Olympia ist vermintes Gelände: Eine falsche Geste, ein falsches Wort und du bist – ob Reporter, Trainer oder Athlet – geliefert. Nicht was du tust, ist entscheidend, sondern was du sagst.
Mit Olympischen Spielen ist das so eine Sache. Der eine mag sie nicht, dem anderen sind sie egal. In der Berichterstattung hört man von tollen Erfolgen, beispielsweise von Andrea Herzog, die die Bronzemedaille im „Kanuslalom im Canadier-Einer“ geholt hat. Slalomkanufahrerinnen werden ja immer gebraucht. Patrick Hausding und Lars Rüdiger bekamen Bronze dafür, dass sie gleichzeitig vom 3-Meter-Brett im Schwimmbad gesprungen sind. Meine herzliche Gratulation den glücklichen Gewinnern!
Die wirklich relevanten Sachen passieren neben den Aschenbahnen und Schwimmbecken. Ob es der Trainer ist, der seine Judoka (mit deren ausdrücklicher Zustimmung) zur Motivation ohrfeigt, ob es ein italienischer Tennisspieler ist, der sich selbst als „Schwuchtel“ beschimpft oder ein Radtrainer, der seinen Schützling mit den Worten „Hol dir die Kameltreiber“ anfeuert, hier darf jeder entsetzt aufspringen und „Was hat er da gesagt/gemacht, die Drecksau?“ brüllen und zutiefst empört sein.
Natürlich folgt solchen Entgleisungen stets eine Entschuldigung und eine Begründung. Beispielsweise war die Hitze schuld, oder zu viel Adrenalin, und eigentlich war es auch nicht so gemeint. Und „eigentlich“ glaube ich das auch. Die Bemerkungen sind daneben, gar keine Frage, es gibt schlicht Dinge, die man nicht tut. Oder jedenfalls nicht öffentlich tut. Es sind die Folgen und Konsequenzen, die das für die einzelnen Sportler und Trainer hat. Der „Kameltreiber“-Antreiber fuhr postwendend nach Hause und wird nie wieder irgendjemanden trainieren, der Judo-Trainer wurde abgemahnt und verwarnt. Obwohl er auf ausdrücklichen Wunsch seines Schützlings so handelte.
Geschasst wegen „Land der Sushis"
Wenn wir die Worte von Menschen in extremen Stresssituationen derart auf die Goldwaage legen, dass sie letztlich zu deren sozialen Vernichtung führen, dann läuft etwas gewaltig schief. Sollten wir uns nicht lieber deren Taten ansehen? Wie sie sonst mit ihren Schützlingen, Kollegen und Mitarbeitern umgehen? Der Sportmoderator Jörg Dahlmann flog achtkantig bei Sky raus, weil er während einer Reportage Japan als „Land der Sushis“ bezeichnet hatte. Verblüfft verteidigt er sich mit dem Satz „Ich habe niemanden umgebracht, vergewaltigt oder beleidigt“. Nein, was er getan hat, war schlimmer – er verlor die Selbstkontrolle.
Ich kann nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob es wegen dieses Satzes weltweit weinende Japaner gab und ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass Jörg Dahlmann auch nur das allergeringste Problem mit Asiaten im Allgemeinen und Japanern im Besonderen hat. Jedoch: Alle die genannten Vorfälle dienen als Scharfrichterbeile derer, denen es wichtiger ist, was ein Mensch SAGT, als das, was er tut. „An ihren Worten sollt Ihr sie erkennen“ ist heute mehr denn je das Credo bestimmter Gesellschaften, deren einziger Beitrag zum sozialen Miteinander die eigene Erhebung zum Moral- und Unsittenwächter ist.
Schauen wir uns beispielsweise Patrick „the Kameltreiber“ Moster einmal näher an: Nach dem Ende seiner aktiven Karriere wurde er 1995 zum Cheftrainer der U23 im Straßenrennsport. Seit 2012 ist er Leistungssportdirektor des „Bundes deutscher Radfahrer“, kurz BdR (dessen Chef übrigens der während eines Kriegseinsatzes seiner Armee recht entspannte Ex-Poolplanscher, Ex-Verteidigungsminister und Ex-Kanzlerkandidat der SPD Rudolf Scharping ist). 143.000 Mitglieder gehören dem BdR an und es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass es unter diesen auch Menschen mit Migrationshintergrund, dunkelhäutige und muslimische Mitglieder gibt. Und es ist anzunehmen, dass Patrick Moster auch zu diesen Mitgliedern in seiner Eigenschaft als Trainer und Direktor Kontakt hat. Exakt hier ist doch die Frage zu stellen, wie er diese behandelt? Ist er farben- und religionsblind bei seiner Arbeit? Behandelt er alle gleich? Motiviert er alle gleich? Oder nimmt er hier groß- oder wenigstens feinsinnige Unterscheidungen vor? Falls er dies tut, ist er seines Amtes tatsächlich unwürdig. Tut er dies nicht, dann ist er auch kein Rassist. Dumme Bemerkungen hin oder her.
Nur noch unter Wasser fluchen
Sport – und speziell Leistungssport – war und ist ein raues Pflaster, wie Jens Lehmann und Dennis Aogo bestätigen können (der eine flog für das Wort „Quotenschwarzer“, der andere für „Zigeuner“). Für feingeistige Diskussionen ist in der Regel kein Platz, wenn die eigene Mann- oder Frauschaft mit 0:3 zurückliegt oder dem Radathleten nur 0,3 Sekunden zur Bestzeit fehlen. Da muss irgendetwas her, um sich selbst oder den anderen noch einmal zu pushen. Da wird geschimpft und geflucht und gebrüllt und beleidigt, was das Zeug hält. Auch mit „unangemessener Wortwahl“.
Aber bitte – in Zukunft dann eben nur noch politisch korrekt anfeuern: „Lass Dir von den beiden Ens nicht die Butter vom Brot nehmen“ oder „Du spielst wie ein alter weißer Cis-Mann“ oder „Bist du heterosexuell oder was?“ oder „Du schlägst zu wie ein Deutscher unter 40“ und die Judoka bekommt zärtlich über den Arm gestreichelt oder ein Küsschen auf die Wange. Flexibilität ist gefragt. Und wer das nicht will oder kann: Beim Synchronschwimmen wird nur unter Wasser geflucht.
(Weitere Flüche des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.