Thilo Schneider / 30.07.2021 / 15:00 / Foto: Timo Raab / 35 / Seite ausdrucken

An den Zitaten sollt Ihr sie erkennen

Olympia ist vermintes Gelände: Eine falsche Geste, ein falsches Wort und du bist – ob Reporter, Trainer oder Athlet – geliefert. Nicht was du tust, ist entscheidend, sondern was du sagst.

Mit Olympischen Spielen ist das so eine Sache. Der eine mag sie nicht, dem anderen sind sie egal. In der Berichterstattung hört man von tollen Erfolgen, beispielsweise von Andrea Herzog, die die Bronzemedaille im „Kanuslalom im Canadier-Einer“ geholt hat. Slalomkanufahrerinnen werden ja immer gebraucht. Patrick Hausding und Lars Rüdiger bekamen Bronze dafür, dass sie gleichzeitig vom 3-Meter-Brett im Schwimmbad gesprungen sind. Meine herzliche Gratulation den glücklichen Gewinnern!

Die wirklich relevanten Sachen passieren neben den Aschenbahnen und Schwimmbecken. Ob es der Trainer ist, der seine Judoka (mit deren ausdrücklicher Zustimmung) zur Motivation ohrfeigt, ob es ein italienischer Tennisspieler ist, der sich selbst als „Schwuchtel“ beschimpft oder ein Radtrainer, der seinen Schützling mit den Worten „Hol dir die Kameltreiber“ anfeuert, hier darf jeder entsetzt aufspringen und „Was hat er da gesagt/gemacht, die Drecksau?“ brüllen und zutiefst empört sein.

Natürlich folgt solchen Entgleisungen stets eine Entschuldigung und eine Begründung. Beispielsweise war die Hitze schuld, oder zu viel Adrenalin, und eigentlich war es auch nicht so gemeint. Und „eigentlich“ glaube ich das auch. Die Bemerkungen sind daneben, gar keine Frage, es gibt schlicht Dinge, die man nicht tut. Oder jedenfalls nicht öffentlich tut. Es sind die Folgen und Konsequenzen, die das für die einzelnen Sportler und Trainer hat. Der „Kameltreiber“-Antreiber fuhr postwendend nach Hause und wird nie wieder irgendjemanden trainieren, der Judo-Trainer wurde abgemahnt und verwarnt. Obwohl er auf ausdrücklichen Wunsch seines Schützlings so handelte.

Geschasst wegen Land der Sushis"

Wenn wir die Worte von Menschen in extremen Stresssituationen derart auf die Goldwaage legen, dass sie letztlich zu deren sozialen Vernichtung führen, dann läuft etwas gewaltig schief. Sollten wir uns nicht lieber deren Taten ansehen? Wie sie sonst mit ihren Schützlingen, Kollegen und Mitarbeitern umgehen? Der Sportmoderator Jörg Dahlmann flog achtkantig bei Sky raus, weil er während einer Reportage Japan als „Land der Sushis“ bezeichnet hatte. Verblüfft verteidigt er sich mit dem Satz „Ich habe niemanden umgebracht, vergewaltigt oder beleidigt“. Nein, was er getan hat, war schlimmer – er verlor die Selbstkontrolle.

Ich kann nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob es wegen dieses Satzes weltweit weinende Japaner gab und ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass Jörg Dahlmann auch nur das allergeringste Problem mit Asiaten im Allgemeinen und Japanern im Besonderen hat. Jedoch: Alle die genannten Vorfälle dienen als Scharfrichterbeile derer, denen es wichtiger ist, was ein Mensch SAGT, als das, was er tut. „An ihren Worten sollt Ihr sie erkennen“ ist heute mehr denn je das Credo bestimmter Gesellschaften, deren einziger Beitrag zum sozialen Miteinander die eigene Erhebung zum Moral- und Unsittenwächter ist.

Schauen wir uns beispielsweise Patrick „the Kameltreiber“ Moster einmal näher an: Nach dem Ende seiner aktiven Karriere wurde er 1995 zum Cheftrainer der U23 im Straßenrennsport. Seit 2012 ist er Leistungssportdirektor des „Bundes deutscher Radfahrer“, kurz BdR (dessen Chef übrigens der während eines Kriegseinsatzes seiner Armee recht entspannte Ex-Poolplanscher, Ex-Verteidigungsminister und Ex-Kanzlerkandidat der SPD Rudolf Scharping ist). 143.000 Mitglieder gehören dem BdR an und es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass es unter diesen auch Menschen mit Migrationshintergrund, dunkelhäutige und muslimische Mitglieder gibt. Und es ist anzunehmen, dass Patrick Moster auch zu diesen Mitgliedern in seiner Eigenschaft als Trainer und Direktor Kontakt hat. Exakt hier ist doch die Frage zu stellen, wie er diese behandelt? Ist er farben- und religionsblind bei seiner Arbeit? Behandelt er alle gleich? Motiviert er alle gleich? Oder nimmt er hier groß- oder wenigstens feinsinnige Unterscheidungen vor? Falls er dies tut, ist er seines Amtes tatsächlich unwürdig. Tut er dies nicht, dann ist er auch kein Rassist. Dumme Bemerkungen hin oder her.

Nur noch unter Wasser fluchen

Sport – und speziell Leistungssport – war und ist ein raues Pflaster, wie Jens Lehmann und Dennis Aogo bestätigen können (der eine flog für das Wort „Quotenschwarzer“, der andere für „Zigeuner“). Für feingeistige Diskussionen ist in der Regel kein Platz, wenn die eigene Mann- oder Frauschaft mit 0:3 zurückliegt oder dem Radathleten nur 0,3 Sekunden zur Bestzeit fehlen. Da muss irgendetwas her, um sich selbst oder den anderen noch einmal zu pushen. Da wird geschimpft und geflucht und gebrüllt und beleidigt, was das Zeug hält. Auch mit „unangemessener Wortwahl“.  

Aber bitte – in Zukunft dann eben nur noch politisch korrekt anfeuern: „Lass Dir von den beiden Ens nicht die Butter vom Brot nehmen“ oder „Du spielst wie ein alter weißer Cis-Mann“ oder „Bist du heterosexuell oder was?“ oder „Du schlägst zu wie ein Deutscher unter 40“ und die Judoka bekommt zärtlich über den Arm gestreichelt oder ein Küsschen auf die Wange. Flexibilität ist gefragt. Und wer das nicht will oder kann: Beim Synchronschwimmen wird nur unter Wasser geflucht.

(Weitere Flüche des Autors unter www.politticker.de)  

 
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Gerhard Küster / 30.07.2021

Wann hat dieser Schwachsinn eigentlich begonnen? Und durch wen? Wenn ich mich recht erinnere, waren die Worte “Neger” als auch “Zigeuner” noch in den 90ern des vergangenen Jahrhunderts durchaus üblich und niemand hat sich daran gestört. Auch heute gibt es m.W. kein Gesetz, mit dem die Verwendung bestimmter Worte explizit verboten wird. Wer bestimmt, welche Worte “pfui-bah” sind (und deren Verwendung durchaus empfindliche - soziale - Strafen nach sich ziehen)? Es wäre natürlich einfach, “die Gesellschaft” als Initiator zu nennen, aber es sind in der Regel “reale” Personen, die so etwas ins Rollen bringen.

Petra Wilhelmi / 30.07.2021

Ich finde keine Worte mehr. Eigentlich sollte man den Deutschen den Mund ganz verbieten. Das wäre Toleranz, Antirassismus, Klimawandel, Corona in eins. Dann käme kein Deutscher mehr dazu, sich überlegen zu müssen, ob er vielleicht gegen die 4 Heiligen verstößt. Vielleicht bin ich auch nicht mehr auf der Höhe der Zeit, und habe irgendeine Heiligkeit vergessen. Natürlich ist Japan das Land der Sushis, Südkorea das Land des Kimchis, Italien, das Land der Nudeln, Russland das Land der Soljanka, die jüdische und die arabische Bevölkerung streitet sich darum, wer eigentlich die Erfinder des Hummus oder Falafel ist. Bayern ist das Land der Weißwurst und Schweinshaxen. Die Türkei ist das Land des Kebab, Spanien das Land der Tapas, Mexiko das Land der Taccos und so könnte man stundenlang fortfahren. Das sind doch alles hochachtungsvolle Bezeichnungen. Was ist daran falsch? Uns darf man ja auch einfach Kartoffeln nennen, da hat keiner von den Sprachpriestern etwas dagegen. Das Irrenhaus Deutschland wird immer irrwitziger. Als normaler Mensch kann man die Sprachpolizei nicht mehr verstehen. Im Übrigen sind die Olympischen Spiele für mich sowieso nicht mehr relevant. Die Ideologenveranstaltung die das Motto hat “Vereint durch Gefühle”. ist lächerlich. Kitschiger geht es nicht mehr und mit den Wettkämpfen hat das Motto auch nichts zu tun. Sollen sie sich alle ihre politisch-korrekten Spiele anschauen. Ich bin bei so etwas raus.

Walter Weimar / 30.07.2021

Schade, “Kameltreiber” kann ich gar nicht in meine Liste der schönen Wörter aufnehmen, weil es schon seit vielen Jahrzehnten dort wohnt. Damals kannte ich noch gar keinen, heute sehe ich diese Bevölkerungsgruppe hier Auto fahren. Und ich weiß, das Kamel weiß von alleine wie es wo hin muß oder wie es sich abstellt (hiesig genannt parken).

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