Ein echter demokratischer Systemwechsel müsste her. Aber wie könnte der aussehen?
Bei den Ampel-Parteien herrscht mittlerweile echte Panik angesichts der Umfragewerte der AfD. Sollte diese beispielsweise in Thüringen die absolute Mehrheit erringen, dann wird Björn Höcke tatsächlich Ministerpräsident, und Bodo Ramelow muss mit seinem Hund in die gepflegte Altersteilzeit. Wie ein nicht unerheblicher Teil von Linken und SPD und FDP auch. Dann steht Thüringen also vielleicht (!) ein „undemokratischer Systemwechsel“ vor, wie immer dieser dann aussehen sollen können würde. Thüringen wird wohl kaum seinen Austritt aus dem Bund erklären und anschließend Niedersachsen überfallen. Obwohl die es irgendwie schon verdient hätten, weil da Weil Ministerpräsident ist. Aber vielleicht läuft es ja auch umgekehrt und Niedersachsen, Hessen und Bayern bilden eine „Achse der guten Demokraten“?
Spaß beiseite: Es ist mitnichten so, dass Bernd Normalbürger die Nase von der Demokratie voll hätte – er will sie nur nicht so, nicht auf diesem Level, nicht in dem Gefühl, von narzisstischen Autokraten mit wenig Fachkenntnis und viel Ideologie regiert zu werden, die seine Steuern als Selbstbedienungsladen und Einladung zum Buffett verstehen. Die sich wie Kinder vor dem Bonbonglas verhalten, ohne dass er irgendeine Möglichkeit hätte, sie bei Arbeitsverweigerung oder Minderleistung zu entfernen.
Wie aber könnte ein echter demokratischer Systemwechsel aussehen?
Zuerst einmal müssen unsere Abgeordneten besser bezahlt werden. Sie staunen? Lassen Sie mich erklären, warum: Für eine ungelernte Küchenhilfe sind 10.591,70 Euro eine Menge Geld. Viel Geld. Vielviel Geld. Und da haben wir über weitere Benefits wie „Bürokostenzuschuss“, „Bahncard 100 für die 1. Klasse“ und weitere lustige Einnahmequellen noch gar nicht gesprochen.
Außerdem beschließt der Bundestag manchmal einen Haushalt, der auch Freunde erfreut. Satte zwei Millionen Euro gingen jüngst beispielsweise an die „Seenotrettungs“-NGO „United4Rescue“, in der, Zufall, der Lebensgefährte von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt im Vorstand sitzt.
Zwei Jahre Berufserfahrung sind Pflicht
Aber bleiben wir beim Grundsalär von 10.591,70 Euro. Zum Vergleich: Oberärzte mit abgeschlossenem Medizinstudium kommen da gerade mal auf 9.300 € im Monat, in einem Beruf, in dem es um Verantwortung und Leben und Tod geht. Ein angestellter Fondsmanager spielt in der gleichen finanziellen Liga, aber ohne Stylingberater, Visagist und Friseur.
Erst ein Sparkassenvorstandsgehalt, das sich bei ca. 30.000 € brutto im Monat bewegt, macht eine Stelle als Abgeordneter im Bundestag absolut uninteressant. Aber das wäre wenigstens jemand, von dem man erwarten dürfte, rudimentär fit in Volks- und Betriebswirtschaft zu sein.
Ergo, wenn wir Spezialisten und echte High-Potentials im Bundestag haben wollen: Das Gehalt ist das Doppelte des Durchschnittseinkommens der letzten drei Jahre. Hat unser Abgeordneter bei der Steuererklärung geschummelt, hat er jetzt Pech gehabt. Aber es ließe sich sicher ein Mindesteinkommen festlegen – nur eben keine 10.591,70 Euro.
Außerdem: Berufsausbildung und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung – egal, ob als Maurer oder Gehirnchirurg – sind Pflicht.
Leider wohl nur eine hübsche Utopie
Dann: Begrenzung der Legislaturperiode eines jeden Abgeordneten, egal ob Hinterbänkler oder Minister auf maximal zwei Legislaturperioden und eine Jobgarantie seines bisherigen Arbeitgebers. Das würde die Verfilzungen in den Strukturen und untergeordneten Behörden lösen. 16 Jahre Merkel haben gezeigt, wie falsch eine derartige Unlimitierung ist. Und nach acht Jahren ist es dann wirklich auch einmal gut. Pensionsansprüche spielten sich im ganz normalen Rahmen über die Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung ab.
Die Listenwahl wird abgeschafft, eventuell sogar die Wahlkreise dramatisch verkleinert, und: Nur die beiden Besten kommen auch in den Bundestag. Wir haben in Deutschland rund 300 Wahlkreise, in denen sich die Kandidaten vorstellen könnten. Das wären dann etwa 600 Ab- und Zugeordnete. Warum sollte das nicht ausreichen? Klar, wenn du in der FDP oder bei der Linken bist, wird das für dich schwieriger, aber das ist dann eben so. Dann gehen eben 4 Prozent aller Stimmen verloren. Wie jetzt auch. Schlimmstenfalls hat der Beste 7 Prozent aller Stimmen, der Zweitplatzierte 6 Prozent. Dann gehen eben 87 Prozent aller Stimmen verloren, weil zehn Mann und Frau und Diverses angetreten sind. Ungerecht? Nein, nur fair. Und wenn der SPD-Mann besser als der AfD-Mann ist, dann macht er auch das Rennen. Falls so etwas vorkommen sollte. Dritt- und Viertplatzierter ist dann eben doof, wenn du die Leute im Wahlkreis nicht von dir überzeugen konntest. Aber bei jedem Sport gibt es auch nur maximal drei Sieger. Und hier reden wir über Politik. Bei Bürgermeisterwahlen gibt es Stichwahlen – warum nicht auch dies auf Wahlkreisebene einführen?
Das alles würde die Demokratie direkter und volksnäher machen, besser machen und, möglicherweise, sogar billiger. So würde tatsächlich eine Art „Bestenauslese“ funktionieren. Das Problem ist nur: Die Kinder am Bonbonglas werden dieses mit Klauen und Zähnen gegen Konkurrenz verteidigen! Und deswegen bleibt diese Art des Systemwechsels wohl auch nur eine hübsche Utopie.
Doch die Demokratie muss direkter und volksnäher werden, sonst kommt es irgendwann zu einem „Systemwechsel“ ganz anderer Art. Es hat einen Grund, warum es inzwischen einen Graben zwischen Reichstag und Volk gibt. Derartige „Schutzmaßnahmen“ waren zuvor nicht nötig. Doch es muss sich etwas ändern. Dringend. Gleich. Jetzt. Sonst ändert sich etwas, das niemandem gefallen wird.
(Weitere befreite Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.