Georg Etscheit / 10.05.2023 / 10:00 / Foto: Christian Jürgens / 45 / Seite ausdrucken

Metoo am Herd: Sternekoch abserviert

Von Georg Etscheit und Ingo Swoboda (Gastautor).

Mit Christian Jürgens wurde jetzt der erste Starkoch wegen angeblicher Übergriffe abserviert. Dass eine Sterneküche keine Wohlfühlzone ist, weiß jedoch jeder in der Branche, ob man das sympathisch findet oder nicht. Art und Zeitpunkt der Enthüllung werfen viele Fragen auf. Allen voran: Wer kocht hier welches Süppchen?

Bislang sah es so aus, als seien Köche die letzten von der Woke-Gesellschaft noch tolerierten Machos. Jedenfalls wenn man sich Kochshows zu Gemüte führt, in denen handfeste Typen wie Tim Mälzer, Tim Raue oder Steffen Henssler ihre Männersprüche rund ums Essen klopfen. Doch nun hat es den ersten Koch erwischt, noch dazu einen aus der Top-Liga der deutschen Gourmet-Gastronomie: #Metoo ist überall. Christian Jürgens (Restaurant „Überfahrt“ am Tegernsee, drei Michelin-Sterne) muss wegen angeblicher Übergriffe, Schikanen und Belästigungen von Mitarbeitern seine Kochjacke nehmen

„Freigestellt“, heißt das im Jargon des Managements der Althoff-Hotels, einer deutschen Kette von Luxusherbergen, zu der der oberbayerische Gourmettempel gehört. Man sei „erschüttert“ über die Vorwürfe, verurteile grundsätzlich Übergriffe und habe eine Kanzlei mit der detaillierten Prüfung der Vorwürfe beauftragt, rechtfertigt das Hotel den Rausschmiss ihres leitenden Mitarbeiters, der mit seiner Arbeit nicht nur für Umsatz in Hotel und Restaurant sorgte, sondern auch das beste Marketing-Instrument des Hauses war. 

Nur wenige Stunden, nachdem der Spiegel über den ersten Metoo-Fall in der deutschen Gastroszene berichtete, lässt man Christian Jürgens fallen wie eine heiße Kartoffel. Dass eine „Kanzlei“ die Vorwürfe nun prüfen soll, die oft Jahre zurückliegen, ist dabei lediglich die formale Rechtfertigung, mit der die standrechtliche Verurteilung von Jürgens auf vermeintlich korrekten Weg gebracht und die Althoff-Gruppe zunächst aus der Schusslinie genommen wird. Unabhängig von diesen Privatermittlungen läuft ein Vorermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft. Dabei soll auf Grundlage des Spiegel-Artikels geprüft werden, ob ein Anfangsverdacht für etwaige Straftaten vorliegt. 

Unumstritten ist kaum jemand in dieser Liga

Ohne Zweifel ist Jürgens, wie man so sagt, kein Kind von Traurigkeit. Mit viel Talent, harter Arbeit und noch mehr Ehrgeiz hat er es in seiner Branche ganz nach oben gebracht. Ein entbehrungsreicher Weg, der natürlich auch charakterliche Spuren hinterlässt, denn insbesondere die Gourmet-Gastronomie ist ein hartes Geschäft, zumal in Zeiten von Personalmangel, explodierenden Energiepreisen und infolge Inflation sinkender Kaufkraft sowie, damit verbunden, noch härterer Konkurrenz. Unumstritten war Christian Jürgens nie, das ist allerdings kaum jemand in dieser Liga. Wer oben ist, hat viele unter sich, und nicht jeder kommt mit dieser Rollenverteilung zurecht. Neid und Missgunst sind an der Tagesordnung.

Dass seine Küche keine Wohlfühlzone ist, gehört zur Realität, ob man das sympathisch findet oder nicht. Seit den Tagen des legendären Kochs Auguste Escoffier sind Profiküchen nachgerade militärisch organisiert. Nicht umsonst ist von „Brigaden“ die Rede. Die Rädchen dieser streng hierarchisch nach „Posten“ geordneten Maschine müssen perfekt ineinandergreifen. Deshalb braucht es Drill wie auf dem Kasernenhof, damit die Köche auch unter größtem Druck perfekt funktionieren. Hakt es irgendwo, kann es schnell vorbei sein mit der Sterneherrlichkeit.

Auch wenn es viele Köche bestreiten: In den meisten Küchen herrscht noch immer ein zuweilen extrem rauer Umgangston. Stress ist allgegenwärtig, es werden Überstunden geschunden, und die Männer und Frauen in Küche und Service kommen sich oft auch körperlich näher, als es manchem lieb sein kann. Zuweilen sind sogar Drogen im Spiel. Fragt man Mitarbeiter, warum sie sich so etwas antun (oder angetan haben), wird man oft zur Antwort bekommen: weil man wohl nur auf diese Weise die Grundlage dafür legen kann, es vielleicht selbst bis ganz nach oben zu schaffen. Wer das nicht aushält, wechselt im Zweifelsfall die Branche.

Warum kommen Mitarbeiter erst jetzt damit ans Licht? 

Es mag brutal klingen, aber eine gewaltfreie Gesellschaft gibt es nicht, vor allem nicht in Sphären wie der dem Spitzensport vergleichbaren Sternegastronomie, in deren Kombüsen gekämpft wird, während die Gäste auf dem Sonnendeck genießen. Der große US-Schauspieler John Malkovich sagte jüngst in einem Interview: „Gewalt ist ein Teil des Lebens, ein Teil der Natur. Sie ist unvermeidbar. Besser, mit ihr vertraut zu sein.“ Provokativ in Zeiten, wo jeder Mann ohne Dutt und Baby vorm Bauch automatisch unter Verdacht gerät.

Doch die Kernfrage auch dieses Metoo-Skandals lautet: Warum kommen Mitarbeiter, denen das offenbar passiert ist, was sie vorbringen, erst jetzt damit ans Licht? Nach bis zu zwanzig Jahren! Warum wird eine Ohrfeige, die Jürgens einem Mitarbeiter verpasst haben soll, nicht sofort zur Anzeige gebracht und möglicherweise geahndet, sondern Jahre später in einem Artikel des Spiegel skandalisiert? Wer kocht hier eigentlich welches Süppchen? Es bleiben viele offene Fragen, und es muss schlüssige, nachvollziehbare und personifizierte Antworten geben, bevor man einen Kochkünstler wie Christian Jürgens abserviert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in leicht veränderter Form bei www.aufgegessen.info, dem von Georg Etscheit und Ingo Swoboda gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Leserpost

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Gert Köppe / 10.05.2023

In einer Hierarchie der Negativ-Auslese, wie wir sie in Doofland inzwischen als Standard haben, müssen die Besten halt weg. Wie sollen die ganzen Minderleister sonst mithalten können? Und was noch furchbarer zu sein scheint, er ist womöglich auch noch ein richtiger Mann und nicht so ein enteiertes Gestell mit Dutt und Einheitsbart. Das geht ja nun mal gar nicht! Zumindest hat er jetzt ein bisschen mehr Zeit und könnte, zum Beispiel, noch ein paar Ohrfeigen austeilen. Beim Spiegel hocken genug Schmierlappen rum, die längst mal eine verdient hätten.

Klaus Keller / 10.05.2023

Dabei soll auf Grundlage des Spiegel-Artikels geprüft werden, ob ein Anfangsverdacht für etwaige Straftaten vorliegt…. Spiegeljournalisten als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ? Spiegeljournalisten als Zeugen der Anklage? Welche Drogen nimmt man in München üblicher Weise?

Peter Quast / 10.05.2023

Gesellschaftsumbau durch die Hintertür. Sie haben so lange Erfolg wie wir passiv sind und kein Stehfestigkeit beweisen. Wie sieht es arbeitsrechtlich aus? Juristisch ist das alles schon lange verjährt, auf was will sich nun der Arbeitgeber berufen?

Nico Schmidt / 10.05.2023

Liebe Achse, vor 20 Jahren hätte nach einer Ohrfeige kein Hunhn und kein Hahn gekräht. MfG Nico Schmidt

Arnold Balzer / 10.05.2023

Genau wie im Film- & Show-Biz, Jahre/Jahrzehnte später beklagt sich eine Tussi, die es geschafft hat, an der Seite von Oscar-Preisträgern aufzutreten, dass sie früher mal die Beine breit gemacht hat, angeblich breit machen musste, weil es sonst mit ihrer Karriere nicht gefunzt hätte! Da kann ich nur sagen: Tja, Dummchen, hast doch erreicht, was du wolltest und hast den Preis bezahlt, der vorher ausgemacht war. Leistung und Gegenleistung, so what ! (Und wenn du es nicht vorher wusstest, wie das läuft, müssteste eigentlich wegen Blödheit bestraft anstatt mit Ruhm bekleckert zu werden.)  Warum biste nicht gleich am folgendenTag zur Polizei - schon allein wegen “Spurensicherung”!

Yon Bureitxa / 10.05.2023

Die Erbsenpistole der bösartig Guten und gnadenlos Richtigen hat offensichtlich eine massive Ladehemmung - wenn der virtuelle (Ab)Schuss des genannten Edel-Smuts bsplw. erst nach unglaublichen 20 Jahren das mediale Geschützrohr verlässt. Mein lieber Scholli: da müssen einige der Opfer einen fulminanten Flashback erlitten haben. Vielleicht hilft denen dieses Outing ja wieder auf ´s Gleis. Gute Besserung jedenfalls. Trotzdem: warum erst jetzt?

Anći Barlovits / 10.05.2023

Da kann so manch Einer ein Lied davon singen. Fragen Sie mal Placido Domingo, Donald Trump etc. Aber nicht nur Promis sind im Alltag davon betroffen. Das geht schon so weit, dass mir ein Freund meiner Tochter sagte, dass er in der Firma nicht mehr in einen Fahrstuhl einsteigt, wenn sich darin nur 1 Frau befindet und er mit ihr alleine wäre.

Jürgen Fischer / 10.05.2023

Nicht jeder kann sich einen Scholz als Küchenhilfe leisten - und es wäre auch gar nicht wünschenswert, wegen seiner Arbeitsleistung. Aber seine Vergesslichkeit wäre in so einem Fall schon von Vorteil.

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