strom-Mangel zu verwalten. Wenn alle Energieträger, die derzeit zur Stromerzeugung in grundlastfähigen Kraftwerken genutzt werden können, möglichst nicht mehr genutzt werden sollen, dann bleibt nur der Strom, zu dessen Erzeugung der Wind wehen und die Sonne scheinen muss.
Für viele deutsche Politiker war die Sache deshalb klar: Es kann nicht mehr immer dann Strom erzeugt werden, wenn ihn die Menschen brauchen, sondern die Menschen müssen sich darauf einstellen, dass sie nur dann Strom verbrauchen dürfen, wenn er gerade mal da ist.
„Bewusstsein, dass Energie kostbar ist“
Vor gut einem Jahr schrieb Manfred Haferburg hier auf achgut.com:
Die Vorsitzende des Bundestags-Umweltausschusses, die Grüne Sylvia Kotting-Uhl, lässt die Katze aus dem Sack. Sie ruft den AfD-Abgeordneten zu: „Allein Ihre Unfähigkeit, sich unter Energieversorgung etwas anderes als Grundlast vorzustellen, das ist so von gestern wie Sie selbst. Die Zukunft wird flexibler sein, spannender, ja, auch anspruchsvoller: nicht mehr nachfrage-, sondern angebotsorientiert, …". Zu gut Deutsch: „Strom gibt es nicht, wenn er gebraucht wird, sondern dann, wenn der Wind weht und die Sonne scheint“. Gesellschaftsklempnerin Kotting-Uhl will ein neues Bewusstsein, „dass Energie kostbar ist und sorgsam mit ihr umzugehen ist“.
Frau Kotting-Uhl trat zur letzten Bundestagswahl nicht mehr an und sitzt deshalb nicht mehr im Bundestag. So kann sie nur noch aus der Zuschauerperspektive miterleben, wie schnell sich ihre Ankündigungen bewahrheiten. Das Bewusstsein, dass Energie kostbar ist, dürfte durch die Preisentwicklung der letzten Monate hinreichend geweckt worden sein. Und mancher beginnt gerade, die „flexible, spannende und anspruchsvolle“ Welt der Stromversorgung ganz praktisch zu leben.
Frau Kotting-Uhl war übrigens nicht allein mit ihrer Ankündigung. Beispielsweise heißt es auf der Seite der Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft in schönster Verwaltungsprosa:
„Im Zuge der Energiewende nimmt der Anteil fluktuierender Energieangebote zu. Daher muss sich auch der Umgang mit Energie ändern: weg von einer bedarfsorientierten Energieerzeugung und hin zu einer angebotsorientierten Energienutzung.
Dieser Wandel kann nur gelingen, wenn Unternehmen ihre Potenziale zur flexiblen Energieerzeugung und -nutzung heben. Sie müssen intelligent in die Energieversorgung der Zukunft eingebunden werden.“
Arbeitsfreier Montag wegen hoher Strompreise
Jenseits solcher Sprechblasen stellen erste Unternehmen ihre Arbeit quasi angebotsorientiert um, gezwungen durch die hohen Preise. Der Strompreis etlicher energieintensiver Unternehmen richtet sich nach dem jeweils aktuellen Preisniveau an der Strombörse. Viele zahlen deshalb montags einen höheren Strompreis als an anderen Tagen der Woche. Das hatte man hingenommen, denn es gab ja feste Arbeitszeiten für die Arbeitnehmer. Kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, von ihnen eine „flexible, spannende und anspruchsvolle“ Neugestaltung ihrer Arbeitszeiten nach Strompreislage zu verlangen. Da hätte es doch sicher auch einen Aufschrei von Seiten der Gewerkschaften gegeben.
Inzwischen müssen erste Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit veränderten Arbeitszeiten auf das Stromangebot reagieren. In einem Marmor-Steinbruch im sächsischen Oberwiesenthal beispielsweise wurde die Arbeitswoche verschoben, wie tag24.de berichtet. Der Montag ist wegen des hohen Strompreises jetzt arbeitsfrei, stattdessen wird nun samstags gearbeitet. Für das Unternehmen, das mit seinen Maschinen viel Energie verbraucht, ist das eine wichtige Entlastung bei mittlerweile im Vergleich zum Vorjahr doppelt so hohen Strompreisen.
Dass, wie der Unternehmens-Chef zu tag24.de sagt, die Belegschaft mitzieht, glaubt man gern, denn jeder weiß wahrscheinlich, dass sonst Einsparungen an anderer Stelle nötig würden. Die Kostenersparnis sei spürbar. Aber ob es bei dieser Verschiebung bleiben kann, ist unklar, denn auf diese Idee könnten auch andere kommen. Zumindest, so wird der Unternehmer zitiert, sollen inzwischen auch die Dienstags-Preise schon etwas anziehen.
Gewerkschaften für „klimaneutralen Umbau“
Wenn sich also die Arbeitszeiten in Unternehmen irgendwann ganz flexibel nach dem Energieangebot richten müssen, so verändert das die Arbeitswelt in einem Maße, dass das tatsächlich die Gewerkschaften interessieren müsste. Sicher wird in den Verwaltungsapparaten deutscher Gewerkschaften auch über solche Fragen diskutiert. Doch zu generellen Zweifeln an einer „Klimapolitik“, die zur „angebotsorientierten Energieversorgung“ führt, scheint das in deren Führungsetagen nicht zu führen. Auch von der neuen DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi las man in ihrem letzten Interview mit der WAZ wieder die gewohnten Bekenntnisse zur deutschen „Klimapolitik“:
„Es geht darum, die Lasten des Krieges und der Pandemie zu tragen – und gleichzeitig den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu meistern. Es wäre widersinnig, jetzt beim Staatshaushalt auf die Bremse zu treten. Wir müssen von dem Bild wegkommen, Schulden des Staates wären eine Belastung für die kommenden Generationen.“
Offenbar fällt auch Frau Fahimi nichts weiter ein, als den meisten politischen Verantwortungsträgern, die zu glaiuben scheinen, Probleme lösen sich, wenn man den Akteuren viel Geld überweist. Und auch auf eine Nachfrage der WAZ-Kollegen hält sich die DGB-Chefin an gewohnten Sprechblasen fest, die nicht erwarten lassen, dass sie die Gefahren der großteils von der deutschen Energiepolitik verursachten Energiekrise für ihre Klientel im Blick hat.
„Die wahre Belastung kommt, wenn uns der klimaneutrale Umbau nicht gelingt. Dann ist unsere Zukunft verloren. Das ist die größte Gefahr für die junge Generation. Jeder, der sich eine Wohnung anschaffen will, nimmt eine Hypothek auf. Wenn Unternehmen in ihre Standorte investieren, organisieren sie sich Fremdkapital.
Es gibt kaum ein anderes Land in der Welt, das einen so tragfähigen und stabilen Staatshaushalt hat wie Deutschland. Kredite, die für Investitionen eingesetzt werden, mehren unseren Wohlstand. Diese Schulden sind keine Last. Sie stellen sicher, dass wir nicht alle ärmer werden.“
Diese Schulden stellen also sicher, dass wir nicht alle ärmer werden. Und das Problem, was die Anpassung der Arbeitswelt an die angebotsorientierte Energieversorgung für die Arbeitnehmer bedeutet, deren arbeitgebende Firmen dann überhaupt noch im Land der Strom-Höchstpreise tätig sind, ist vielleicht auch zu detailliert für ein so allgemeines Interview. Und konkret gefragt wurde Frau Fahimi danach ja auch nicht. Im Zweifel helfen einfach neue Schulden.