Cora Stephan / 16.02.2023 / 10:00 / Foto: Imago / 33 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Der böse Osten

Gut, dass es „den Osten“ gibt. Seit einiger Zeit wird die westdeutsche Provinz vom allfälligen Verdacht ein wenig verschont. Denn schlimmer, viel schlimmer geht es im Osten zu! 

Ah, la Provence! Lavendel, Meer, Wein, baguette et cigarette! Leben wie Gott in Frankreich und so weiter. Doch sowas glaubt wahrscheinlich nur noch ein pensionierter Weltläufiger, der sich zuletzt vor 30 Jahren in Richtung Mittelmeer mit seinen als „mondän“ gepriesenen Hotspots bewegt hat. Die einstigen Geheimtipps? Überlaufen und in der Hand von Spezialisten für Touristenabzocke.

Und vor allem darf man „Olala-Provence“ nicht mit „province“ verwechseln. Letzteres gilt dort als genauso hinterwäldlerisch wie hierzulande. Kleiner Tipp: Wenn du nach Frankreich fährst, Wanderer, vergiss die Suche nach den Bistros der Bohème und den Routiers der Truckdriver, wo man angeblich so himmlisch essen kann. Isch over. Seit dem Rauchverbot 2012 schwindet die Zahl der Bistros. Kneipen im deutschen Sinn sucht man sowieso meist vergebens, die Sports Bars sind ungemütlich hell erleuchtet und immer läuft das Fernsehen. Ein kleiner Trost: Es gibt Pizza aus dem Automaten und Croque Monsieur, wenn’s dringend ist.

Also Provinz ist nicht la Provence. Gut, dass wir das geklärt haben. Und ihr Ruf ist nach wie vor nicht der beste. „Provinziell“ sagt mit leichtem Naserümpfen der Aufgeklärte, wenn er etwas für nicht „progressiv“, „modern“, „geschlechtergerecht“, „klimafreundlich“ oder sonstwie zeitgeistig hält.

Gut, unsereins trägt das ja neuerdings als Gütesiegel vor sich her: Hej, wir leben in der Realität und nicht im woken Bullerbü, ihr Spinner! Doch dem Verdacht ist nur schlecht zu entkommen: Auf dem Lande haust die bislang durch keine anderskulturierte Zuwanderung verhinderte Inzucht, spricht man platt oder gar sächsisch, wählt die falsche Partei, verweigert sich dem Gendern, kriegt Kinder, oft sogar mehr als eins, und treibt klimaschädliche Landwirtschaft mit furzenden Kühen, obwohl doch unsere Regierung alles tut, um den Bauernstand am Bauern zu hindern. Einige Unbelehrbare tun es dennoch. Hinterwäldler, halt.

Der Osten steht rechts! Womit hat der Westen das verdient?

Gut, dass es „den Osten“ gibt. Seit einiger Zeit wird die westdeutsche Provinz vom allfälligen Verdacht ein wenig verschont. Denn schlimmer, viel schlimmer geht es im Osten zu! In diesem gottlosen Landstrich, in dem die Barbaren hausen und die Höckes hocken, fremdenfeindlich und rechtsradikal, unbelehrbar, obzwar doch seit 30 Jahren der Westen bei der Aufklärung hilft! Dunkeldeutschland eben, wie Bundespräsident Joachim Gauck die Lage zusammenfasste: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich hier leuchtend darstellt, gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören.“

Denen biegt man die Fremdenfreundlichkeit mittlerweile mit dem Vorschlaghammer bei. Und siehe da: Schon wieder wehren sie sich, die Hinterwäldler! Die 508 Seelen im Dörfchen Upahl in Mecklenburg-Vorpommern finden es nicht weltoffen, dass bei ihnen eine Unterkunft für 400 Flüchtlinge und Asylbewerber errichtet werden soll.

Und wer sich die Präferenzen der Barbaren anschaut, was die Parteien betrifft, so überfällt den hellen Westdeutschen erst recht das Grausen: Überall im Osten ist der Anteil der Alternative für Deutschland zweistellig, in Sachsen, in Thüringen, in Mecklenburg-Vorpommern. Der Osten steht rechts! Womit hat der Westen das verdient?

Ach, es geschieht ihm ganz recht. Der Blick auf die Länder, die 41 Jahre lang die DDR bildeten, war in den letzten 30 Jahren seit der Vereinigung selten vorurteilsfrei. Das kritisiert der Leipziger Professor Dirk Oschmann in seinem Buch „Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung“ mit kaum gedrosselter Wut. Insbesondere die ostdeutschen Männer der Jahrgänge 1945–1975 würden „gern als Wutbürger, AfD-Wähler, Nazis, Rassisten oder einfach als unzurechnungsfähige stammelnde Primaten“ hergerichtet. Der Begriff „Osten“ fungiere als ein „infames Zeichen der Unterscheidung, Distanzierung und Ausgrenzung und als totalisierende Markierung“. Karrierewege seien zugestellt von Westmännern, die man zunächst mit Buschzulage gen Osten gelockt hatte. Am schlimmsten treffe es Sachsen – und Dresden.

Dass die Diffamierten nun ausgerechnet die von den westlich dominierten Parteien ausgegrenzte AfD wählen, ist vielleicht die gerechte Rache dafür, dass die Vereinigung im Westen vergeigt wurde: Die einen nahmen den DDR-Bürgern übel, dass sie den schnöden Konsumkapitalismus ihrer DDR vorzogen, die in der BRD ja stets beliebter war als bei deren Untertanen. Die anderen meinten, den stasiverseuchten Ossis die Demokratie erst beibringen zu müssen. Die Rache für westdeutsche Überlegenheitsgefühle: Nicht der Westen, sondern die DDR hat gesiegt und hält mittlerweile ganz Deutschland besetzt. Gut, dass es DDR-Geschulte gibt, die ein feines Gespür haben für die Sprache der Propaganda und der Unfreiheit. Sie werden dringend gebraucht.

 

Cora Stephan, geb. 1951, ist Publizistin und Schriftstellerin. Sie veröffentlichte Beiträge in zahlreichen Medien, darunter beim NDR. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Soeben ist ihr neuer Roman „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ erschienen.

Foto: Imago

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

T. Schneegaß / 16.02.2023

@A.Gerdes: Kommt er mit Ballon, Rollator oder doch schon mit E-Panzer und Konfetti-Kanone? Irgendwo in den vergangenen Tagen las ich, bezogen auf den stündlich wachsenden Irrsinn, den man diesem verblödetem Volk erzählt und aufzwingt, den es glaubt und folgt, den Rat eines Mitmenschen: macht das System und seine -linge jede Minute lächerlich und nur noch lächerlich, zeigt damit, was es ist und schützt euch so vor der eigenen Verblödung.

T. Schneegaß / 16.02.2023

@Hans Ludwig Jacoby: Das kommt nun auch noch dazu, zu den Ballonen, Reichsbürgern, Rollator-Putschisten usw. Uns bleibt aber wirklich nichts erspart. Weiß es Osthold schon?

Hans Ludwig Jacoby / 16.02.2023

Das wird sich nun ja alles nach den Worten des Herrn Kadyrow (Der Tschetschene mit den blutunterlaufenden Augen…) zu unseren Gunsten erledigen, denn derselbe hat ja den deutschen Osten von früher her als sein Territorium erklärt und seine Rückkehr angekündigt.

T. Schneegaß / 16.02.2023

@Fred Burig: Lieber Fred Burig, machen Sie es bitte ehrenamtlich und auf dem Gebiet des mit Braunkohlestrom und Atomstrom aus Tschechien hell erleuchteten Dunkeldeutschlands. Nicht dass Sie vom Mauerbau der Wessis überrascht werden und nicht mehr nach Hause können. Sie werden hier gebraucht und nicht dort, wo eh Hopfen und Malz verloren sind.

A.Gerdes / 16.02.2023

Der deutsche “Osten” hat einen prominenten Neuzugang unter seinen Fans - Ramsan Achmatowitsch Kadyrow. Habe vernommen, dass er schon zur nächsten Sommerfrische in der Uckermark erwartet wird. Na das wird ein Fest - so mit Verhandlungen XXL und diplomatischen Lösungen du luxe. Ich wünsche viel Erfolg! Bleibt dran - wählt die LINKE und die AfD! Think positive! Stay in contact! Toi, Toi, Toi !

Franz Klar / 16.02.2023

“Insbesondere die ostdeutschen Männer der Jahrgänge 1945–1975 würden „gern als Wutbürger, AfD-Wähler, Nazis, Rassisten oder einfach als unzurechnungsfähige stammelnde Primaten“ hergerichtet”  . Wir wollen hier die ostelbischen Bewunderer des bruderländischen tapferen Vaterlandsverteidigers Putin nicht unerwähnt lassen .  Chronistenpflicht !

Sabine Drewes / 16.02.2023

Liebe Frau Stephan, Ihr Beitrag erinnert mich ein wenig an das, was ich hier auf der Achse am 7.12.2018 unter dem Titel “Entossifizierung sofort!” schrieb. Lesen Sie den Text einfach noch einmal, da wird Ihnen vieles bekannt vorkommen… LG

Dr. med. Jesko Matthes / 16.02.2023

Wenn es nicht so spaltungsirre wäre, könnte man es unheimlich komisch finden: Dieselben Leute, die mir die DDR vor 40 Jahren schön reden wollten, wollen mir jetzt den Osten Deutschlands vermiesepetern und dafür eine DDR “light” aus dem ganzen Laden machen. Muss ja echt klasse gewesen sein: Statt Reisen mit der Volkssolidarität an die Ostsee, statt Wählen falten gehen, statt Arbeiten bei Mangel an Zulieferteilen und Organisation herumhängen, und wer meckert, wird bespitzelt, denunziert oder sitzt ein; Ausreisen geht auch nicht, damals wegen Mauer und Schießbefehl, heute, weil der freie Westen nirgends mehr existiert. Aber immer mit Stolz und Ehre, damals für die So-li-da-ri-tät, heute fürs Klima. Und nur die Mächtigen werden immer reicher; der feuchte Traum der Sozen in Reinkultur, sobald sie die Mächtigen geworden sind. Ich habe keine Lösung für den Sch… und frage mich daher: Was wollen wir trinken, sieben Tage lang? Goldbrand? Denn nur noch ein oder zwei Leute haben wirklich Sehnsucht nach jenem Osten, der für sie schon Anfang des Westens ist: Kadyrow, übernehmen Sie…!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Cora Stephan / 02.05.2024 / 10:00 / 49

Toxische Weis(s)heit: Nancy und das Kalifat der Reichsbürger

So also ist das: Erst errichten die Reichsbürger ein Kalifat, um dann ins Deutsche Reich von 1871 zurückzukehren?  Gut, dass es den Prozess gegen die…/ mehr

Cora Stephan / 08.04.2024 / 06:15 / 35

„Babys sind der Goldstandard des Menschenhandels“

Birgit Kelles Zorn ist in jedem Kapitel ihres neuen Buches über Leihmutterschaft zu spüren. Sie hat die ganze Szene und ihre Propagandisten bis ins letzte…/ mehr

Cora Stephan / 08.03.2024 / 06:15 / 49

Männer! Richtige Männer! Es gibt sie noch!

Botschaft an alle Männer, die heimlich daran zweifeln, dass es 99 Geschlechter gibt, ein Mann per Selbstermächtigung zur Frau wird und Frauen die besseren Menschen…/ mehr

Cora Stephan / 29.02.2024 / 11:00 / 51

Daniela Klette und der vergessene Linksextremismus

Die Innenministerin ist voll des Lobes angesichts der Festnahme von Daniela Klette, 65 Jahre alt, Mitglied der RAF, Dritte Generation. Fahndungserfolg nach nicht einmal 30…/ mehr

Cora Stephan / 15.02.2024 / 06:05 / 65

Toxische Weis(s)heit: Die Heuchler von Ulm

Eine Stadt die in der Coronazeit durch besonders rigide Freiheitseinschränkungen von sich reden machte, setzt sich plötzlich für „Vielfalt und Demokratie“ ein. Ulm ist ein…/ mehr

Cora Stephan / 10.02.2024 / 12:00 / 36

Merz in Grün?

Was geht im Kopf eine Politikers wie Friedrich Merz vor, der die Grünen erst zum Hauptgegner erklärt und dann eine Koalition mit ihnen nicht mehr…/ mehr

Cora Stephan / 01.02.2024 / 12:00 / 40

Toxische Weis(s)heit: Teure Migration

Eine holländische Studie ermittelte, dass zwei Drittel aller Einwanderer den niederländischen Staat Geld kosten. In Deutschland ist die Lage längst kritisch. Wer 2015 nicht nur Gefühle…/ mehr

Cora Stephan / 25.01.2024 / 10:00 / 35

Preisverleihungen nur noch auf Bewährung!

Wer einen Preis verliehen bekommt, weil er was besonderes geleistet hat, sollte sich sehr genau überlegen, mit wem er künftig redet. Sonst ist der womöglich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com