Chaim Noll / 16.09.2019 / 12:00 / Foto: Friedrich Magnussen / 129 / Seite ausdrucken

Was Lothar-Günther Buchheim von Herbert Grönemeyer hielt

Als wir zu Beginn der achtziger Jahre als junge Leute in den Westen kamen, fand ich unter den Telefonnummern, die meine Schwiegermutter auf einen Zettel geschrieben hatte, auch die von Lothar-Günther Buchheim. „Er kann euch vielleicht helfen“, sagte sie, „mit Aufträgen und Verbindungen. Er ist ein alter Freund von uns“. Buchheim war damals ein berühmter Mann, nicht nur wegen seiner Kunstsammlungen, vor allem wegen seines internationalen Bestsellers Das Boot, eines gewaltigen Romans über den U-Boot-Krieg, sechshundert Seiten dick, geschrieben aus der Sicht eines jungen Kriegsberichterstatters, der auf deutschen U-Booten bei lebensgefährlichen Einsätzen mitgefahren war wie Buchheim selbst.

Wir riefen Buchheim in seinem Haus in Feldafing bei München an. Er las meine ersten Bücher und verhalf mir zu Aufträgen beim Bayerischen Rundfunk. Später, als ich Ärger wegen meines Romans Berliner Scharade bekam, in dem die Einflussnahme der DDR-Staatssicherheit auf westdeutsche Politiker thematisiert wurde, und deshalb aus dem Programm meines Verlages flog, vermittelte mir Buchheim einen neuen. Wir besuchten ihn öfter in Feldafing, oder er uns, wenn er in Berlin zu tun hatte. Wir wurden gute Freunde, trotz der drei Jahrzehnte Altersunterschied.

Nach der Wende versuchte ich, seine Sammlung expressionistischer Kunst, die heute auf etwa hundert Millionen Euro geschätzt wird, an die Berliner Nationalgalerie zu vermitteln, was sich wegen bürokratischer Hindernisse zerschlug – Berlin war schon damals ein Fall von mangelnder Flexibilität. In Bernried in Bayern wurde dann ein eigenes Museum für Buchheim gebaut. Aber das war später. Um die Zeit, als wir von Ost- nach West-Berlin emigrierten, war er als Autor berühmt, sein Roman Das Boot eben verfilmt worden; er lief im Kino und im Fernsehen, und er wurde der erfolgreichste ausländische Film in den USA.

 „Der Film hatte großen internationalen Erfolg“, lässt uns Wikipedia wissen, „er war für sechs Oscars, je einen Golden Globe und BAFTA Award nominiert, zudem gewann er zahlreiche deutsche Filmpreise. Er war einer der Grundsteine für den späteren Wechsel von Regisseur Petersen nach Hollywood, und auch für viele der Schauspieler bedeutete der Film einen Karriereschub bzw. den Durchbruch im Filmgeschäft.“

Die Besetzung der Hauptrolle verärgerte Buchheim nachhaltig

Üblicherweise hat der Autor des Buches, nachdem er die Rechte an eine Filmgesellschaft verkauft hat, keinen Einfluss auf die Verarbeitung seines Stoffes oder die Besetzung der Rollen. Er kann nicht verhindern, dass sein Stoff in der Verfilmung verfälscht und verdorben wird. Buchheim wurde mehrmals zum Drehort eingeladen, er besichtigte die im Maßstab eins zu eins gebaute U-Boot-Attrappe, wurde um Rat gebeten und war im Allgemeinen mit der Umsetzung seiner Geschichte zufrieden. Nur eines verärgerte ihn nachhaltig: die Besetzung der Hauptrolle, des jungen Kriegsberichterstatters, seiner autobiographischen Figur, mit dem damals ganz unbekannten Schauspieler Herbert Grönemeyer.

Gegen Grönemeyer fühlte er von Anfang an eine starke Aversion. „Er ist genau der deutsche Soldatentyp, den ich nicht ausstehen kann“, murrte er, als wir eines Tages darüber sprachen. „Dieser Grönemeyer sieht aus wie ein Nazi. Meine Figur ist ganz anders. Ein Intellektueller, der eigentlich dagegen ist... Und sie nehmen da so einen Typ wie aus der NS-Propaganda-Broschüre. Dadurch wurde alles verhunzt...“ Sein Ärger war unverhohlen wie immer. Was er sagte, möglicherweise ungerecht. Buchheim war ein sehr emotionaler Mensch, nie um starke Worte verlegen, ein Choleriker. Seine Auftritte waren berüchtigt: Im Kunsthandel, in Verlagen, Redaktionen und Museen wurde er „der Polterer“ genannt. Mehr als Poltern konnte er diesmal nicht: Herbert Grönemeyer wurde Hauptdarsteller des Films, damit begann seine große Karriere.

Als ich das Video sah von seinem Auftritt in Wien, musste ich an Buchheim denken. An die Ohnmacht eines Schriftstellers, der unwillentlich eine Kreatur entfesselt, vielleicht ein Monster, und sie nicht mehr zurückrufen kann. Grönemeyer grölt in den johlenden Saal: „Dann liegt es an uns, zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat.“ Wirklich, er verwendet das Wort „diktieren“, das Verb zum Substativ „Diktatur“. Er droht offen mit dieser Herrschaftsform. Noch ist es ein Fall von Größenwahn. Ein übergeschnappter Schauspieler... Himmel, noch eine Parallele. Sein Auftritt war ein Déjà-vu, Erinnerung an Reden im Berliner Sportpalast, die Brüllstimme des Anführers, umtost vom Gejohle der Gefolgschaft. Die kommende Diktatur soll eine „linke“ sein, legitimiert durch den „Kampf gegen rechts“, von demokratischen Parteien herbeigeführt, „politisch korrekt“. Der Außenminister, ein Sozialdemokrat, hat den ungeheuerlichen Auftritt sanktioniert. War auch das nicht schon einmal so? Deutsche Sozialdemokraten verrieten die Demokratie...

Ich habe mich nie für Grönemeyer interessiert. Doch man entging ihm nicht, sein Stern stieg auf am deutschen Himmel. Sein nichtssagendes Gesicht starrte von Illustrierten-Covers, seine dreisten Gesänge erreichten das Ohr in Wartehallen, Supermärkten: „Kinder an die Macht...“ Dabei war er bloß eine Fehlbesetzung des Regisseurs Petersen. Eine untergeschobene Kreation meines Freundes Buchheim. Eine entfesselte Kreatur. Der inkarnierte Größenwahn. Das grölende Nichts.

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Leserpost

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Michael Stoll / 16.09.2019

Man sollte Herbert dankbar sein, weil er offen ausspricht, was viele Menschen nicht für möglich halten: In diesem Land streben wieder Leute an die Macht, die anderen “diktieren” wollen, “wie eine Gesellschaft auszusehen hat“.

E. Grüning / 16.09.2019

Herr Grönemeyer hat das Glück, dass seine wütenden Worte gegen die politisch korrekt definierte rechte Seite geschleudert wurden. Gegen wirkliche Neonazis und Rechtsradikale hätte er sich schon vor Jahren seine Lunge heraus schreien können! Sein Gebrüll richtet sich gegen die immer noch aufmuckenden Bürger vor allem im Osten und er benutzt die gleichen simplen, verlogenen Formeln, mit denen die Regierungsparteien glauben, die begründete Kritik stigmatisieren zu können! Alles Nazi, oder was? Zum Glück haben Künstler oder sich für wichtig haltende Menschen nicht die Möglichkeit, diktatorisch im Sinne der herrschenden Regierung “durchzugreifen”! Selbst ein harmloserer Text, ein Bekenntnis vielleicht zu Heimat und Meinungsfreiheit, aber in dieser Art und Weise und mit dem euphorischen Anhängergebrüll in der Echokammer, hätte mindestens zu einer Verurteilung durch alle Bundestagsfraktionen hindurch, Gott bewahre zu vielen reißerischen Talkshows und zum nächsten Spiegelmagazin mit der Frage: “Deutschland vor der (Grönemeyer-) Diktatur”” geführt! Wenn er ein paar Jahre älter und hoffentlich weiser geworden ist, wird er sich vielleicht auch unwohl fühlen beim Betrachten dieses Videos! Anstand und Meinungstoleranz gibt man auch bei einem Konzert nicht an der Garderobe ab.

Wolfgang Lang / 16.09.2019

Der Herbert, ein grosser Heuchler vor dem Herrn. Aus dem Nichts durch glueckliche Zufaelle aufgestiegen, wird er einst wieder ins Nichts fallen.

Markus Hahn / 16.09.2019

Der Videoauftritt von Herbert in Wien ist jetzt schon Legende. Dazu fällt mir (einmal mehr) der Spruch von David Horowitz ein: “Inside Every Progressive Is A Totalitarian Screaming To Get Out”

Belo Zibé / 16.09.2019

Ich hatte schon zu Teenagerzeiten eine unerklärliche Abneigung gegen Udo Lindenberg, Konstantin Wecker und eben Herbert Grönemeyer. Durch meine Inhalt-Audio-Schranke gelangte nichts von ihnen in meine LP/CD Sammlung.Wäre dem so, Grönemeyer stünde heute auf den Flohmarkt wartend im Keller. Aktuell möchte ich sagen: So klingt’s , wenn der Wecker schellt!

Ivan de Grisogono / 16.09.2019

Wunderbar gesagt, wir sahen ein Deja-vu, nicht einer Fehlbesetzung sondern einer verdorbener und irren Gesellschaft die Europa Angst machen muß! Mit linken faschistoiden Händen, wie in einem Puppenteater, werden die Strippen gezogen, ein Angriff auf Demokratie und Freiheit findet vor unseren Augen statt, die Masse schweigt ! Wo sind die Denker, die erfahrenen Eliten, Wissenschaftler, Professoren, Konzernlenker, haben sich alle schon für ein Paar Groschen aufgegeben? Und die unanständigen Mainstream- Medien reden über AfD, Höcke und alles aber vermeiden es sich mit einem Skandal auseinander zu setzen. Deutschland im Untergang!

Robert Schleif / 16.09.2019

Auf die Idee, in den besseren Teil Deutschlands (die DDR) überzusiedeln und dort tatkräftig beim Aufbau des Sozialismus zu helfen, ist Gröly bei allem Linkssein damals nicht gekommen. Es schwimmt sich freilich besser als pseudolinkes moralisches Fettauge in der realkapitalistischen Wohlstandssuppe.

Okko tom Brok / 16.09.2019

Grönemeyer hatte tatsächlich immer etwas von „Gröhlemeyer“, wie oft gespottet wird. Obwohl seine gesanglichen Fähigkeiten also im Grunde eher bescheiden waren, hatte seine schlecht geölte Stimme dennoch einen gewissen Unterhaltungs-, auf jeden Fall aber einen hohen Wiedererkennungswert, und so stellte Herbert Grönemeyer in einem dezidiert an Mittelmäßigkeit und Konformismus ausgerichteten Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik wohl einfach insgesamt eine passende Identifikationsfigur dar. Aber wie bei jedem Techtelmechtel mit dem Konformismus: Er fordert leider doch noch seinen fälligen Tribut - die Gesellschaftsordnung wird nämlich ab irgendeinem Punkt (d.h. jetzt) „diktiert“. Das für alle, die es bislang (wie ich) nicht wussten… (P.S. Gehe ich außerdem richtig in der Annahme, dass Grönemeyers „rhetorischer Fehlgriff“ natürlich kein kritisches Medienecho, geschweige denn eine Unwort-Nominierung zur Folge haben wird? Er wird - anders als der „Fiesling“ Tönnies - selbstverständlich auch keine Ämter ruhen lassen, Ehrungen zurückgeben oder Ehrenbürgerschaften abtreten müssen, oder? You gotta love it.)

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