Volker Seitz / 10.01.2020 / 06:24 / Foto: Pixabay / 47 / Seite ausdrucken

Wie Entwicklungshilfe Afrikas Talent vernichtet

In ein realistisches Gesamtbild der afrikanischen Wirklichkeit sollte auch die Tatsache integriert werden, dass viele Staaten für ihre politische und ökonomische Stagnation eine Eigenverantwortung tragen. Die postkoloniale Vergangenheit des Kontinents ist leider auch von Versäumnissen und Fehlentwicklungen geprägt. Erst wenn es gelingt, ein erweitertes Afrikabild zuzulassen, wird ein kultureller und wirtschaftlicher Transfer möglich, der nicht mehr von untergehenden Booten dominiert ist.

Missstände in der Entwicklungspolitik werden gerne mit einer Soße aus menschenfreundlichen Phrasen übergossen. Auch hier meine ich, dass die Deutschen sich aufs hohe moralische Ross setzen. Es ist an der Zeit, jede Naivität abzulegen und die Dinge substanziell zu hinterfragen. Es wäre eine überaus lohnenswerte Anstrengung, aber leider gibt es kein Interesse dafür, keine Geduld und offenbar auch keine fachliche Kompetenz. Ständig wachsende Geldströme von außen lösen die Armutsprobleme nicht, im Gegenteil. Die Umverteilung von Nord nach Süd zerstört Anreize, verschüttet oft lokale Potenziale und verführt gute Leute dazu, ihr Glück in der Entwicklungshilfe statt im Unternehmertum zu suchen.

Wir müssen uns Afrika ungezwungener nähern, den Afrikanern zutrauen, dass sie ihre Schwierigkeiten selbst lösen können. Fragen sollten wir uns, in Deutschland, in Europa, warum wir alle so scharf darauf sind, dass Subsahara weiter am Entwicklungstropf hängt. Viele Afrikaner sehen mittlerweile das westliche Gutmenschentum als militanten Egoismus. 

Afrika bleibt ein dunkler Kontinent

In der Entwicklungshilfe gibt es keine Patentrezepte. Die seit Jahrzehnten betriebene Art der Realitätsverweigerung in der Entwicklungspolitik bringt die Länder nicht entscheidend voran, schafft kaum Arbeitsplätze vor Ort, mehrt dort das Wohlergehen einiger weniger, beseitigt aber nicht das breite Elend. Wir wissen dies, aber differenzierter ist der Diskurs mitnichten geworden, sondern eintönig in seinem beflissenen Bemühen, unter allen Umständen der Political Correctness auch hier zu folgen.

Wir sollten stattdessen den steinigen, aber dafür realistischen Weg der selbstkritischen Auseinandersetzung über die Wirkung der „Hilfe“ favorisieren. Dann würden wir erkennen, dass afrikanische Eliten statt Hilfslieferungen oder wohltätigen Spenden viel mehr ein Gefühl für Recht und Menschlichkeit brauchen. Es braucht eine neue Generation von Eliten, die es fertigbringen, Afrika zu managen. Derzeit zerbröselt in vielen Staaten das Sozialgefüge und die Kräfte und Fähigkeiten der Menschen werden für den täglichen Überlebenskampf gebraucht.

Entwicklungspolitik hat in vielen Ländern die Qualität der Regierungsführung eher verschlechtert und interne Reformen verhindert. Der Mittelaufwand steigt, die Empfänger werden jedoch nicht viel besser ausgewählt. Selbst in wohlmeinenden Helferkreisen – die gerne Füllhörner über den Kontinent ausschütten – hat sich inzwischen herumgesprochen, dass wirkliche Entwicklung Afrikas nur autogene Entwicklung sein kann, also solche, die aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft erzeugt wird. Selbst geübten Schönfärbern fällt es schwer, noch von zufriedenstellenden Ergebnissen von über 50 Jahren Hilfe für Afrika zu sprechen: Afrika bleibt ein dunkler Kontinent: zu wenig Licht und Strom, zu wenig Bildung, zu wenig staatliche Gesundheitsvorsorge, zu wenig Familienplanung, zu wenig Industrie und damit zu wenig Arbeitsplätze.

Afrika ist voller Rohstoffe, menschlichem Potenzial und Lebensfreude – trotz teilweise bedrückender Armut aufgrund von schlechtem Regierungsmanagement und Korruption. Der Kontinent hat alles, was es braucht, um anstehende Probleme zu lösen. Er muss und kann dies aus eigener Kraft leisten – danach kann man über Unterstützung reden. Es gab in den letzten Jahren in einigen wenigen Staaten Verbesserungen (zum Beispiel Ruanda, Botswana, Äthiopien, Senegal, Namibia, Ghana und sogar Togo). Aber gemessen an dem, was möglich wäre, schneiden die meisten afrikanischen Staaten schlecht ab. 

Die Wirkung der Maßnahmen wird nicht gemessen

In vielen Staaten Afrikas gilt das Recht des Stärkeren. Eine allmächtige Minderheit bereichert sich in ungeschminkter Form auf Kosten der oft ohnmächtigen Mehrheit. Die reichlich vorhandenen Bodenschätze werden verscherbelt, und die Stärksten sichern sich den Löwenanteil der Erlöse. Schlimm ist, dass bei einem durchschnittlichen Wachstum von sechs Prozent Millionen Menschen unter Nahrungsmittelunsicherheit leiden und in Armut verharren. Schlechtes Management und Misswirtschaft stehen oben auf der Mängelliste. Gerechtigkeit und Arbeit sind am allerwenigsten mit afrikanischen Regimen in Zusammenhang zu bringen. Diese Menschen leiden unter der Selbstbereicherung der politischen Eliten, die versagt haben, das Potenzial des Kontinents zu heben. Sie werden im frankophonen Afrika gerne als „grosses légumes“ (fette Bonzen) bezeichnet. In Südafrika werden die neuen Superreichen „Fat Cats“ genannt.

Immer noch leidet Afrika unter zu viel Betreuung. Was haben die deutschen Gelder tatsächlich in Afrika an Armutsbekämpfung, Demokratieförderung und „Institution-Building“ im weitesten Sinne beigetragen? Eine kritische Erfolgsmessung bleibt weiter aus. Die Maßstäbe sind nicht nachvollziehbar. Die Jahresberichte bilden nur ab, wie viel Geld in die einzelnen Projekte geflossen ist. Die Wirkung der Maßnahmen wird nicht gemessen.

Ich behaupte, dass einzig die Katastrophenhilfe, aber auch da nur bedingt, den Betroffenen etwas gebracht hat. Aber wenn sie zur Dauereinrichtung wird, dann richten sich die Menschen darauf ein. Diese „Hilfe“ wird gefährlich, wenn sie sicherer ist als der Ertrag aus Eigenleistung. Heute ist es leider so: Je bedürftiger ein Land ist, desto mehr können die Verantwortlichen kassieren. Bedürftigkeit ist ein Trumpf in den Verhandlungen mit den Gebern. Wenn eine Bevölkerung sich über Generationen immer darauf verlassen konnte, dass letztlich externe Hilfe auftaucht und gewissermaßen einer Lebensfürsorge ausübt, verfestigte dies Unselbstständigkeit. Allerdings ist die Existenz von Entwicklungshilfeorganisationen zum Selbstzweck verkommen.

Entwicklungshilfe hat seit Jahrzehnten unter Beweis gestellt, dass sie in der Regel das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen will. Hilfe ist ein gefährliches Suchtmittel und schafft Abhängigkeit. Entwicklungshilfe ist deshalb ein unwürdiges Geschäft, nutzt der Entwicklungsindustrie und schadet den sogenannten Entwicklungsländern. Dem Steuerzahler wird es perfiderweise auch noch als „Hilfe zur Selbsthilfe“ verkauft. Die Bekämpfung des korrupten Staatsapparats wäre für afrikanische Regierungen die beste Selbsthilfe (siehe hier).

Wann beginnt der Westen zu lernen?

Oberste Ziel unserer Entwicklungshilfe für Afrika müsste sein, sich selbst überflüssig zu machen. Das Scheitern der Entwicklungshilfe liegt nicht am Geldmangel. In allen Ländern, in denen ich gearbeitet habe, hatten wir Probleme, überhaupt genügend sinnvolle Projekte zu finden, um die Mittel loszuwerden („Mittelabflussdruck“). Entwicklung lässt sich nicht erzwingen. Trotzdem fließt weiter milliardenschwere Entwicklungshilfe in Prestigeprojekte, oder versickert im Gestrüpp der Bürokratie. „Die hydraulische Vorstellung von Entwicklungshilfe – wenn vorn Wasser ins Rohr fließt, kommt hinten die gleiche Menge wieder heraus – ist eine gefährliche Illusion“, sagte Angus Deaton (Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Princetown University und 2015 Wirtschaftsnobelpreisträger).

Entwicklungshilfe sei ein Gebot der Menschlichkeit, heißt es. Wer anderer Meinung ist, ist inkompetent oder vorurteilsbeladen. An der Idee, etwas Gutes zu tun, wird festgehalten, obwohl die Realität sie schon längst widerlegt hat. Es ist also schwer, die jahrzehntelang ausgebreitete und einzementierte schädliche Entwicklungshilfe-Ideologie zu bekämpfen. Dabei ist längst bewiesen, dass dort, wo Rechtsstaatlichkeit und die Respektierung grundlegender Menschenrechte fehlen, Korruption sich breit macht.

Die, die sich niemals längere Zeit in Afrika aufgehalten haben, glauben am besten zu wissen, was zu tun ist. Nächstenliebe mag sich gut anfühlen, doch hier löst sie keine Probleme in einer nachhaltigen Form. Die Armen würden meist lieber selbst aktiv werden. So wie das Geld der Euroretter in Wirklichkeit nicht den notleidenden Menschen in den Schuldnerstaaten zugute kam, sondern den Gläubigerbanken, so hat Entwicklungshilfe korrupte Machthaber finanziert und stabilisiert.

Projekte liefen nur mit vielen faulen Kompromissen

Viele afrikanische Ökonomien kranken daran, dass es dort kein funktionierendes Steuersystem gibt. Vor allem fehlt dies in den Staaten, die einen großen Teil des Staatshaushaltes aus Entwicklungshilfe bestreiten. Ohne Entwicklungshilfe müssten die Regierenden Gewerbe, Landwirtschaft und Handel fördern, Steuern erheben – und wären so endlich dem Volk verpflichtet. Ein großes Problem ist fast überall die Erhaltung bestehender Strukturen. In Wartung wird nicht investiert, und so verkommt die Infrastruktur, fällt Strom, Wasser aus, bis ein Geberland dies wieder in Ordnung bringt. 

Auch öffentliche-privatwirtschaftliche Kooperationen (PPP), die entwicklungspolitische Effekte stimulieren sollten, wurden von den Gebern fast durchweg positiv beurteilt, aber die meisten Projekte liefen nur mit vielen faulen Kompromissen oder wurden ganz storniert, weil Good Governance und Transparency sich nicht materialisieren wollten. 

„Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips liegt es, Menschen instand zu setzen, sich selbst zu helfen. Hilfe zur Selbsthilfe ist objektiv die wirksamste Hilfe, hat aber vor allen auch den Vorzug, den anderen nicht als Objekt zu betrachten, sondern ihn als Subjekt zu achten, das sich selbst an der zu lösenden Aufgabe beteiligen will, die es allein nicht zu bewältigen vermag.“ (Nell Bräuning) 

Es gibt die nach außen hervorragend dargestellten Power-Point-Projekte der GIZ. In den Büros vor Ort werden den lokalen Mitarbeitern im Landesdurchschnitt horrende Gehälter gezahlt und Fahrzeuge neuesten Baujahrs zur Verfügung gestellt. Heute verdient ein Fahrer für die UN oder eine Hilfsorganisation mehr als ein Abteilungsleiter in einem Ministerium. Mit den Anschaffungspreisen der Autos könnte man mehrere Dörfer im Lande bis zu einem Jahr ernähren.

Entwicklungshilfe als Dauereinrichtung ist schädlich

Es geht nicht um die Bevölkerung, die Strategie wird von oben herab konzipiert und dient vorrangig den Interessen der Betreuungsindustrie und den Regierungen. Die Geber denken sich etwas aus, nicht die Leute, denen vorgeblich geholfen werden soll. Mit symbolischen Handlungen „eben mal die Welt retten“. Die Helfer haben eine überaus irrige Auffassung ihrer Stellung in Afrika, und dieser Irrtum ist unausrottbar. Geholfen wird aber nur dann, wenn die Menschen mittels Unterstützung eigener Projekte ihre Lebensverhältnisse dauerhaft verbessern.

Wenn aber Entwicklungshelfer die Probleme für die Afrikaner lösen wollen, dann schaffen sie Konflikte. Sie haben auch eine überaus irrige Auffassung von Hilfe. Entwicklung beruht immer auf Eigeninitiative. Dauergaben ohne eigene Initiativen machen die Afrikaner zu Bettlern. Aber umdenken und eigene Fehler einräumen, ist in der Entwicklungshilfezunft nur schwach ausgeprägt. Es gibt keine Organisation, die die Frage beantworten kann, wann Entwicklungshilfe in dem Land eingestellt werden könnte. Natürlich auch, weil sich die Frage niemand stellen will. 

Der beamtete Staatssekretär des Entwicklungsministeriums (BMZ) ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Damit ist er als Auftraggeber (BMZ) und gleichzeitig Auftragsnehmer (GIZ) verantwortlich. Gleichzeitig sind Abgeordnete aller Parteien des Bundestages sowohl Mitglieder im Haushaltsausschuss des Bundestages als auch im Aufsichtsrat der GIZ. Reinhard Müller schreibt in seinem Leitartikel „Gemeinwohl gehört nicht einer Clique“ in der F.A.Z. am 8. Januar 2020: „So kam der hessische SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel ja auch nicht nach einem erfolgreichen Bewerbungsverfahren um eine ausgeschriebene Stelle in den Vorstand der GIZ; immerhin war er einst entwicklungspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Landtag. Da die Sprecherin des zweiköpfigen Vorstands der GIZ die ehemalige baden-württembergische CDU-Politikern Tanja Gönner ist, passt alles wieder.“ Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt. 

Immunabwehr gegen Neues und Veränderungen

Die GIZ publiziert zwar regelmäßig ihre eigenen Evaluierungsergebnisse und jubelt, dass zwei Drittel bis drei Viertel ihrer Projekte erfolgreich waren, aber es sind Projekte ohne große Wirkung für die Bevölkerung. Zivilgesellschaftliche Akteure in den Zielländern müssen mehr beteiligt werden. Echte Entwicklungszusammenarbeit muss gemeinsam mit Betroffenen (nicht nur mit weit entfernten Ministerien) ein Konzept erstellen, das deren Bedürfnisse erkennt, befriedigt und laufend gemeinsam überprüft. Werden diese Bedürfnisse wie bisher übergangen, helfen die teuersten Geschenke nicht.

Viele junge Afrikaner bringen genug Ehrgeiz mit, um die Probleme ihres Landes offensiv anzugehen und möchten deshalb an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligt werden. Die Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahre hat – leider meist vergeblich – auf die Stärkung von Institutionen gezielt. Gut funktionierende Institutionen sind die Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Wir wissen aber nicht genau, wie man eine gute Institution herstellt. Leider kennen die meisten Entwicklungsländer die wirklichen Kosten der Korruption nicht.

Die Entwicklungshilfeorganisationen entwickeln eine Art Immunabwehr gegen Neues und Veränderungen. Denn Neues stört das innerbetriebliche Gefüge. Erfahrene Entwicklungshelfer prangern einen Etikettenschwindel an, der mit Slogans wie „Klimawandel stoppen“ oder „Fluchtursachen bekämpfen“ betrieben werde. Sie machen dieselben Sachen wie immer, verkaufen sie aber unter diesen Labeln (siehe hier). Entwicklungshelfer sind Staatsangestellte mit einer sehr komfortablen Ausstattung und Bezahlung. Ständig wird verkündet, dass Afrika ein Pflegefall und auf unsere Hilfe angewiesen ist. Deshalb gibt es so viele Akteure, die miteinander um irgendwelche Projekte konkurrieren.

Das Afrikabild wird so von den sich selbst erhaltenden Hilfswerken und Helfern, die Hilfe als Lebensjob betreiben, geprägt. Die ursprüngliche Idee, dass deutsche Fachkräfte einen begrenzten Zeitraum ohne Erwerbsabsichten nach Afrika und anderswo gehen und dort ihr Wissen einbringen, ist seit Jahren in Vergessenheit geraten. Heute haben viele GIZ-Mitarbeiter das Entwicklungshelferdasein zum Beruf gemacht. Die teils hochqualifizierten Fachkräfte in den Entwicklungsländern bekommen deshalb keine Chance. Dabei wird seitens der Geberländer selbstverständlich alles getan, um die Entwicklungshilfe in einem möglichst guten Licht darzustellen. 

Weniger ist manchmal mehr

Das hässliche Wort „alternativlos“ bedeutet auch in der Entwicklungspolitik eine politische Kapitulation. Wenn etwas „alternativlos“ ist, ist Politik nicht mehr erforderlich. Dann wird nur noch verwaltet. Vertieftes Nachdenken ist dann nicht mehr gefragt. Wann immer jemand behauptet, es gäbe zu unserer Entwicklungspolitik keine Alternative, werde ich skeptisch und frage mich, wer von solch einer Darstellung profitiert. Wer eine vermeintlich alternativlose Politik propagiert, gefährdet sie: Wir können nicht mehr Argumente abwägen, vergleichen. Es werden Fragen und Debatten verhindert.

Kritiker der Entwicklungshilfe werden als hartherzig diskreditiert. Es gibt in der demokratischen Politik immer mehrere Möglichkeiten. Die reklamefreudige Entwicklungshilfe-Lobby befeuert mit Verve immer wieder die Diskussion, denn allein in Deutschland leben über 100.000 Menschen von der Entwicklungshilfe. Wer diese Art „Hilfe“ kritisch hinterfragt, setzt sich vehement der Kritik einer immer mächtiger werdenden Lobby aus. Weniger ist manchmal mehr. Für die Entwicklungspolitiker ein unerträglicher Gedanke. 

Warum wollen europäische Politiker nicht mit der Realität in Afrika konfrontiert werden? Sie wollen auch nicht deutlich zu verstehen geben, dass sie sehr wohl wissen, was gespielt wird. „Probleme in Afrika sind hausgemacht.“ (Kardinal Gilbert Anokye, Erzbischof von Kumasi/Ghana im Dom-Radio, 10.08.2019) 

Die afrikanischen Demokratien haben in der Regel keine Mechanismen entwickelt, ihre Repräsentanten wirksam zu kontrollieren. So kommt es zu massivem Diebstahl staatlicher Gelder und Ressourcen. Wenn man an den Stellen nachhakt, wo Phantasie und Realität nicht mehr deckungsgleich sind, und man die Wunschvorstellungen gezielt infrage stellt, dann ist keiner mehr interessiert. Unachtsame Hilfe oder die Tolerierung von Ungerechtigkeiten sind das Hauptproblem der Entwicklungshilfe. Die Gründe, weshalb junge Afrikaner wenig Vertrauen in die Zukunft, besonders in den Großstädten, haben und ihr Heimatland verlassen möchten, werden nicht ernsthaft untersucht.

Ein Mühlstein um den Hals

Die machtlosen Bevölkerungen fühlen sich von ihrer eigenen politischen Klasse und deren Führern verlassen und verraten. Afrikanische Gesellschaften agieren noch immer zu oft nach tribalistischen Prinzipien. Ökonomische, politische, soziale und andere Entscheidungen gründen sich auf familiären oder Klan-ähnlichen Verbindungen, das macht die afrikanischen Gesellschaften unflexibel. Solange sich die politische Klasse nicht reformiert, werden die Gründe für die empörend hohe Arbeitslosigkeit – trotz reichlichen Bodenschätzen in den meisten Staaten – bestehen bleiben. In vielen Ländern in Subsahara-Afrika haben undurchsichtige, sich ständig ändernde Bürokratien Tradition. Die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger müssten verstärkt werden, um zum Beispiel Bestechungen und Steuerhinterziehung zu verfolgen.

Mit den alten Regierungsriegen – die ihr Schäfchen längst ins Trockene gebracht haben – scheint es mir unrealistisch, auf einen Gesinnungswechsel zu hoffen. Die Polarisierung zwischen einer sehr kleinen und sehr vermögenden Schicht und den Armen schreitet fort. Die Ausbreitung von Demokratie und Bürgerrechten wäre auch für Afrika eine Quelle wirtschaftlichen Wohlstandes. Die Teilhabe möglichst vieler Menschen am politischen und wirtschaftlichen Leben könnten Anreize schaffen, Innovationen zu entwickeln und wirtschaftlich zu nutzen. Der technische Fortschritt könnte wie in China dadurch erreicht werden, dass durch das Kopieren reicherer Länder Entwicklungsschritte übersprungen werden können. 

Wenn wir Afrikanern wirklich helfen wollten, dann würden wir ihre Machthaber, die in der Regel nicht die Belange ihrer Bürger vertreten, nicht weiter unterstützen. Wir müssen uns eines Tages fragen lassen, warum wir wider besseres Wissen die korrupten alten Männer, die teils jahrzehntelang Macht und Kontrolle über die Bevölkerungen hatten, so lange unterstützt haben. Die Stützung afrikanischer Langzeitherrscher hängt uns wie ein Mühlstein am Hals.

„Als Entwicklungsförderung untauglich“

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder forderte in einem Interview mit der Bild am Sonntag am 5. Januar 2020 frische Kräfte in der Bundesregierung: "Wir sollten daher bis Mitte des Jahres das Regierungsteam verjüngen und erneuern. Denn es braucht Aufbruchstimmung." Markus Söder könnte sofort damit beginnen, unter anderem seinen seit 2013 glücklosen Entwicklungsminister Gerd Müller auszuwechseln. Auch wenn die Senioren-Union über den Vorstoß verärgert ist, werden vermutlich von Müller inhaltliche Zukunftsdebatten nicht mehr kommen. Seit Jahren behauptet BMZ-Minister Müller, dass kein Pfennig oder Cent der Entwicklungshilfe in dunklen Kanälen verschwindet. Er will unbequeme Fakten nicht hören. Das war nicht immer so. Der ehemalige BMZ-Minister Carl-Dieter Spranger schrieb mir am 28. Januar 2019:

Ihre kritischen Bemerkungen und Ihre Alternativen zur aktuellen Entwicklungspolitik gerade in Afrika kann ich nur in vollem Umfange zustimmen. In meinen mehr als 8 ¾ Jahren als Entwicklungsminister habe ich die gleichen Eindrücke gewonnen wie Sie. [Ich kann mich aus meiner Zeit in Benin gut erinnern, dass Spranger immer im Sinne des deutschen Steuerzahlers handelte und unsinnige Projekte, bei der Hilfe zur Selbsthilfe nicht der Schlüssel war, einstellen ließ.] Das Schlimmste, was man machen konnte, war, Geld für die Haushalte zur Verfügung zu stellen. Das Zweite waren Sachwerte, die geschenkt wurden und Bemühungen zum selbsterarbeiteten Eigenerwerb überflüssig machten. In aktuellen Notlagen ja – als Entwicklungsförderung untauglich.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Zwei Nachauflagen folgten 2019. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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U. Unger / 10.01.2020

Herr Seitz, Ihre Einlassungen bei Tichy über ungelernte Helfer in der EH und heute beleuchten die zentralen Probleme sinnvoller E-Hilfe. Der bekannte britische Tierfilmer Sie David Attenborough hat sich kürzlich in einem Interview speziell zum immensen Bevölkerungswachstum geäußert. Gebe ich wg. shitstorm Gefahr nicht wieder. Aus der Sicht der Wirtschaftswissenschaften sind Ihre Thesen stimmig und begründbar. Eigentlich sogar evident. Am meisten an der Entwicklungshilfe Politik und Ihrer Begründungen stört mich, dass so getan wird, als hätte Afrika andere Probleme, als der Rest der Welt. Es sind die gleichen vornehmlich Volkswirtschaftlichen Probleme, die jedes Land betreffen. Woanders deutlich besser gelöst, aber genauso nicht endgültig. Ihr Verweis auf China beinhaltet den einzig vernünftigen Expansionspfad, um eigenständig aufzuholen. Damit landen wir bei den Gefahren für die Geber, wobei ich nur eine zentrale nenne, nämlich im eigenen Gebiet die Fehler dieser Entwicklungspolitik gegenüber strukturschwachen Regionen zu wiederholen. D und EU steuern zunehmend auf gleichen Kurs. Die gestern beschriebene wunderbare Geldvernichtung von Herrn Wiedemann (Artikel gesten hier) zeigt die gleichen Probleme wie in Afrika auf deutsch. Die EU hat komplett den Verstand verloren. Es ist irre, wenn ein mittelmäßiger Schüler sich zum kostenlosen Nachhilfelehrer ernennt. Die Marktwirtschaft lehrt, dass Qualität kostet (zwangsläufig!). Hiermit bin ich zurück bei China und den inneren und eigenen Anstrengungen die erfolgreich sind.

Rainer Hanisch / 10.01.2020

Danke, Herr Seitz! Ich lese Ihre Beiträge zum Thema Afrika sehr gern. 1986 hatte ich persönliche Kontakte zu “Entwicklungshelfern” aus der DDR. Deren Schilderungen deckten sich im Wesentlichen mit Ihren Ansichten. So Zum Beispiel, dass das in D erbettelte Geld so gut wie nie dort ankommt, wo es helfen könnte. Auch “Brunnenbohren” ist nicht wirklich hilfreich. Statt dessen wird auch immer neue Hilfsgüter gesetzt. Sind sie da, werden sie hingeschunden. Pflege und Reparatur zum Beispiel von LKWs waren völlig unbekannt - wenn kaputt, jammern, neuer LKW kommt. Die blöden Deutschen bezahlen’s ja. Ich sehe das Problem “Hilfe” genau wie Sie: erst, wenn wirklich sinnvolle Projekte am Laufen sind, sollte es Unterstützung geben. Und, wie Menschen mit einer gewissen Intelligenz richtig meinen, Abwerben oder Integration ausländischer Fachkräfte führt in den Herkunftsländern zu noch mehr Armut und Verwahrlosung! “Seenotretter” sollten die “Flüchtlinge” dahin zurückbringen, wo sie herkommen! Werkzeug in die Hand und nun, baut auf! Ändert eure staatlichen Hierarchien, beseitigt das Clanwesen und die Korruption. Tut etwas! Und hört auf, euch gegenseitig zu bekriegen - das war auch bei den Indianern ein wesentlicher Grund für deren Untergang! Geld nach dem Gießkannenprinzip zu verstreuen, bringt gar nichts.  Vor allem, wenn nicht kontrolliert wird, wohin es versickert. Und das hat noch nie jemand getan und tut es auch heute nicht. Obwohl offensichtlich ist, dass die Unsummen keinerlei positive Veränderungen gebracht haben.

Yvonne Flückiger / 10.01.2020

Sehr guter und wahrer Artikel. Leider sieht es ja eher so aus, dass afrikanische Verhältnisse nach Europa importiert werden, mit Subventionen und Anreizen an die falschen Institutionen und Überregulationen und Erschwernissen für Produktionsbetriebe. Auch hier profitieren zunehmend nur noch (staatlich-geförderte) Eliten. Eine Afrikanisierung Europas? Ein neuer “marxistischer, grüner, klimaneutraler” Feudalismus? Die Entwicklung auf jeden Fall ist ungesund. Siehe Afrika. Lernen Menschen irgendwann irgend etwas aus der Geschichte oder aus Fehlern in andern Kontinenten? Es sieht nicht so aus. Selbstkritische Auseinandersetzung ist das Stichwort! Genau an dem mangelt es. Hüben und drüben.

Wilfried Cremer / 10.01.2020

Hilfe kann auch sinnvoll sein. Was spricht z.B. dagegen, an den unteren Stromschnellen des Kongo, des zweitwasserreichsten Flusses der Erde, endlich dieses projektierte Kraftwerk zu bauen, welches mehrere Staaten mit Strom versorgen könnte? (Und nebenbei Flussschleusen zu errichten?)

Peter Herrmann / 10.01.2020

Sehr geehrter Herr Seitz, danke für diesen Artikel, in dem Sie mutig auch einmal Ross und Reiter nennen. An zwei Punkten möchte ich Kritik üben. Der eine ist die Erwähnung von Steuern, jedoch ohne Erläuterung. Für ein Gemeinwesen wichtig, darf auf gar keinen Fall eine Kopie des westeuropäischen Plünderungssystem übertragen werden. Die Phantasie der Finanzfachleute in den politischen Delegationen sieht aber genau dies vor. Nur ein Beispiel: Die Mehrwertsteuer ist eine unfassbare Belastung für Kleinbetriebe, die über dieses System ständig unter Rechtfertigungsdruck stehen um nachzuweisen, dass sie nicht den Staat betrügen. Buchhaltung dient also nicht dem eigenen Überblick, sondern als Gegenbeweis bezüglich Vorwürfen. Sie schreiben: „Die Gründe, weshalb junge Afrikaner wenig Vertrauen in die Zukunft, besonders in den Großstädten, haben und ihr Heimatland verlassen möchten, werden nicht ernsthaft untersucht.“ Das ist vollkommen richtig. Setze ich diese Aussage in Bezug zu Ihrer These der notwendigen Industrialisierung, hier eine weitere kritische Anregung, die ich nur über Pauschalisierung grob skizzieren kann. Die afrikanische Mentalität mag keine industrielle Arbeitsweise. Es ist mehr ein Prinzip der Kooperative, der klein- und mittelständischen Firmenstruktur, der Manufaktur, die dem Bedarf entgegenkommt. Handwerk, freie Berufe, alle Facetten der Kreativwirtschaft. Ausser in den urbanen Ballungszentren wo es im Vergleich zur Größe winzige Ansätze von Kunst und Unterhaltung gibt, fehlt der kreative Moment, den die Religionen mit ihren Moscheen und Kirchen nicht bieten können. Kunst, Architektur und Handwerk sollten durch eigene Initiative von afrikanischen Ländern angeworben werden und diese Firmen müssen in den jeweiligen Ländern bessere Protektionen durch die diplomatischen Vertretungen ihrer Heimatländer bekommen. Nur so können Stadtentwicklung und Landplanung kompetent funktionieren. Gruß aus Togo

Steffen Schwarz / 10.01.2020

Nachtrag: Und von “uns” wird Kolonialismus übelster Sorte betrieben, die wenigen Fachkräfte von dort auch noch abzuwerben.

Steffen Schwarz / 10.01.2020

Alles richtig was der Autor schreibt. Natürlich wird bei der grundlegenden Einstellung der Bevölkerung dort auf absehbare Zeit keine Besserung der Verelendung eintreten.  Bis auf sehr wenige ist gar kein Bewußtsein dort verhanden, daß es nur bei -langristig durchgehaltener !- Eigeninitiative möglich ist seine eigene Situation zu verbessern. Man sieht dort eben junge kräftige Männer in Tee- oder Kaffestuben an der Straße sitzen, während sich der Müll meterhoch neben Ihnen stapelt. Schippen in die Hand und los geht es. Das neue Bewußstsein dauert min. 2 Generationen. Bis dahin ist die Bevökerrung um das doppelte gewachsen und jede Maßnahme ist wirkungslos. Ich habe keinerlei Hoffnung. PS Wer oder was ist Herr Müller.  ?

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