Die Corona-Maßnahmen haben uns auch in Deutschland das chinesische System etwas nähergebracht. Erstaunlich viele Menschen können sich gut mit dieser völlig neuen Form des Zusammenlebens arrangieren.
China wird im Westen gerne als funktionstüchtiger Kontrast zu unseren vermeintlich entscheidungsschwachen Demokratien wahrgenommen. In der Coronakrise übernahmen europäische Staaten daher allzu bereitwillig und vertrauensselig das rigorose chinesische Lockdown-Modell als angeblich effizienteste Variante zur Bekämpfung des mutmaßlichen Killervirus. Seitdem sich die Indizien mehren, dass das Coronavirus in Wuhan aus dem Labor entwichen sein könnte, häufen sich die Spekulationen über eine kalkulierte Finte des chinesischen Staates zur Lahmlegung des Westens zwecks Stärkung der eigenen Wirtschaftsmacht.
Wie dem auch sei: Die Corona-Maßnahmen und die damit verbundene Aushebelung der Grundrechte haben uns auch in Deutschland das chinesische System etwas nähergebracht. Wären etwa Ausgangssperren und Berufsverbote in einer Demokratie bis dato undenkbar gewesen, legitimierte die Corona-Hysterie Eingriffe, die vorher nur aus Diktaturen bekannt waren. Das wirklich Verblüffende an dieser Entwicklung ist jedoch, dass flächendeckende Proteste ausblieben und erstaunlich viele Menschen sich bemerkenswert gut mit dieser völlig neuen Form des Zusammenlebens arrangieren. Das vorgeblich freie westliche Individuum scheint sich mehr nach Führung und Orientierung zulasten der persönlichen Freiheit zu sehnen, als bislang deutlich wurde. Und schon mehren sich drastische Klima-Forderungen beziehungsweise Beschlüsse vonseiten der Politik, die durchaus als Klima-Lockdown interpretiert werden können.
Allgegenwärtige staatliche App
Wohin derartige Forderungen eine Gesellschaft führen, wird deutlich, wenn man einmal einen Blick auf das chinesische Alltagsleben wirft. In einem gerade erschienenen Beitrag für die NZZ beschreibt der Autor Matthias Sander sein neues Leben in der chinesischen Stadt Shenzen. Mit einer Mischung aus Befremdung, aber auch journalistischer Neugier, wie er betont, schildert er seinen durchtechnisierten Alltag in der chinesischen Metropole, in der ohne Smartphone und Apps gar nichts mehr geht.
Der Technologie-Korrespondent beginnt seinen Beitrag mit der Beschreibung seiner Wohnungsübergabe. An Schlüssel ist nicht zu denken, Zutritt zum neu erbauten Gebäude erhält er nur über Gesichtserkennung, und zum Öffnen seiner Wohnungstür benötigt er einen Code. Erst nach einer Weile gelingt es ihm, sich Schlüsselkarten zu organisieren, obwohl er schon nach kurzer Zeit derart umgewöhnt ist, dass er gerne aus Bequemlichkeit per Gesichtserkennung seine Haustür öffnet.
Die allgegenwärtige staatliche App WeChat reguliert den gesamten Alltag: Bezahlen, Chatten, Herunterladen von Speisekarten im Restaurant, Empfang von offiziellen Dokumenten, Anmelden des Wohnsitzes und des Internetzugangs. Zutritt zu öffentlichen Orten wie Metrostationen oder Behörden erhält nur, wer über einen grünen „QR-Gesundheitscode“ verfügt. Auch diese App schildert Sander als datenhungrig, mittels gespeicherter Standorte erbringt man den Beweis, sich nicht in Corona-Risikogebieten aufgehalten zu haben und daher passieren zu dürfen.
Endstation des Überwachungsstaates
Kann man die entsprechenden Daten nicht aufweisen, ist man aufgeschmissen. Sander wird einmal fast der Zugang zum Strand verwehrt, weil kurz nach seiner Einreise seine App noch nicht funktionstüchtig ist und er nur einen Quarantäne-Papierschein vorweisen kann (als Beweis dafür, dass er sich vorschriftsmäßig drei Wochen lang nach Ankunft in China in Quarantäne aufgehalten hat). Als er später seine QR-Codes nicht aktualisiert, bleibt ihm die Metro verwehrt und er muss ein Taxi nehmen.
Wer in Quarantäne geschickt wird, kann buchstäblich das Haus nicht verlassen: Für die Dauer des Arrestes wird eigens eine Video-Kamera direkt vor der Haustür angebracht, die gegebenenfalls Sicherheitskräfte alarmiert, wie Sander etwa von einem Nachbarn weiß. Dieser musste zudem drei Tage länger als eigentlich notwendig unter Hausarrest verbringen, weil seine Gesundheits-App erst mit Verspätung auf Grün sprang. Überhaupt befinden sich an allen Ecken und Enden Überwachungskameras, sodass bei Bedarf dank Gesichtserkennung der Tagesablauf eines jeden Bürgers rekonstruierbar ist.
Diese gruseligen Schilderungen des NZZ-Korrespondenten erinnern mich an ein Gespräch, das ich vor etwa zwei Jahren mit einer chinesischen Studentin auf einer Party führte. Die Nachwuchs-Regisseurin verbachte einige Zeit in Berlin und war ganz begeistert von der freien Kulturszene der Hauptstadt. Als ich sie zur Überwachungs-Politik in China befragte, winkte sie jedoch ab: So schlimm, wie im Ausland proklamiert, sei das nun wirklich nicht. Natürlich: Einer ihrer Film-Dozenten hatte öffentlich die Regierung kritisiert, mit dem Ergebnis, dass er nun seine Stadt nicht mehr verlassen durfte und ihm etwa das Kaufen eines Zugtickets unmöglich war. Aber sonst?
Spätestens dieses Bekenntnis erfüllte mich mit Schaudern vor dem chinesischen Regime. Als ich dann im vergangenen Jahr die kasachische Dissidentin Sayragul Sauytbay interviewte, die ein Buch über ihre schockierenden Erlebnisse in einem chinesischen Umerziehungslager veröffentlicht hatte, wurde mein Entsetzen noch gesteigert. Das hochmoderne, technisierte Land führt mit seiner bekannten Effizienz Konzentrationslager, in denen die Insassen auf barbarische Weise gequält und misshandelt werden. Dies ist die grausame Endstation des Überwachungsstaates.
Eigentlich sollte Derartiges eine Mahnung für unsere Gesellschaft sein, es mit unserem Sicherheitswahn und unserer kritiklosen Bewunderung für ein produktives, aber menschenfeindliches System nicht zu weit zu treiben. Durch die aktuelle, ausgrenzende Corona-Politik sind wir schon viel zu weit in die falsche Richtung gelaufen. Hoffentlich wird es ein Umdenken und eine rückläufige Entwicklung geben.