Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, warb gerade in einem Video für Erdogan und warf seinen Kritikern mangelnden Patriotismus vor. Wo soll ich da als gebürtiger Türke bloß anfangen? Ach ja, ich lebe in Deutschland, weil ich die Türkei wegen Erdogan-Kritik verlassen musste.
Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, äußerte kürzlich folgendes in einem Video für den Deutschlandkurier:
„Präsident Erdogan ist nicht dein Feind. Präsident Erdogan ist der Präsident der Türkei. Die Menschen in der Türkei haben ihn wiederholt zum Präsidenten gewählt. Seine Bilanz als türkischer Präsident kann sich sehen lassen.
Denn: Er setzt sich für türkische Interessen ein. Deutsche Politiker mögen ihn genau deshalb nicht. Sie sollten sich für deutsche Interessen einsetzen, dann hätten sie auch kein Problem mit Erdogan. Wir brauchen in Deutschland Politiker, die sich für deutsche Interessen einsetzen, und die dann Diplomatie mit türkischen Politikern betreiben, die sich für türkische Interessen einsetzen. Aber wir brauchen nicht schwache deutsche Politiker, die noch nicht einmal wissen, was deutsche Interessen sind, und dann ihren türkischen Kollegen ablehnen, weil er das tut, wofür er gewählt ist, nämlich sich für türkische Interessen einsetzen. Deutschland und die Türkei sind seit Jahrhunderten befreundet. Sie sind Partner. Sie arbeiten zusammen. Das hat den beiden Ländern immer geholfen. Daran wollen wir anknüpfen. Indem wir in Deutschland Politiker haben, die deutsche Interessen vertreten, und in der Türkei einen Präsidenten Erdogan, der türkische Interessen vertritt. Aber all jene, die kein Vaterland haben, und die Interessenpolitik böse finden, begreifen das nicht, und deshalb lügen sie. Aber wir wissen, Patrioten sind niemals Feinde.“
Mit dieser Rede erreichte er mich vollkommen. Videos mit derart verdrehtem Inhalt sind genau mein Ding. So etwas muss ich geradebiegen. Das wusste wohl auch die Achgut-Redaktion, die mir das Video mit dem Kommentar schickte: „Ein Fall für dich!“
Gewählt, aber wie?
Wo fange ich als gebürtiger Türke an? Nun, Erdogan ist ein derart lupenreiner Demokrat, dass ich heute in Deutschland lebe und nicht in der Türkei, weil ich Erdogan dort offen kritisiert habe.
Krah beginnt sein Video mit dem folgenden Satz: „Präsident Erdogan ist nicht dein Feind. Die Menschen in der Türkei haben ihn wiederholt zu ihrem Präsidenten gewählt. Seine Bilanz als türkischer Präsident kann sich sehen lassen.“
Meint er mit „Präsident Erdogan ist nicht dein Feind“ etwa die deutsche Ampelregierung? Damit träfe er jedenfalls den Nagel auf den Kopf, wenn auch anders, als er es meint. Erdogan ist bestimmt nicht der Feind der Ampel, denn die deutschen Regierungen positionieren sich grundsätzlich niemals klar gegen irgendwelche anderen Regierungen, Präsidenten oder Diktatoren. „Klare Kante“ existiert nur im Wörterbuch und ist im Sprachgebrauch deutscher Regierungen seit Ewigkeiten nicht zum Einsatz gekommen. Man hofiert stattdessen Erdogan in Deutschland.
Natürlich stimmt auch Krahs Aussage, dass die Menschen ihn in der Türkei zum wiederholten Male gewählt haben. Fragt sich nur wie. Das erste Mal wurde er im Jahr 2002 gewählt, als er eigentlich wegen einer Verurteilung nicht in die Politik gedurft hätte (er war wegen einer als „hetzerisch“ eingestuften Rede verurteilt worden, hatte ein paar Monate im Gefängnis gesessen und nun ein lebenslanges Politikverbot). Doch da seine AKP siegreich aus den Wahlen hervorgegangen war, änderte sie die Verfassung – sodass Erdogan von seinem Politikverbot befreit war. Außerdem wurden die Ergebnisse in der ostanatolischen Stadt Siirt für ungültig erklärt, weil dort eine Wahlurne – eine einzige – zu Bruch gegangen sei. Ein aus meiner Sicht lächerlicher und erfundener Grund. Außerdem verbot man den zwei stärksten Parteien der vorangegangenen Wahl, die die meisten Stimmen bekommen hatten, an den Neuwahlen der Stadt teilzunehmen.
Die AKP, die Erdogan-Partei, hatte bei den eigentlichen Wahlen in der Stadt Siirt lächerliche 17,56 Prozent erreicht. Bei der Wiederholungswahl tauschte die AKP den Kandidaten und setzte an die Stelle des späteren Großbetrügers, Mehmet Fadıl Akgündüz – der mehrfach verurteilt wurde, aber Dank AKP, nur kurz einsaß –, Recep Tayyip Erdogan. Da die früheren erstplatzierten Parteien verboten worden waren, bekam Erdogan nun 84,8 Prozent der Stimmen und landete im Parlament. Auch dort fand ein Tausch statt. Der gewählte Ministerpräsident Gül gab seinen Stuhl zugunsten von Erdogan auf und die Ära Erdogan begann.
Als Ministerpräsident konnte er, dank der Mehrheit seiner Partei im Parlament, nun wie ein Alleinherrscher schalten und walten im Lande. Keine zwei Jahre später sollte ihm Gerhard Schröder den Preis „Europäer des Jahres“ übergeben, wohlgemerkt einem Muslimbruder. Europa und Deutschland im Besonderen liegen leider immer falsch, wenn es um die Einschätzung des Islam und der Muslime geht. In der Türkei regiert wie gesagt ein Alleinherrscher, den eigentlich zutreffenden Begriff „Diktator“ hören seine Anhänger nicht gerne.
Mit Erdogan keine Berührungsängste
Krah lässt als nächstes den Spruch los: „Seine Bilanz als türkischer Präsident kann sich sehen lassen.“ Oh Gott, ich möchte aus meiner Parterrewohnung springen. Was denn für eine Bilanz?
In 22 Jahren hat er die Türkei wirtschaftlich in den Abgrund geführt, in komplette Abhängigkeit von ausländischen Importen gebracht und die Islamisierung beziehungsweise Arabisierung des Landes vorangetrieben. Krah ist somit schon mit seinen ersten zwei Sätzen in einem komplett falschen Film gelandet.
Krah weiter: „Er setzt sich für türkische Interessen ein. Deutsche Politiker mögen ihn genau deshalb nicht. Sie sollten sich für deutsche Interessen einsetzen, dann hätten sie auch kein Problem mit Erdogan.“ Dies sind Sätze ohne Inhalt, ich schlage an dieser Stelle meine Wortschöpfung „Hohlsatz“ zur Beschreibung vor. Zunächst einmal setzt sich Erdogan vor allem für seine eigenen Interessen ein, wenn dabei die Türkei auch noch was abbekommt, ist es reiner Zufall. Ich wiederhole mich, weil der Krah das auch tut: Mit Erdogan hat die deutsche Regierung doch keinerlei Berührungsängste. Sie hat eher Angst vor ihm, da er mit den arabischen Flüchtlingen in der Türkei Deutschland und der EU drohen kann, wie er das in der Vergangenheit schon oft getan hat. Mit seinen Erpressungen hat er gute Deals ausgehandelt, es ging immer um mehrere Milliarden Euro Zahlungen (siehe hier zum Beispiel).
Krah: „Aber wir brauchen nicht schwache deutsche Politiker, die noch nicht einmal wissen, was deutsche Interessen sind, und dann ihren türkischen Kollegen ablehnen, weil er das tut, wofür er gewählt ist, nämlich sich für türkische Interessen einsetzen. Deutschland und die Türkei sind seit Jahrhunderten befreundet. Sie sind Partner.“
Wenn Maximilian Krah von schwachen deutschen Politikern spricht, trifft er den Nagel auf den Kopf – natürlich leistet sich Deutschland mit der jetzigen Führungsriege einen absoluten Fehlgriff. Doch in einigen Punkten sind die deutschen Interessen in Richtung der Türkei hochgehalten worden, wenn man von der Flüchtlingsfrage und der Ignoranz des von Erdogan geförderten Islamismus absieht. In wirtschaftlicher Sicht gibt es viel Kooperation. Nicht ohne Grund sind 7.500 deutsche Unternehmen in der Türkei aktiv. Oftmals haben sie dort ihre Produktionsstützpunkte, um die Weltmärkte zu beliefern. Bosch-Siemens-Haushaltsgeräte, Mercedes, Siemens, Thyssen-Krupp-Aufzüge etc. sind nur einige der Marken, die schon lange in der Türkei ansässig und trotz der schwachen türkischen Wirtschaft erfolgreich sind. Angesichts des immer stärker schwächelnden türkischen Lira kosten die türkischen Mitarbeiter genauso viel beziehungsweise wenig wie vor 15 Jahren.
Also allein aus diesem Grund stehen sich die Wirtschaften beider Länder sehr nahe. Die beidseitigen Interessen sind niemals aus den Augen verloren worden, wie Krah behauptet. Deutschland war bis 2022 noch der größte Handelspartner der Türkei (trotzdem gab es im letzten Jahr noch Im- und Exporte im Wert von 40,9 Milliarden Dollar, laut GTAI). Dass Russland und China jetzt Deutschland überholen, hat einfache Gründe. Durch ihre Erdgas-Importe aus Russland ist die Türkei seit dem deutschen Embargo gegen Russland zu einem noch größeren Transitland für russisches Erdgas gemacht worden. Zumal sich die Türkei sowieso nicht an irgendwelche Regeln hält. Andere Märkte werden über die Türkei mit Gas beliefert werden. Dass am Ende auch China Deutschland als Handelspartner überholte, hat einzig und allein damit zu tun, dass die türkischen Industriebetriebe die Produktion einstellen und zu Importeuren von China-Ware, Billigware, werden.
Irgendwas mit „Türkei“ und „Erdogan“
Jetzt bleibt gegen Ende der Rede von Krah noch die Hoffnung, dass er einmal etwas sagt, das der Realität entspricht.
Krah: „Sie arbeiten zusammen. Das hat den beiden Ländern immer geholfen. Daran wollen wir anknüpfen. Indem wir in Deutschland Politiker haben, die deutsche Interessen vertreten, und in der Türkei einen Präsidenten Erdogan, der türkische Interessen vertritt.“
Hier werden weitere Hohlsätze drangehängt. Wie schon erwähnt, die beiden Wirtschaften harmonieren hervorragend, besonders zum Wohle deutscher Unternehmen, was sollen die Deutschen hier noch besser machen? „Daran wollen wir anknüpfen!“, sagt er, das bedeutet in diesem Fall, dass er, die AfD, die Türkei-Politik der früheren und jetzigen Regierung fortführen würden, wenn sie denn regieren dürften.
Maximilian Krah beendet das Video und schmeißt vieles durcheinander, um loszuwerden, was er loswerden möchte: „Aber all jene, die kein Vaterland haben, und die Interessenpolitik böse finden, begreifen das nicht, und deshalb lügen sie. Aber wir wissen, Patrioten sind niemals Feinde.“
Ich denke, sein Video sollte irgendwas mit „Türkei“ und „Erdogan“ enthalten, damit er die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Mit nichtssagenden und weitab jeglicher Realität formulierten hoch und wichtig klingenden Hohlsätzen sollte er sein Video schmücken.
Er ist also auf die aktuelle Situation in Deutschland wütend. Er bringt sogar noch Vaterland, Interessenpolitik und Patrioten ins Spiel. Doch um das loszuwerden, was er eigentlich sagen wollte, hätte es gereicht, wenn er ohne Umschweife bekannt hätte: „Türken, Türkeistämmige in Deutschland, Graue Wölfe (19.000 Mitglieder in Deutschland und unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehend), Nationalisten beider Länder, vereinigt Euch und wählt AfD, denn wir ticken wie Ihr!“
Menschen, die klar denken können, würden gerade nach solch einem Video Maximilian Krah und die AfD nicht wählen, aber leider hat er sein Publikum, für das er das alles so verwirrend formuliert hat. Passiert mir auch oft, dass ich das Geschriebene nicht noch einmal überfliege, ob es denn Sinn macht.
Ahmet Refii Dener, geb. 1958, ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite.