Von Hartwig Eckert.
Ein Beispiel für semantische Taschenspielertricks bei Zieldefinitionen ist der Gebrauch der Worte „umweltfreundlich“ und „umweltschädlich“.
Betrachten wir einmal Gegensatzpaare wie (a) „groß versus klein“, „teuer versus billig“, „spät versus früh“, „alt versus jung“ und (b) „umweltfreundlich versus umweltschädlich“, dann ergibt sich ein wichtiger Unterschied. In Fragen und Vergleichen kann die Gegensätzlichkeit zwischen den Adjektiven der ersten drei Paare aufgehoben werden, nicht aber zwischen „umweltfreundlich versus umweltschädlich“.
Wenn ich beispielsweise frage: „Wie groß ist deine neue Wohnung?“, kann die Antwort lauten: „Och, die ist winzig, aber einen Tick größer als die alte.“ Das heißt, weder die Frage noch der Vergleich implizieren, dass die Wohnung groß ist. „Wie spät ist es?“ impliziert nicht, dass es spät ist, und „Wie alt ist denn ihr Baby?“ impliziert nicht, dass es sich um einen alten Menschen handelt.
Bei „freundlich versus unfreundlich“ beziehungsweise „freundlich versus feindlich“ kann weder in der Frage noch im Vergleich der Gegensatz aufgehoben werden. „A ist größer als B“ impliziert nicht, dass beide groß sind, wohingegen „A ist freundlicher als B“ impliziert, dass beide freundlich sind. Man kann sagen: „Sven und Lars sind beide winzig, aber Lars ist ein bisschen größer als Sven.“; aber man kann nicht sagen: „Sven und Lars sind Menschenhasser, aber Lars ist menschenfreundlicher als Sven.“
Wenn wir uns jetzt die Verwendung der Auszeichnung mit dem Prädikat „umweltfreundlich“ anschauen, stellen wir fest, dass wir hier betrogen worden sind, denn das Adjektiv ist in die semantisch falsche Kategorie gepackt worden. Die mit „umweltfreundlich“ bezeichneten Produkte sind fast ausnahmslos umweltfeindlich. Nehmen wir als eines von unzähligen Beispielen das Umweltprädikat von VW:
„Mit einem Umweltprädikat zeichnet Volkswagen den ökologischen Fortschritt bei Fahrzeugen und Technologien gegenüber Vorgänger- beziehungsweise Vergleichsmodellen aus. Das Prädikat informiert unsere Kunden, Aktionäre und weitere Interessenten innerhalb und außerhalb des Unternehmens darüber, wie bei Volkswagen Fahrzeuge, Komponenten und Prozesse umweltfreundlicher gestaltet werden und welche Erfolge wir dabei erzielen.
Grundlage des Umweltprädikats sind so genannte Umweltbilanzen. Darin werden ganz ausführlich alle Informationen zum Energieverbrauch, zu Emissionen und allen weiteren Umweltbelastungen, die bei einem bestimmten Volkswagen-Modell entstehen, erläutert.
Die Umweltbilanz erfasst dabei nicht nur die reine ‚Fahrzeit’ des Autos, sondern dessen gesamten Lebenszyklus – also von der Herstellung über seine Nutzung bis zur Verwertung. Als Ergebnis wird beispielsweise dargestellt, um wie viel sparsamer ein neues Modell gegenüber seinem Vorgänger mit dem Kraftstoff umgeht oder wie viel von dem klimaschädlichen Gas Kohlendioxid (CO2) im Verlauf des Fahrzeuglebens dadurch weniger entsteht.“
Die entscheidenden Passagen in dem VW-Text sind:
„wie … Prozesse umweltfreundlicher gestaltet werden“ und „wie viel von dem klimaschädlichen Gas Kohlendioxid (CO2) weniger entsteht.“
Es ist berechtigt, sich über akzeptable Grenzwerte der Klimaschädlichkeit Gedanken zu machen. Aber klimaschädlich bleibt klimaschädlich. Die unzulässige Rekategorisierung von „umweltfreundlich versus umweltschädlich“, als gehöre dieses Antonympaar in dieselbe Gruppe wie „groß versus klein“, lässt sich leicht entlarven durch folgende Vorschläge: „Wir fordern alle Fahrer von umweltfreundlichen VW-Modellen auf, abends noch ein paar Runden um den Block zu fahren: der Umwelt zuliebe.“
Oder: „Spendenaufruf zur Aktion ‚Saubere Flüsse‘: Wir beabsichtigen, jede Woche 100 Tonnen umweltfreundliches Waschmittel in die Flüsse zu schütten: Aus Liebe zur Umwelt. Dazu brauchen wir Ihre Spenden. Machen Sie mit.“
Wir wenden jetzt – wie in der zweiten und dritten Folge Mark Zuckerbergs Aufruf – den hypothesengeleiteten Ansatz an.
Hypothese 1: Wir haben tatsächlich geglaubt, das Prädikat „umweltfreundlich“ bezeichnete umweltfreundliche Produkte. Was bedeutet das für die Verfolgung der Ziele? Welche telischen beziehungsweise antitelischen Konsequenzen hat die fehlende semantische Analyse der Ziele? Wie lautet das oben definierte Ziel des Strebens nach Umweltfreundlichkeit? Es besteht darin, den CO2-Ausstoß zu verringern. Da das nur Mittel zum Zweck ist, kann eine solche Definition nur Sinn ergeben, wenn ihr ein Finalsatz folgt mit „um … zu“, „um den Klimawandel einzuleiten beziehungsweise um die Erderwärmung nicht zwei Grad Celsius übersteigen zu lassen.“ Auch das ist noch nicht ausreichend. Jetzt müssen noch die Folgen definiert werden: „damit nicht …“; und nun werden die katastrophalen Konsequenzen aufgelistet: „damit nicht durch Anstieg des Meeresspiegels Inselreiche und Küstengebiete verloren gehen mit Verlust von Wohn- und Anbaugebieten, damit dadurch nicht Hungersnöte und Flüchtlingskrisen entstehen, damit nicht Klimakatastrophen Städte und Landschaften zerstören, damit sich nicht Tropenkrankheiten global ausdehnen, et cetera.“
Nur so haben telische Definitionen einen Sinn. Natürlich ist ein weniger umweltschädliches Verkehrsmittel einem stärker umweltschädlichen vorzuziehen. Es geht aber beim Klimawandel nicht darum, ob mein Verkehrsmittel weniger Schadstoff pro Kilometer ausstößt als andere, sondern es geht um die Gesamtmenge, die alle Autos tatsächlich an Schadstoffen ausstoßen. Was die Umdefinition von „umweltfreundlich“ tatsächlich bewirkt, ist ein gigantischer Schadstoffzuwachs bei ruhigem Gewissen. Darin liegt der antitelische Effekt dieser Wortwahl.
Hypothese 2, Kollusion: Nicht auszuschließen ist, dass es sich bei dem „umweltfreundlich-Syndrom“ um Kollusion handelt, also um ein geheimes Einverständnis aller Beteiligter, bestehend aus Verkehrsteilnehmern, der Autoindustrie, Lobbyisten und Politikern. Das Prädikat „umweltfreundlich“ schränkt weder die Verkaufszahlen noch die gefahrenen Kilometer ein, und lässt uns in dem Glauben, dennoch die Welt zu retten.
Das heißt, hinter dem explizit formulierten Ziel versteckt sich ein zweites. Das erste (explizite) Ziel, den Klimawandel zu stoppen, erreichten wir nicht; im Gegenteil: wir beschleunigten ihn, verhielten uns also antitelisch. Das verdeckte Ziel könnte lauten: Die Autoindustrie soll boomen, Arbeitsplätze sollen gesichert sein, und wir wollen in keiner Weise in unserer Mobilität beschränkt werden, gleichzeitig aber ökologisch eine scheinbar weiße Weste haben. Dieses (als Hypothese formulierte) Ziel haben wir zu 10 Prozentz erreicht.
In dem hypothesengeleiteten Ansatz gehen wir zunächst von den explizit definierten Zielen aus: Weniger Schadstoffemission durch Verkehr. Legen wir diese Zielformulierung zugrunde, dann haben Hersteller, Verkehrsteilnehmer und Politiker sich antitelisch verhalten. Gleichzeitig schließen wir die Hypothese der Kollusion nicht aus: Unter diesem Aspekt verhalten sich alle Stakeholder telisch: Wirtschaftswachstum nicht einschränken, volle Mobilität bei nach außen Weißer Weste.
Der Zweck unserer semantischen Analyse bestand darin, zu verdeutlichen, dass zwei verschiedene Bedeutungen, also die von „umweltfreundlich“ und „weniger umweltschädlich“ zu Synonymen erklärt werden (das heißt verwendet werden, als wären sie gleichbedeutend). Wenn die geäußerten Ziele nicht die tatsächlich verfolgten Ziele sind, kann das dadurch verschleiert werden, dass zwei Aussagen, die nicht synonym sind, bewusst täuschend oder unbewusst naiv als gleichbedeutend angesehen werden.
In der nächsten Folge lesen Sie: Pläne machen – die Fehlermaschine und wie man sie abstellt.
Diese Serie besteht aus Auszügen aus dem Buch „Zielverführung. Wer für alles eine Lösung weiß, hat die Probleme nicht verstanden.“
Die Professoren Dietrich Dörner, Jose Julio Gonzalez, Hartwig Eckert, Ines Heindl und Gunnar Heinsohn haben sich für das Buch „Zielverführung“ zusammengetan, um der Frage nachzugehen, warum wir in komplexen Systemen – also allen gesellschaftspolitischen – unter großem Aufwand das Gegenteil von dem erreichen, was wir als Ziel definiert haben.
Herausgegeben von Hartwig Eckert und Jose Julio Gonzalez, Altan Verlag 2017, 82008 Unterhaching, ISBN 978-3-930472-51-2. Zu beziehen beim Verlag direkt oder hier bei Amazon.
Prof. Dr. Hartwig Eckert lehrt an der Europa-Universität Flensburg (EUF) Anglistik und Sprachwissenschaft.
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 6
Teil 7