Zum 75. Geburtstag Israels verfasst der Chefredakteur von T-Online einen ebenso vergifteten wie streng riechenden Kommentar. Halten Sie sich die Nase zu.
Es ist eine schreckliche Vorstellung, aber angenommen, ich wäre beim Nachrichtenportal T-Online beschäftigt und jemand würde mich auf einer Party fragen: „Und was machst du so beruflich?“ Was soll man da sagen, damit es nicht zu peinlich wird? „Ich schippe im Zoo den Elefantenhaufen weg“? „Ich bin Pianist im Puff“? Oder „Ich breche für Inkasso Moskau säumigen Schuldnern die Finger“? Bei T-Online lässt es sich die „Chefreporterin im Hauptstadtbüro“ nicht einmal nehmen, bei Twitter darüber zu lamentieren, dass sie im Business-Hotel am Kaffeeautomaten mit einer gemeinen Kellnerin verwechselt wurde. Und das gleich zweimal binnen weniger Wochen. Solcherart Dünkel muss man sich erstmal leisten können.
Jetzt wurde ich auf einen Beitrag ihres Chefs aufmerksam gemacht, denn T-Online lese ich freiwillig nicht. Was Florian Harms, einst Chefredakteur von Spiegel online, da eben anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung des Staates Israel verfasst hat, ist ein besonders vergiftetes Schmierenstück, zumal es in dieser spezifisch deutschen, sündenstolzen Art daherkommt. Florian Harms sagt, dass eigentlich wir respektive unsere Vorfahren am Nahostkonflikt schuld sind. Und dann natürlich auch unsere ehemaligen Opfer, die Juden. Die Araber – gewissermaßen als Opfer der Opfer – eher nicht, denn Harms, der laut seines Selbstverständnisses davon überzeugt ist, „dass unabhängiger, kritischer und konstruktiver Journalismus unverzichtbar für unsere Gesellschaft ist“, und dass es „gewissenhafte Journalisten“ braucht, die Ereignisse auch „differenziert einordnen können“ und „fundierte Informationen“ liefern, lässt in seinem Kommentar alles weg, was die Feinde Israels wirklich schlecht aussehen lassen könnte.
Auf sattsam bekannte Art kann Harms bestenfalls einen „Kreislauf von Rache und Brutalität“ auf beiden Seiten erkennen. Dass auf der einen Seite eine Demokratie steht, die der arabischen Minderheit (etwas mehr als 20 Prozent) volle Rechte zubilligt und auf der anderen Seite ein Gebilde, das von zwei Terrororganisationen beherrscht wird, die keinen einzigen Juden auf ihrem Territorium dulden, wäre ja zumindest mal erwähnenswert für einen „gewissenhaften Journalisten“, aber das würde Harms‘ Narrativ konterkarieren.
Um 1990 herum einfroren und erst letzte Woche aufgetaut
Es geht schon gut los:
„Selten wurde so hektisch Geschichte geschrieben wie in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es herrschte Unsicherheit. Fremde Soldaten patrouillierten. Die ausländischen Besatzer bestimmten, wo es langging. Das Land solle geteilt werden, hieß es. Schließlich wurden Fakten geschaffen – und ein neuer Staat gleich mit. Seine schwer bewachte, militarisierte Grenze zog sich quer durch das Land. Eine neue Epoche hatte begonnen: eine Zeit der Konfrontation. Sie hält bis heute an.
Haben Sie es bemerkt? Vielleicht haben Sie es und ärgern sich ein bisschen darüber, dass ich nur einen neu gegründeten Staat erwähnt habe und auf der anderen Seite der Grenze keinen zweiten. Möglicherweise wundern Sie sich auch, dass der Konflikt selbst heute noch nicht zu Ende sein soll.
Aber ich habe mich nicht vertan. Es geht nicht um die Bundesrepublik und die DDR. Sondern um eine andere Region, in der die Briten sich als Ordnungsmacht versuchten, während die Vereinten Nationen sich den Kopf darüber zerbrachen, wie man das Land aufteilen kann.“
Hier wäre angezeigt, den Teilungsplan der UN vom November 1947 zu erwähnen, der von der arabischen Seite abgelehnt wurde. Doch weiter im Text:
„Am heutigen Mittwoch feiert der Staat Israel das 75. Jubiläum seiner Gründung – in einem Landstrich, der bis dahin Palästina hieß.“
Und davor Israel. Und zur Mandatszeit wurden nur die jüdischen Institutionen mit „Palestine“ assoziiert, für die Osmanen war das Land nur eine Provinz gewesen, und Araber, die sich „Palästinenser“ genannt hätten, gab es vor den 60er Jahren ohnehin keine. Nice try, Florian!
„Israelis feiern heute ihren Unabhängigkeitstag, doch Araber haben für die Geburt der neuen Nation einen anderen Namen: „die Katastrophe“. (…) Viele von ihnen hat der Krieg, aus dem Israel hervorging, zum Flüchtlingsdasein in den umliegenden Staaten verdammt.“
Das ist so falsch nicht – auch wenn man die Flüchtlinge theoretisch hätte integrieren können, statt sie jahrzehntelang in Lagern zu halten –, verschweigt aber die Ursache: Die Araber, die den Teilungsplan wie erwähnt ablehnten, waren für den „Krieg, aus dem Israel hervorging“, verantwortlich. Sie waren es, die den neugegründeten Staat am 14. Mai 1948 überfielen, die Armeen mehrerer arabischer Staaten und die Freischärler im Land selbst. Dass am Ende der Sieg des jüdischen Staates stand und nicht seine Vernichtung, das ist für die Palästinenser noch heute „die Katastrophe“. Mit der sie sich nie abgefunden haben, weswegen sie jeden Versuch zur Lösung ablehnten, weswegen sie heute noch immer den Terror als legitimes Mittel betrachten und weswegen sie heute in ihren Autonomiegebieten festsitzen, denn eine „Al-Aqsa-Intifada“ war ihnen lieber als ein eigener Staat, den ihnen Israels Ministerpräsident Ehud Barak im Jahr 2000 offerierte.
Das alles kommt in Harms‘ Stück nicht vor, das Wort „Friedensprozess“ sucht man in seinem Text vergeblich. Er landet umstandslos bei seinem Fazit: „In den besetzten Gebieten steigt die Bereitschaft zu Gewalt und terroristischen Anschlägen wieder“. Der gegenwärtige Terror wächst aber nicht in israelisch „besetzten Gebieten“, sondern dort, wo Fatah (in der Westbank) und Hamas (Gazastreifen) das Sagen haben, wo man die Kinder zu Kanonenfutter erzieht, wo bis an die Zähne bewaffnete Horden durch die Straßen ziehen und wo man Raketen baut, um sie auf israelische Städte zu schießen. Florian Harms ist offenbar um 1990 herum eingefroren und erst letzte Woche wieder aufgetaut worden, deshalb hat er von den Palästinensischen Autonomiegebieten noch nichts mitbekommen.
Damals waren die Juden wenigstens noch links…
Selbstverständlich wird auch hier ein spezielles Wording verwendet. Laut Grafik war 1949 Gaza „ägyptisch verwaltet“ und die Westbank „Jordanien angegliedert“, während Israel Gebiete eben „besetzt“. 1949 besetzten aber Ägypten und Jordanien Teile „Palästinas“, ohne dass ein Staat Palästina gegründet worden wäre. Jordanien annektierte die Westbank und verzichtete erst auf das Gebiet, als es schon längst von Israel im Sechstagekrieg (zurück-)erobert worden war und als prospektiver Teil eines Palästinenserstaates zur Disposition stand.
Fatah und Hamas sind keine Namen, die sich in Harms` Kommentar finden ließen, die Geschichte endet für ihn mit dem Sechstagekrieg im Juni 1967. Dass die Palästinenser nach den Abkommen von Oslo über souveränes Territorium und damit sichere Rückzugsorte für Terroristen verfügten und mit dem Terror gegen die israelische Bevölkerung eben erst dann so richtig loslegten, als in Israel die Hoffnung auf Frieden bestand, während man jenseits der Grenze die Chance witterte, dem jüdischen Staat den Garaus zu machen, ist ein entscheidender Faktor bei der Bewertung des Nahostkonflikts. Er bleibt unerwähnt, und schon deswegen ist der Kommentar bestenfalls wertlos.
Harms trauert ein wenig den alten Zeiten hinterher. Damals tendierten die Juden wenigstens noch nach Backbord („Linke Kräfte gaben damals den Ton an“, „Karl Marx hätte vor Freude einen Luftsprung gemacht“), während heute „eine von Rechtsextremisten dominierte Regierung an der Macht“ sein soll. Dass spätestens das Desaster des „Friedensprozesses“, das tausende das Leben kostete, die israelische Linke pulverisierte und die rechten Skeptiker des Oslo-Prozesses dauerhaft stärkte, weil die Israelis seither gesichert wissen, dass mit Fatah und Hamas buchstäblich kein Staat zu machen ist, kommt ihm nicht in den Sinn.
Würdelos und ekelhaft
„Teile der israelischen Gesellschaft wiederum sind in eine extremistische Ideologie abgedriftet, der jedes Mittel recht und inzwischen auch die Demokratie egal ist. Zum Glück schaut die Mehrheit der Israelis dem nicht tatenlos zu und wehrt sich vehement dagegen.“
Allerdings hat eben diese Mehrheit der Israelis eher rechts gewählt und nicht die von deutschen Beobachtern favorisierten linken Parteien, und der vermeintliche Widerspruch lässt sich ganz einfach damit erklären, dass die Regierung eben nicht „von Rechtsextremisten dominiert“ wird. Wenn Bibi Netanyahu, der es sich mit vielen Protagonisten im Politikbetrieb nachhaltig verscherzt hat, eines Tages abtritt, wird es ohnehin eine Koalition der Mitte- und Rechts-Parteien geben, die den allergrößten Teil der Israelis vertreten wird. Die Linke wird auch dann keine Rolle mehr spielen, so dass Harms der Stoff für seine antiisraelischen Tiraden nicht ausgeht. Ob in den Palästinensergebieten nationalistische Extremisten oder islamistische Terroristen regieren, interessiert ihn ohnehin nicht, solche Zuschreibungen spart er sich für Israel auf. Palästinenser sind immer nur Palästinenser.
Es ist nur eine fadenscheinige Neutralität, die der Chefredakteur von T-Online vortäuscht („Zwei Volksgruppen erheben exklusiven Anspruch auf dasselbe Land“). Tatsächlich kann ein Kommentar zum Geburtstag des jüdischen Staates würdeloser und ekelhafter nicht ausfallen: Leider habt Ihr einen Staat, aber das ist letztlich unsere Schuld, weil wir Euch so viel Leid angetan haben. Das Verdienst, den Jahrhundertkonflikt geschaffen zu haben, werden wir uns nicht streitig machen lassen, da nehmen wir auch noch das Leid der Palästinenser auf unsere Kappe, die „in zweiter Instanz zu Opfern des Holocausts geworden“ (!) sind.
Israel hat auch seinen 75. Geburtstag gewohnt fröhlich gefeiert. Trotz aller Probleme steht das Land glänzend da und wird immer stärker. Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.