In der letzten Woche besuchte Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das einstige „Deutsch-Südwest“. Im Gepäck hatte sie eine Lederpeitsche und die Familienbibel von Hendrik Witbooi (um 1830 - 1905): geraubtes Kulturgut aus der Kolonialzeit. Mit der Knute soll der Stammesführer der Nama in seiner Jugend die Rinder gehütet haben. Die Heilige Schrift, eingeführt aus Europa, war ihm von den Missionaren in die Hand gedrückt worden.
Mit ihr bekehrten sie den Afrikaner, indem sie ihn den Göttern seiner Vorfahren abspenstig machten. Nach dieser geistigen Kolonisation kämpfte Witbooi zunächst auf Seiten der Deutschen gegen die Hereros, bis er wieder zu seinen Landsleuten überlief, um schließlich beim Aufstand der Nama und Herero umzukommen. Etwa 70.000 Eingeborene sind den Masskern der Kolonialherren damals, in den Jahren von 1904 bis 1908, zum Opfer gefallen, niedergemetzelt auch im Namen des Christentums.
Ob sich Theresia Bauer dieser Vorgeschichte bewusst war, als sie Witboois Bibel als „afrikanisches Kulturgut“ restituierte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall gab sie sich laut dpa „zutiefst berührt“. Die Peinlichkeit wurde zum Staatsakt hochgejubelt. Mit der scheinheilig zelebrierten Rückgabe dessen, was unsere Vorfahren ehedem hatten mitgehen lassen, wiegte sich die Ministerin im Hochgefühl der besseren Moral. „Wir können“, sagte sie, ohne rot werden, „Geschichte nicht ungeschehen machen, aber wir stellen uns unserer Verantwortung“.
Die Ministerin schwimmt im Strom der Zeit
Und was, um alles in der Welt, wäre mehr zu erwarten, zumal die Ministerin mit der Schmierenkomödie, die sie in Namibia aufführte, auch nur im Strom der Zeit schwamm. Seit längerem schon mehren sich Stimmen, die eine Rückführung der Raubkunst aus der Epoche des Kolonialismus verlangen. Um sich ein gutes Gewissen zu machen und mit ihrem Verantwortungsgefühl politisch zu punkten, fordern sie die Ausräumung der deutschen Völkerkunde-Museen.
Von der Sache, um die es vorgeblich geht, haben sie keinen blassen Schimmer. Die Geschichte, von der sie faseln, muss den nachgeborenen Tugendbolden ein Buch mit sieben Siegeln sein. Wäre es anders, wüssten sie, dass ein Großteil des kulturellen Welterbes verloren wäre, wären seine Zeugnisse nicht in Europa erhalten worden.
Gab es doch während der grausamen Kolonialzeit nicht bloß „Völkerschauen“, in denen die Weißen dem staunenden Publikum verschleppte Afrikaner oder Indianer vorführten, als wären sie Tiere im Zoo. Vielmehr wurden zugleich großartige Museen gegründet, in England, Frankreich sowie in Deutschland. Schon die aufwendige Architektur der Häuser verriet die Wertschätzung dessen, was man darin aus fernen Ländern zusammentrug. Heute sind es Archive der Weltkultur. Sie erzählen die Geschichte ganzer Kontinente.
Ihre Entstehung verdanken sie nicht der Gier der Eroberer, sondern dem Geist einer Aufklärung, deren klügste Köpfe, Männer wie Alexander von Humboldt, die Welt als Ganzes begreifen wollten. Kein Geringerer als Goethe prägte den Begriff der Weltliteratur. Es waren nicht zuletzt die Deutschen, die Anfang des 19. Jahrhunderts begannen, als Historiker über den Tellerrand der eigenen Kultur zu blicken, sprachforschend zunächst, und Objekte sammelnd danach.
Bewahrt wurde nur, was gebraucht wurde
Ihre wissenschaftliche Neugier und ihr Geschichtsbewusstsein, das Wissen um die fortdauernde Bedeutung der materieller Hinterlassenschaft früherer Epochen, stifteten dazu an, nach Europa zu holen, was die ausgebeuteten Naturvölker meist nur solange aufbewahrten, solange es sich gebrauchen ließ, abgesehen von Kultgegenständen, die über Generationen hin weitergereicht wurden.
Etwas praktisch nicht Brauchbares lediglich als historisches Zeugnis aufzuheben, untersagte in der Regel schon die Existenznot. Erst der wachsende Wohlstand erlaubte den Aufbau musealer Einrichtungen. Dass diese Entwicklung zunehmend durch den Kolonialismus befeuert wurde, mag man beklagen, ein Grund, jetzt nachträglich Hand an die Völkerkunde-Museen zu legen, ist das aber keineswegs. Auf eine derart aberwitzige Idee kann nur verfallen, wer auf dem Bildungsniveau der moralisierenden Klippschule stehengeblieben ist.
Weil sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt, muss auch jeder Versuch einer Rückabwicklung der Geschichte scheitern. Soweit muss man Theresia Bauer zustimmen. Ebenso wenig aber können wir uns über die Vergangenheit erheben, indem wir zerschlagen, was sie hinterlassen hat. Mit der politisch intendierten Plünderung der Völkerkunde-Museen wäre niemandem geholfen, nicht einmal den Afrikanern. Wer dieser Barbarei das Wort redet, ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig. Und schon gar nicht stellt er sich „unserer Verantwortung“.
PS. Oder könnte es sein, dass das Theater um die Rückgabe geraubter Kulturgüter nur materiellen Ansprüchen vorbeugen soll? Die Bundesregierung hat Forderungen nach materieller "Wiedergutmachung" mehrmals zurückgewiesen. Verschenken wir lieber Kulturgut, Peitsche und Bibel, als dass wir zahlen? Dann freilich hätte sich über die Zeiten wenig geändert.