Was für eine hysterische Woche! Nach dem Ausschluss Sarrazins aus der SPD am vergangenen Freitag, der Aufregung um die Corona-Proteste in Berlin am vergangenen Samstag, dem Skandal um Dieter Nuhrs Beitrag für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) am Dienstag, der fristlosen Kündigung des Basketballers Joshiko Saibou wegen Teilnahme an der Corona-Demo am selben Tag, steht nun die Kabarettistin Lisa Eckhart (mal wieder) im Kreuzfeuer. Sie sollte eigentlich beim diesjährigen „Harbour Front Literaturfestival“ in Hamburg mit ihrem demnächst erscheinenden Roman „Omama“ teilnehmen. Auf Spiegel Online heißt es: „Im Rahmen des Hamburger Wettbewerbs hätte Eckhart am 14. September im Klub ‚Nochtspeicher‘ unweit der Hafenstraße lesen sollen.“ Seit Mittwoch steht auf der Festival-Homepage: „Leider muss diese Veranstaltung entfallen.“
Spiegel Online spricht im Weiteren von internen Mails, die der Redaktion vorlägen: „Demnach hat sich der ‚Nochtspeicher‘ im Juli bei der Leitung des Festivals gemeldet. Man sehe sich außerstande, im Falle einer Lesung die ‚Sicherheit der Besucher und der Künstlerin‘ zu gewährleisten.“ Im „bekanntlich höchst linken Viertel“ hielt der Club „Sach- und Personenschaden“ für „wahrscheinlich“: „Wir haben in den letzten Tagen bereits aus der Nachbarschaft gehört, dass sich der Protest schon formiert.“ Weiter heißt es im Artikel: „An Polizeischutz sei nicht zu denken, weil die Situation dann sogar noch eskalieren und gar zu Straßenscharmützeln führen‘ könne.“
Daraufhin sei Lisa Eckhart von der Festivalleitung gebeten worden, freiwillig auf ihren Auftritt zu verzichten. Die dachte jedoch gar nicht daran und wurde somit offiziell ausgeladen.
Das ist jedoch noch nicht alles: Zur Ehre einer Solo-Lesung war Eckhart überhaupt nur gekommen, weil zuvor zwei andere Künstler (deren Namen mich ja mal brennend interessieren würden) sich geweigert hatten, neben ihr aufzutreten. Dann funkte allerdings der „schwarze Block“ dazwischen und nun kommt sie auf dem Festival gar nicht mehr vor.
Bei Lisa Eckhart geht es stets ans Eingemachte
Ich muss mich über all das sehr wundern. Deutschland, Deutschland, wo ist nur deine Haltung geblieben? Und von der vielbeschworenen (Corona-)Solidarität möchte ich gar nicht erst anfangen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich halte Lisa Eckhart für eine sehr begabte und faszinierende Künstlerin. Sie gehört zu den wenigen deutschsprachigen Komikern, die mich überhaupt zum Lachen bringen können. Wobei – ihre Pointen sind meistens von einer solchen Doppelbödigkeit, so sehr im Stande, die Zuschauer zu spiegeln und an ihre eigenen Schwächen zu erinnern, dass einem das Lachen schon mal im Halse stecken bleiben kann.
Bei ihr geht es nicht um oberflächliche Schenkelklopfer, wie bei so vielen anderen „Comedians“ – bei Lisa Eckhart geht es stets ans Eingemachte. Dass das mitunter auch weh tut, liegt in der Natur der Sache. Daher stand sie schon öfters in der Kritik. Kürzlich etwa wegen angeblichen Antisemtismus‘, den Kritiker nachträglich in einem fast zwei Jahre alten Auftritt von ihr entdeckt haben wollen.
In unserem Land einfach nicht schönzuschreiben
Ich weiß nicht, ob ich hier auf dem Schlauch stehe, aber ich verstehe den Monolog (den Sie sich hier ansehen können) umgekehrt, nämlich dass er Antisemiten vorführen soll. Im Verlauf des Auftrittes verpasst sie auch noch der gesamten Identitätspolitik einen Tritt in den Allerwertesten. Lisa Eckhart wäre selbstverständlich nicht Lisa Eckhart, wenn Sie es ihrem Publikum so einfach machen würde. Sie liefert natürlich erstmal eine saftige Steilvorlage für schmutzige Gedanken und wenn man darauf reinfällt, kann das schon unangenehm sein.
Jene, die daraufhin entrüstet „Antisemitismus“ brüllten, wurden wohl von Eckhart in ihrer Humorfähigkeit überfordert. Ist es sogar möglich, dass manche der Empörten sich ertappt fühlten, weil sie in Wahrheit … ? Aber ich höre an dieser Stelle lieber auf.
Zurück zum Spiegel: Es ist in jedem Fall hochinteressant, dass das Blatt, das seinen Lesern meistens einen kostenlosen Einordnungs-Service nicht vorenthält, sich im Fall der Ausladung Lisa Eckharts bemerkenswert unbeteiligt gibt. Keine Wertung, keine Erklärung. Dass die Sicherheit einer Künstlerin in Deutschland bei einem Auftritt wegen der Gewaltbereitschaft einer politischen Gruppe nicht gewährleistet werden kann, ist in unserem Land einfach nicht schönzuschreiben.
Koscher ist die Künstlerin dem Spiegel allerdings auch nicht, wie er bemüht objektiv, aber deutlich zugibt. Es wird nicht versäumt, auf ebenjenen Antisemitismus-Vorwurf hinzuweisen. Den passenden Link zu einer Spiegel-Kolumne über Eckhart mit dem unmissverständlichen Titel „Antisemitismus als Witz. Punchline in die Magengrube“ von Samira El Ouassil gibt es als Leseempfehlung gleich dazu. Ich habe das Gefühl, dass der Spiegel selten durch Weglassen so viel ausgedrückt hat.
Wäre es nicht so ernst, könnte man glatt darüber lachen.