Peter Grimm / 03.04.2024 / 13:00 / Foto: Pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Wer darf Feindsender verbieten?

Wenn Israel das Gleiche tut wie EU und deutsche Bundesregierung zwei Jahre zuvor, dann ist selbige Bundesregierung plötzlich besorgt. Bei Doppelstandards ist Deutschland immer noch führend.

Gestern meldeten etliche deutsche Leitmedien, wie spiegel.de, Folgendes:

„Die Bundesregierung hat das sogenannte Al-Jazeera-Gesetz der israelischen Regierung kritisiert, das eine Schließung ausländischer TV-Sender ermöglicht, falls diese als Risiko für die Staatssicherheit eingestuft werden sollten. „Das neue israelische Mediengesetz nehmen wir mit Sorge zur Kenntnis", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. Er fügte an: „Eine freie und vielfältige Presselandschaft ist Grundpfeiler einer liberalen Demokratie." Die israelische Regierung wirft dem TV-Sender Al Jazeera vor, voreingenommen zu berichten und hat dessen Schließung im Land angekündigt."

Ja, mag sich der geneigte Leser denken, das stimmt. Eine freie und vielfältige Presselandschaft, also praktizierte Pressefreiheit, ist ein Grundpfeiler einer liberalen Demokratie. Und in einer freiheitlichen Gesellschaft dürfen auch die, die sie im Grunde verachten, diese Freiheit genießen. Das galt auch in der Bundesrepublik lange Jahre als so selbstverständlich, dass es keiner Erwähnung bedurfte.

Die SED finanzierte dort bis 1989 beispielsweise Verlage und Zeitungen, die die eigene Propaganda im Westen verbreiteten. Der bundesdeutsche Staat sah sich zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten vor dem Mauerfall hinreichend demokratisch gefestigt und gereift, um nicht mit Verboten einer solchen Praxis zu reagieren. Sollten die Kommunisten doch im freien Westen ihre Propaganda verbreiten, sie hatte angesichts der erlebbaren Wirklichkeit und einer vielfältigen glaubwürdigeren Medienlandschaft kaum eine Chance, wirkmächtig zu werden. In einem freien Land haben grundsätzlich auch die geistigen Irrlichter aller Couleur die Freiheit, Irrsinn zu verbreiten. Dass auch die Medien fremder Mächte diese Freiheit für Propagandazwecke nutzen, ist nicht schön, aber ein Preis dieser Freiheit. Verbote und Zensur schränken sie ein, deshalb muss sich eine freiheitliche Gesellschaft gegen die Macht autoritärer Propaganda anderweitig immunisieren.

Wie geht man mit einer „Propagandakanone“ um?

Bei einer deutschen Regierung, die selbst in diesem Sinne agiert, wäre es vollkommen legitim, die israelischen Kollegen wegen ihres Vorgehens gegen Al Jazeera zu kritisieren. Auch wenn eher israelkritische Medien, wie die taz, den Sender deutlich als „Propagandakanone" der Hamas bezeichnen.

Israel befindet sich im Krieg mit der Hamas, den diese mit einem Massenmord an Zivilisten in Israel begonnen hat. Trotzdem kann man natürlich auch im Kriegsfall fragen, ob es einer freiheitlichen Demokratie angemessen ist, Feindsender zu verbieten. Wenn allerdings die deutsche Bundesregierung oder die EU diese Frage stellen, dann demonstrieren sie nur wieder einmal ihre Praxis der Doppelstandards. Denn nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatte die EU und damit auch die deutsche Regierung vor zwei Jahren den russischen Propaganda-Kanal Russia Today (RT) verboten.

Es gab damals auch Kritik daran, wie beispielsweise hier von Christian Rath, ebenfalls in der taz:

„Hier werden präventiv Sender stillgelegt, statt wie üblich auf die Kraft des Diskurses zu vertrauen und Verbote auf konkrete Straftaten und Verletzungen von Persönlichkeitsrechten zu beschränken.

Dies spricht weder für Selbstvertrauen in die demokratische Debatte freier Gesellschaften, noch ist ein klarer Unterschied zum russischen Vor­gehen gegen westliche Sender erkennbar. Die EU wird durch solche autoritären Maßnahmen nicht gestärkt, sondern geschwächt."

So ähnlich sehe ich das auch. Aber die EU, die Bundesregierung und jetzt auch die israelische Regierung vertrauen angesichts eines Krieges nicht mehr auf die Kraft des Diskurses. Doch wenn die deutsche Bundesregierung selbiges nun der israelischen Regierung vorwirft, demonstriert sie ihre Doppelstandards wieder einmal in einer Dreistigkeit, die ich in höflichen Worten zu kommentieren leider nicht in der Lage bin.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

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T. Schmidt-Eichhorn / 03.04.2024

Wie vereinbart sich das Verbot von Russia Today eigentlich mit der Infomationsfreiheit nach Art. 11 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta ? Dort heißt es: “Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.” Ist jenes Verbot kein behördlicher Eingriff in die Freiheit, Informationen ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen ? Darauf ob die Informationen zutreffend sind, stellt Art. 11 Abs. 1 der Charta doch nicht ab, ganz abgesehen davon, dass selbst Russia Today zuweilen auch zutreffende Meldungen verbreitet haben dürfte.

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