Gérard Bökenkamp, Gastautor / 25.10.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 39 / Seite ausdrucken

Was die Briten wirklich ruiniert

Im Jahr 2020 ist die britische Wirtschaft wegen des Corona-Lockdowns um fast 10 Prozent eingebrochen. Gemessen an den Folgen des Corona-Lockdowns, war der Brexit für ein Schnäppchen zu haben. Und dann ist da noch die grüne Energiepolitik.

Die erste Reaktion der Presse auf den Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss war so reflexartig wie vorhersehbar. Das erste, was den geneigten politischen Kommentatoren hierzulande einfällt, sobald im Vereinigten Königreich Probleme auftreten, ist der Brexit. Dahinter steckt der Wunsch als Vater des Gedankens, dass den Briten dafür, dass sie das Friedens- und Wohlstandsprojekt EU nicht zu würdigen wussten, nun die gerechte Strafe widerfahren möge. Der Vorteil, über ein gefestigtes Ressentiment zu verfügen, dass die Erklärung für eine Katastrophe schnell bei der Hand ist und man sich das Studium von Wirtschaftszahlen sparen kann.

Die negativen Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute aus dem Jahr 2016 nahmen an, dass die britische Wirtschaft im Jahr 2030 um 2,7 Prozent schwächer wäre als ohne Brexit. Das heißt, über 14 Jahre verteilt eine Abschwächung des Wachstums, die das in der Summe ergeben würde. Das ist ein ziemlich kleiner Effekt, was darauf zurückzuführen ist, dass in einer globalisierten Welt unter den Regeln der Welthandelsorganisation WTO die Wirkung von Binnenmarkt und Handelsverträgen begrenzt ist und sich im Bereich hinter dem Komma bewegt. China und die USA sind zum Beispiel kein Teil des EU-Binnenmarkes und hatten trotzdem kein Problem mit Deutschland Handel zu treiben. Gemessen an den großen Effekten – den Corona-Lockdowns, der Energiekrise und der Inflation –, sind die Auswirkungen des Brexit statistisch kaum erfassbar.

Im Jahr 2020 ist die britische Wirtschaft um fast 10 Prozent eingebrochen. Wegen des Brexit? Nein, wegen des Corona-Lockdowns. Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2008, die das Vereinigte Königreich wegen seiner starken Abhängigkeit vom Finanzsektor besonders stark getroffen hat, brach die Wirtschaft um weniger als 5 Prozent ein. Das heißt, die Corona-Maßnahmen haben die britische Wirtschaft so stark getroffen wie zwei Finanzkrisen. Im Vergleich dazu ist die Wirtschaft in Schweden, das solche Lockdowns unterlassen hat, um weniger als 3 Prozent zurückgegangen. Im Zuge der Coronakrise stieg die Staatsverschuldung des Vereinigten Königreichs gemessen am BIP von 82 auf 94 Prozent an. Gemessen an den Folgen des Corona-Lockdowns, war der Brexit für ein Schnäppchen zu haben.

Der britische „Doppel-Wumms“

Die britische Wirtschaft hatte sich von diesem Schock noch nicht erholt, als gleich der nächste Schlag das Inselkönigreich mit voller Wucht erwischte: Die Explosion des Gaspreises. Der wesentliche Grund für die verzweifelte Lage der britischen Wirtschaft ist nicht der Brexit, sondern der Umstand, dass die Briten auf dem Weg zur grünen Energiewende heute schon da sind, wo Deutschland erst noch hinwollte. Als Insel setzte das Vereinigte Königreich vor allem auf Windräder und erneuerbare Energien. 37 Prozent der Nettostromerzeugung kommen aus Wind, Biomasse und Solarenergie. Wie hierzulande können erneuerbare Energien aber nicht die Grundlast abdecken. Wie in Deutschland sollte das Erdgas das leisten und die Kohle ersetzen. Schlimm für die Briten: Sie sind dabei schon viel weiter gekommen als die Deutschen. Während in Deutschland immer noch Kohle- und Braunkohle einen festen Teil des Energiemixes bieten, kommen dort nur noch 1,9 Prozent des Stroms aus Kohle, 39 Prozent aus Erdgas.

Liz Truss, die in Deutschland als neoliberaler Gottseibeiuns firmiert, stand vor Problemen, die wir auch hierzulande kennen. Die Unternehmen und Privathaushalte ächzen unter der Last steigender Energiepreise. Die Reaktion gleicht der in Deutschland. Die 45-Tage-Premierministerin plante, die Energiepreise einzufrieren und die Kosten für Strom und Heizen auf 2.500 Euro pro Haushalt festzuschreiben und die Unternehmen zu entlasten. Dafür wollte die britische Regierung 150 Milliarden Euro in die Hand nehmen. In Deutschland läuft das unter dem urwüchsigen Namen „Doppel-Wumms“, der nur schwer ins Englische zu übersetzen ist. Bezieht man die unterschiedliche Bevölkerungsgröße mit ein, bewegen wir uns in Deutschland mit 200 Milliarden in einer ähnlichen Größenordnung.

Truss wird oft mit Thatcher verglichen. Der Vergleich ist oberflächlich und stimmt nicht. Margaret Thatcher verordnete dem Land eine harte Sparpolitik, kürzte öffentliche Ausgaben und erhöhte sogar die Steuern, um den Haushalt zu sanieren. Die Staatsverschuldung ging von 45 Prozent des BIP auf 27 Prozent zurück. Erst in ihrer zweiten Regierungszeit nach 1983 brachte Thatchers Finanzminister Nigel Lawson eine große Steuerreform auf den Weg. In Deutschland lief es im Übrigen ähnlich. In der ersten Regierungszeit von Helmut Kohl sanierte Bundesfinanzminister Stoltenberg den Haushalt und auf dieser Basis brachte die Regierung in der zweiten Amtszeit eine große Steuerreform auf den Weg. Diese Politik aus Haushaltsdisziplin und schrittweiser Entlastung nannte man damals „symmetrische Finanzpolitik“.

Wir befinden uns in einem Teufelskreis

Liz Truss lag ganz auf der Linie der Geld- und Finanzpolitik, dass Staatsschulden und Gelddrucken zu dauerhaftem Wohlstand führen können. Der Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Konservativen besteht hier lediglich darin, dass die einen das Geld mit Konjunkturprogrammen und die anderen mit Steuersenkungen verteilen wollen. Eine ganze Generation staatsgläubiger Ökonomen hat die Politik Glauben gemacht, der Staat könnte sich unbegrenzt verschulden und im Notfall die Druckerpresse eingreifen. Genau das funktioniert aber nicht mehr. Warum? Wenn Sie einen Vermögensberater haben, der ihnen bei zweistelligen Inflationsraten rät, Anleihen für 1 Prozent Zinsen zu kaufen, sollten sie sich Gedanken darüber machen, ob ihr Geld noch in den richtigen Händen ist. Wir befinden uns in einem Teufelskreis. Die hohe Inflationserwartung treibt die Forderung nach höheren Zinsen. Das erschwert es den Staaten ihre Staatsanleihen zu platzieren. Greifen die Zentralbanken ein und kaufen selbst die Staatsanleihen, erhöht das die Inflationserwartung und beschleunigt die Flucht aus fest verzinsten Wertpapieren.

Das heißt, mit der Truss-Krise im Vereinigten Königreich tritt die Weltwirtschaft in eine neue Phase ein. In der letzten Phase seit der Finanzkrise 2008, die fast eineinhalb Jahrzehnte gedauert hat, haben sich die westlichen Industriestaaten durch die Notenpresse finanziert und einen großen Ballon öffentlicher Ausgaben für Migration, Klima und Corona geschaffen. Alle westlichen Staaten finanzieren heute Staatsapparate, die zu groß sind, Versorgungssysteme, die sie sich nicht mehr leisten können, und verbrennen ihr Geld in aberwitzigen, ideologisch motivierten Großprojekten, deren Gigantomanie nur noch von der theatralischen Rhetorik zu ihrer Rechtfertigung überboten wird. Bei unseren britischen Nachbarn endete diese Phase nun mit einer glücklosen Premierministerin und in Deutschland mit einem Doppel-Wumms.

Foto: Pixabay

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Peter Zinga / 25.10.2022

“erneuerbare Energien aber nicht die Grundlast abdecken.”  Das haben sie vollkommen Recht, weil ES KEINE ERNEUERBARE ENERGIE GIBT!!

jan blank / 25.10.2022

Der feste Wille zum “social engineering” ist weltweit und ungebrochen. Euro , Green Deal, Migrationspakt, CBDC sind die stattlichen Ergebnisse der Plattformen der anmaßenden Weltverbesserer aus EU , WEF, NGO`s.  Abseits des zuckersüßen semantischen Schaums könnte einen echten Ingenieur da wirklich die Wut packen. Wenn der sich nämlich in der Traglastenberechnung von Spannbetonbrücken vertut, gehts auch schon mal in den Knast. Kein Wunder, dass heute alle was mit Medien und Menschen machen wollen. Der Mut, diese beschützte Werkstatt verlassen zu haben, ist Großbritannien hoch anzurechnen. Das Rieseneuter in Brüssel schafft zwar viele durstige( lebenslange) Kälbchen, aber gewiss keine Stiere. “Grow or die”, heißt es daher jetzt in England. Meinen Segen hamse, zumal es hier in rot-grüner Absicht heißt: “shrink or die”. Man darf also gespannt sein, welche dieser diametral verschiedenen Existenzauffassungen sich durchsetzt. Und einen gelernten Beruf( Handwerk) samt einem Segelboot in einem Nordseehafen zu haben wäre auch nicht schlecht…..

Uta Buhr / 25.10.2022

Guter Artikel. Was ich den Briten hoch anrechne, ist ihr rigoroses Handeln, wenn ihre Regierung zu viel Mist baut. Da wird schon einmal in Number ten das Licht ausgeschaltet und der erste Minister oder - wie in diesem Fall - die erste Ministerin aus dem Amt hinaus komplimentiert. Ganz freiwillig ist Lizzy doch wohl nicht abgetreten. Die Mitglieder ihrer Partei werden ihr sicherlich richtig Feuer unter dem A.,,. gemacht haben, bevor sie ihren Rücktritt verkündete. Es bleibt abzuwarten, wie Rishi sich jetzt macht. Wenn auch er versagt, wird es wieder heißen:” Da ist die Tür.” Es bleibt indes zu hoffen, dass es in GB nicht zu italienischen Verhältnissen kommt. Auf der anderen Seite ist es allemal besser, ein Ende mit Schrecken herbeizuführen als ein Schrecken ohne Ende wie bei uns. Rücktritte sind hierzulande völlig aus der Mode gekommen. Da kann ein Minister ohne jede Ahnung von seinem Ressort einfach weiter wursteln und täglich dümmstes Zeug ablassen. Und der Kanzelnde spricht kein Machtwort. Da quatscht einer ohne Verantwortungsgefühl ständig von 4., 5. und 6. “Pieksen”, obgleich inzwischen selbst von oberster Stelle verkündet wurde, dass die Brühe gar nichts taugt. Dass sie noch extrem schädlich ist, wird sicherlich demnächst in einem Nebensatz genuschelt. Die Liste der Totalversager, die auf der Stelle aus dem Amt geworfen werden müssten, könnte nahtlos fortgesetzt werden. Wann erleben wir nach dem Wumms und Doppelwumms endlich den Superknaller, der uns von dieser Chaostruppe in Berlin befreit?

E.Manz / 25.10.2022

Hat es nich bei den Pipelines auch einen Doppl-Wumms gemacht?

Thomas Taterka / 25.10.2022

Vor einigen Tagen verstarb ein ” Brite” , den ich wie kaum einen anderen seines Volkes geliebt habe und der ganz genau wusste , was die Briten spätestens seit Thatcher ruiniert . Jüngere kennen ihn unter dem Namen ” Hagrid ” , aber das ist nur die halbe Wahrheit. Sein wirklicher Name war Dr. Fitzgerald, sein Künstlername Robbie Coltrane . Er war eine Klasse für sich , nicht nur als Schauspieler. - Kongenial synchronisiert übrigens von Wolfgang Hess.

hans kloss / 25.10.2022

Also meine deutsche Freunde hier in dem tiefen Westen der Republik orten die Probleme des Königsreichs in Brexit und haben davon noch große Freunde. Da hilft nichts, Argumente, Logik und Fakten werden nicht akzeptiert. Man bewegts sich bei dem Kuchenkränzchen oder bei dem Bier nur in dem kleinem Feld der erlaubten Meinungen. Das macht Sorgen weil wenn es hier auch knallt, wird die Suche nach Schuldigen sehr schnell beendet: außer Putin sind das die Antivaxxer, Klima- und Coronaleugner und Rechtsradikale. Ob darauf Enteignung und Schläge kommen oder wird man diesmal nur mit ein Paar Beschimpfungen und ohne Pogrome die Kriese überstehen, na ja das ist eine dicke Frage. Wir werden mal sehen.

Thomin Weller / 25.10.2022

Äpfel und Birnen im elektro Mixer? Wiki “Die Deindustrialisierung ist im Vereinigten Königreich weit vorangeschritten. Im Jahre 2019 betrug der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP 8,6 Prozent und liegt damit im europäischen Vergleich auf dem viertletzten Platz hinter Zypern, Norwegen und Malta.” In Deutschland sitzen die weltgrößten Produktionsmonopole der chemischen Industrie. City of London verdient Geld nicht mit realen Leistungen. Das macht die Goldmann Sachs Hochfrequenz Börsenmanipulation. Sergej A. “Software-Diebstahl offenbart Verwundbarkeit der Wall Street” Das die HFT Algorithmen durcheinander sind, ist klar. Aus dem Grund kommt doch nun Rishi Sunak ein Goldmann Sachs Fachmann in die Downing Street. Deus lo vult.

Ralf.Michael / 25.10.2022

Nach dem ” Triple-Wumms ” werden die Deutschen dann vielleicht ja mal wach und werden sich die Augen reiben ” Potzblitz, was war dass denn ?? Man wird dann vielleicht gaaaanz langsam begreifen wo der Hase denn hingelaufen ist !!

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