Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei erreichten viele nationale und internationale Spenden das Katastrophengebiet. Oder auch nicht, denn die größte Hilfsorganisation der Türkei wird von Erdogan kontrolliert – und gilt als unseriös. Selbst der DITIB, dem religiösen Arm Erdogans in Deutschland, ist das nicht geheuer.
Wenn das Helfen zur Kunst wird. Das Erdbeben in der Türkei hat laut offiziellen Zahlen über 40.000 Tote gefordert. Ich würde jedoch eher von 100.000 Menschenleben ausgehen. Mindestens. Es sind über 30.000 Gebäude in sich zusammengestürzt und das um 4 Uhr morgens, als alle schliefen. Wenn man im Schnitt 5 Tote pro Gebäude rechnet, kommt man schon auf 150.000 Menschenleben. Manche Schätzungen gehen daher sogar von 200.000 Opfern aus, was aus meiner Sicht viel realistischer erscheint.
Dass die Opfer nicht richtig gezählt werden konnten, ist Ehrensache. Man möge mir die Ironie an dieser Stelle verzeihen, aber ohne geht es leider nicht. Die Türkei lebt immer die Extreme aus. Viele haben ihre Toten selber begraben und nirgendwo registrieren lassen. Es gibt aber auch die Fälle, in denen der Staat die Toten in Massengräbern verscharren musste. Freunde von mir, die vor Ort in Hatay sind, einer Stadt, die fast nicht mehr existiert, erzählen von starkem Verwesungsgeruch. Viele zerstörte Häuser warten darauf, dass sie mal mit Baggern und anderem angegangen werden. Außerdem gibt es kein Trinkwasser.
Mit dem Erdbeben rechnete man irgendwann, aber einen Plan, wie es danach laufen sollte, hatte man natürlich nicht. Von überall kamen Spenden, Hilfsgelder, Sachgüter und so weiter, sodass die türkische Nation voller Stolz von unbeschreiblichem nationalen Zusammenhalt sprach. Die Hilfen trafen unkoordiniert vor Ort ein, die staatliche Rettungsorganisation AFAD hatte keinen Plan, und der Türkische Halbmond – die größte türkische Hilfsorganisation und seit Erdogan wie eine Familienholding seiner Seilschaften aufgestellt –, hatte nicht die Absicht, wirklich zu helfen.
Somit musste man sich auf die privaten Hilfsorganisationen verlassen, wie zum Beispiel Ahbab, gegründet vom berühmten Sänger Haluk Levent, der seit Jahr und Tag in Sachen Hilfe für viele Menschen die erste und vertrauenswürdige Anlaufstelle ist. Es geht um die Glaubwürdigkeit. Das Volk hat schon längst aufgegeben, Erdogan und seinen Mannen zu vertrauen, die unter dem Deckmantel des Gottvertrauens alles in die eigene Taschen wirtschaften, auch bei den Hilfen.
Vergeudung der Spenden ins Ungewisse
Der Rote Halbmond, AFAD und die Ahbab-Organisation riefen bei einer landesweit ausgestrahlten TV-Sendung zu Spenden auf. Die getätigten Spenden flossen am Ende an den von der Erdogan-Partei AKP geführten Roten Halbmond und die AFAD, der Dritte im Bunde ging leer aus, obwohl Europa mehrheitlich an die Ahbab-Organisation die Spendengelder schickte.
„Ich kann es besser und wenn nicht, dann lasse ich dich dort trotzdem nicht helfen“, war die Masche der staatlichen Organisationen. Dieser Zustand ist auch von internationalen Hilfsorganisationen registriert worden. Während viele Hilfsorganisationen aus Europa sich nicht in der Lage sahen, über ihren eigenen Schatten zu springen und weiter den türkischen Staat mit Spenden zuschütteten, schwenkten einige andere auf die Ahbab-Organisation um, wo die Hilfe effektiv war und direkt ankam.
DITIB, die Religionsbehörde, der religiöse Arm Erdogans in Deutschland, sammelte natürlich ebenfalls Gelder und tat sich nicht leicht dabei. Einige Kanäle der türkischen Community warnten, vorsichtig zu sein, zumal man nicht sicher sein könne, wo die Gelder oder Sachgüter am Ende landen würden. Selbst, dass diese beim Roten Halbmond oder der AFAD landen konnten, betrachtete man als eine Vergeudung der Spenden ins Ungewisse. So ist das, wenn man dem Staat nicht über dem Weg trauen kann. Die beste Referenzadresse ist heutzutage die, die nichts mit Erdogan und seiner Anhängerschar zu tun hat. Wenn das so weitergeht, wird die DITIB in Deutschland nur noch auf die deutschen Politiker bauen können und natürlich auf das eigene Umfeld, die sich alles gefallen lassen und immer blind vertrauen.
Die Lage im Erdbebengebiet ist immer noch angespannt. Die Nachbeben dauern an. Die Menschen ziehen ins Landesinnere, nach Mittelanatolien um. Den Leuten statt Hilfen Kredite mit 20 Jahren Laufzeit zu versprechen, bringt natürlich keine Erleichterung. Kein Job, alles verloren, aber 20 Jahre lang Schulden am Hals.
Mit jeder Handlung disqualifiziert sich Erdogan immer mehr. Welchen illegalen Trick er drauf hat, um die Wahl am 14. Mai zu gewinnen, fragen sich viele. Unter normalen Umständen ist ein Sieg von ihm nämlich in weite Ferne gerückt (Achgut berichtete). Die Dachorganisation von DITIB in der Türkei, die Diyanet, hat schon nach Stimmen für Erdogan geworben, also wird die deutsche DITIB dem sicher folgen.
Ahmet Refii Dener, geb 1958, ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken.