Henryk M. Broder / 28.09.2017 / 16:00 / 15 / Seite ausdrucken

Wenn der Gutsherr zum Gesinde spricht

Ganz am Ende des Wahlkampfs und kurz vor der Öffnung der Wahllokale meldete sich auch noch der deutsche Bundespräsident zu Wort. Das Wahlrecht, verkündete er ex cathedra, sei „in einer Demokratie vornehmste Bürgerpflicht“, deswegen sollten die Bürger und Bürgerinnen zur Wahl gehen.

So redet ein Gutsherr zum Gesinde, das alle paar Jahre ein Fest feiern darf. Es gibt keine Wahlpflicht in Deutschland, nur ein Wahlrecht. Wie die Religionsfreiheit das Recht einschließt, keiner Religion anzugehören, gehört zum Wahlrecht auch das Recht auf Wahlenthaltung,  egal aus welchen Gründen. Die „vornehmste“ – und im Grunde einzige - Pflicht der Bürger ist es, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Man könnte allenfalls noch hinzufügen: Die Steuern zu zahlen und innerorts nicht schneller als erlaubt zu fahren. Alles Übrige ist Ansichts- und Geschmackssache.

Wer nicht wählen gehe, so Steinmeier, lasse andere „über die Zukunft unseres Landes“ entscheiden – etwa darüber, „wie es weitergeht bei Arbeit und Wirtschaft, Bildung und Gesundheit, Pflege und Alterssicherung, in der Flüchtlingspolitik und bei der Integration, bei innerer und äußerer Sicherheit, bei Klima und Umwelt“.

Am Volk vorbei

Was unser Bundespräsident unter den Tisch fallen ließ: Zu den entscheidenden Fragen der letzten Legislaturperiode - Energiewende, Flüchtlingspolitik und Griechenlandrettung - ist das Volk nicht gefragt worden, „andere“ haben Entscheidungen getroffen, mit denen das Volk mitnichten einverstanden war.

Und noch etwas hat der deutsche Bundespräsident bei der Auflistung der relevanten Themen vergessen: Ob es für eine Demokratie nicht besser wäre, den Bundespräsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen, statt von einer „Bundesversammlung“, die zur Hälfte aus Wahlfrauen und Männern besteht, die von den Parteien für diesen Einmaljob nominiert werden, ohne jede demokratische Legitimation, als Dank für ihre öffentlich bekundeten Sympathien zu der einen oder anderen Partei, darunter Sportler, Schauspieler und „Promis“ aller Klassen.

Die Wahlbeteiligung lag in diesem Jahr bei 75% und damit um 3,5% höher als 2013. Dank der „Alternative für Deutschland“, die Nichtwähler für sich gewinnen konnte. Aber so hat es der Bundespräsident bestimmt nicht gemeint, als er „gehet wählen!“ rief.

Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche

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Leserpost

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Bernd Kertzinger / 29.09.2017

Der Islam gehört zu Deutschland!?...die AfD jetzt aber auch!!!

peter luetgendorf / 29.09.2017

Sehr geehrter Herr Broder, ich bin noch niemals zur Bundesversammlung eingeladen worden, bin aber immer meiner Wahlverpflichtung nachgekommen. Der Kinder Flohmarkt am Wahllokal war auch sehr schön. Gruß Peter Luetgendorf

Walter Ranft / 29.09.2017

“So einfach ist auf dieser Welt - die Wahrheit wieder hergestellt.” (Erich Kästner)

J. Schuster / 28.09.2017

Der Versorgungsposten Bundespräsident kann ersatzlos gestrichen werden !!!

Martin Schott / 28.09.2017

Wo immer die AfD seit 2013 zu Wahlen angetreten ist, stieg die Wahlbeteiligung im Vergleich zu den vorherigen Wahlgängen. Der neuen Partei ist es also gelungen, den allenthalben beklagten Trend zu immer niedrigerer Wahlbeteiligung bei gleichzeitig wachsender “Politikverdrossenheit” in kürzester Zeit umzukehren. Denn die AfD rekrutiert sowohl ihre Wähler, als auch ihre Gegner u.a. aus dem Lager der Nichtwähler. Doch diese Leistung ist Politik und Presse plötzlich keine Zeile mehr wert.

Thomas Nuszkowski / 28.09.2017

Mehr gibt es zu Steinmeier nicht zu sagen, als: Tschuldigung, wenn’s wehtut

Christian Herms / 28.09.2017

Na toll! Dank dieses Artikels bekomme ich das Wort “Horrorclowns” nicht mehr aus dem Kopf!

Wolfgang Richter / 28.09.2017

Dann sollte sich der Herr Präses einen gewissen Herrn Altmeier mal zur Brust nehmen, der vor der Wahl verkündete, bevor AfD gewählt werde, solle der potentielle Wähler dann doch besser zu Hause bleiben. Wählen also nur, wenn es auch die Richtigen sind, die von der Herrschaft vorgegeben werden? Ein recht Ich-bezogenes Demokratieverständnis.

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