Wichtig: “Was früher allenfalls von nervigen Häkel-Pullover-Freaks an den Unis heruntergebetet und von der RAF in rohe Gewalt umgesetzt wurde, hat sich heute als legitime Weltanschauung - ausgehend von den Universitäten - tief in die Mitte der Gesellschaften des Westens und vor allem in die Mitte der jungen Generation gegraben.” Ich habe nie gehäkelt und war nicht RAF-affin, trotzdem Teil der “Bewegung”. Insofern mitschuldig. Der Psychokram, “man soll nicht werten”, “alles ist eins”, “böser Konsum”...wie konnte das so nachhaltig Fuß fassen? Die ältere Generation hatte dem nichts entgegenzusetzen. Möglicherweise auch weil die Industrie neue Absatzmärkte witterte und entsprechend handelte. Der Jugendkult war ja schon in den Fünzigern entstanden. Eben vielleicht als Reaktion auf das kollektive Versagen der Älteren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Liebe Frau Schunke, schon der Kolonialismus stand fest auf dem Boden der Überzeugung eigener kultureller Überlegenheit Europas. Nun speist sich dies nie verloren gegangene Gefühl der Überlegenheit seit längerem aus einer Hypermoral. Ein Doppelspiel steckt dahinter. Einerseits wird eine Ideologie des ‘alle sind gleich’ (gut) abgefeiert, andererseits geht man in den Vergleich mit anderen Kulturen wie in einen Gottedienst, in dem gepredigt wird, dass wir die einzigen sind, welche die Welt retten können. Abwechwelnd erzählt uns der Prediger, dass wir die schlechtesten sind und gleichzeitig die wirkmäßig besten. Das ist keine Dialektik, sondern indentitärer Irrsinn, oder die Dialektik des Irsinns westlicher Identität.
Es geht um die Macht. Wenn man seine Gegner als Feinde des Menschengeschlechts definieren kann, beherrscht man eine Gesellschaft. Man muss diesen Unsinn nicht einmal selbst glauben , wenn nur die Untertanen ihn glauben. Allerdings fällt es leichter, Böses zu tun, wenn man ein gutes Gewissen hat. In dieser Lage empfiehlt es sich, ein gutes Buch zu lesen. Nehmen Sie den “Waldgang” von Ernst Jünger.
Die gesinnungsethischen Moralinstanzen beziehen ihre Alternativlosigkeit aus der Einzigartigkeit der (eigenen) Schuld. Hohepriester sind unserer oberster Repräsentant, der beim CH-Besuch in reinster Biologismus-Ideologie bekundete, die deutsche DNA (sic!) eigne sich nicht für mehr direktere Demokratie nach CH-Vorbild oder unser Riesen-Außenminister und vormals Zensurgesetz-Held, der uns doch tatsächlich damit beschämend erlöst, indem er erklärt, er sei “wegen Auschwitz in die Politik”. Da aalt man sich genüsslich in (Selbst-)Verachtung. Hauptsache immer stramm auf der richtigen, gerechten und guten Seite. Und täglich grüßt das Schuldzelebrierungstier.
Ich denke nicht, dass Schopenhauer ein gestörtes Verhältnis zur deutschen Kultur hatte, als er folgendes schrieb: “Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt.” Schlimmer als jeder Nationalstolz scheint mir aber das “identitätsstiftende” Element von Religionen zu sein, das in aller Regel ja durch einen Absolutheitsanspruch und Wahrheitsanspruch eingerahmt wird. Das Zitat zum Islam von Schopenhauer spare ich mir jetzt (wegen der netiquette).
Es ist sicher richtig beobachtet, dass die Zustände mit Moslems in GB und FR schlimmer sind als bei uns - obwohl die keinen Schuldkomplex haben wie die Deutschen. Allerdings: Die Deutschen haben einen Schuldkomplex - völlig zu Recht - gegenüber Israel und den Juden - nicht aber gegenüber Arabern, Türken, Muslimen allgemein. Warum? Mit denen lagen die Dütschen nie im Clinch, mit so gut wie allen Anderen sehr wohl. Ganz im Gegenteil. Die Engländer haben - mit bisschen Hilfe der Franzosen - das osmanische Reich auf Null gebracht, dabei den Saud die Trümmer davon versprochen - gleich aber wieder gebrochen (Lawrence of Arabia, der im Übrigen entsetzt war über den Wortbruch von Whitehall), das haben die nicht vergessen. Carles Aznavour selig und der Völkermord an den Armenieren sei nur als Girlande erwähnt. Dann Suez-Krise 1956 - das alles haben die nicht vergessen. Auch nicht, dass es die USA waren, die die Engländer und Franzosen damals zurück gepfiffen haben. Dummerweise haben die USA bei der militärischen Entmachtung von Muhammad Mossadegh in Iran durch die Engländer mit gemacht - dafür sind sie heute noch der Teufel dort, wahlweise der Scheitan. Gier frisst eben Hirn - der Fluch der bösen Tat, bis heute. Die USA könnten in Falle von Iran was machen, durch Unterstützung der dortigen jungen Leute, die alle nach Westen wollen, die Mullahs zum Teufel jagen. Interessant, Trump hat so was angedeutet mit: “Das iranische Volk hat etwas Bessers verdient”. Wohl wahr. Ist der gar nicht so blöd, wie er sich gibt manchmal? Und wie er aussieht? Schaumermal.
Wir werden die Veränderungen in der Gesellschaft nicht ohne die Betrachtung des Begriffs und des Gefühls für „Heimat“ begreifen können. Heimat ist nicht mehr vorrangig so wie sie Peter Blickle beschreibt, als ein Bild von einem Raum zu verstehen, das sich das Individuum macht, in dem es ein Zugehörigkeitsgefühl für seine Bewohner, Sitten und Gebräuche entwickelt, um sich selbst auf einer sozialen Ebene zu versichern und die eigene Identität zu stabilisieren. Das hat sich gewandelt: nun ist Heimat ein idealistisches narratives Konstrukt, kein konkreter Ort mehr, sondern eher die Vorstellung davon, wie eine dem Narrativ entsprechende Welt aussehen könnte. Letztlich entwickelt die Vorstellung einer Utopie ein Gefühl von Heimat.
Eine weitgehend sehr schlüssige Argumentation. Es gibt aber nicht nur den Schuldkomplex. Es gibt auch den Schuldstolz und die Schuldselbstbefriedigung.
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